345-km-Tunnel durch die Alpen: Ivan Slavík erläutert ein Projekt aus ČSSR-Zeiten

Foto: Josef Kirchengast

Das interaktive Panorama der Region im alten Brauhaus von Freistadt.

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In der Zisterzienser­abtei Vyšší Brod (Hohenfurth) wird nach 70 Jahren erstmals wieder das legendäre Zawisch-Kreuz gezeigt.

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Freistadt / Ceský Krumlov / Wien – Ein Ing. Pospíšil hat es mit Stempel bestätigt: Das Projekt ist machbar. Ein zweigleisiger Eisenbahntunnel, der die Tschechoslowakei mit der Adria verbindet. 345 finstere Kilometer unter den Alpen hindurch, nur zweimal unterbrochen, in 38 Kilometer Länge bei Linz und in zwölf Kilometer Länge bei Klagenfurt. Gesamtdistanz der Strecke von Budweis bis zum damals jugoslawischen Hafen Koper: 410 Kilometer. Ein Meisterwerk böhmischer Ingenieurskunst, der Beweis, dass das sozialistische Gesellschaftssystem dem Kapitalismus überlegen ist – und die Befreiung vom "Urkomplex eines Binnenlandes" . Kostenpunkt: umgerechnet 10,5 Milliarden Euro nach damaligem Geldwert – geradezu ein Schnäppchen.

1979 war das Projekt spruchreif, zehn Jahre vor dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs. Unter der Annahme, dass dieser dann noch existieren würde, sollten ab 2020 täglich 52 Züge zwischen Budweis und Koper verkehren, davon acht Personenzüge. Österreich sollte technologisch, wirtschaftlich und beim Betrieb des Tunnels eingebunden werden, mit immerhin 124 Zügen täglich, davon 20 Personenzügen. Dies allerdings unter Beibehaltung des rigorosen Grenzregimes zwischen den ideologischen Blöcken.

Gigantomanie als Attraktion

Weil der gigantomanische Plan nicht verwirklicht wurde, kann er heute als Hauptattraktion der Ausstellung Was wäre, wenn ... im Regionalmuseum von Ceský Krumlov (Krumau) dienen. Die wiederum ist Teil der soeben eröffneten ersten grenzüberschreitenden Landesausstellung Oberösterreich/Südböhmen.

Der Titel Alte Spuren – Neue Wege / Davné stopy – Nové cesty passt für die Krumauer Schau mit ihren von Visionären, Idealisten und Träumern entwickelten Projekten mindestens so gut wie für die drei anderen Veranstaltungsorte Bad Leonfelden, Freistadt und Vy_1_1í Brod (Hohenfurth). Übergreifendes Thema ist der gemeinsame Lebens- und Wirtschaftsraum des Mühlviertels und Südböhmens über die Jahrhunderte hinweg, einer Region ohne natürliche Grenzen, aber mit künstlich geschaffenen, die trotz Schengen bis heute nachwirken.

"Das Entscheidende ist die Botschaft" , sagte Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer bei der Präsentationstour für die Medien. Was er nicht sagte: Trotz florierender Wirtschaftsbeziehungen ist in den Grenzregionen das Interesse am Leben "drüben"  nach wie vor überschaubar. Das gilt wohl für beide Seiten. Was die österreichische betrifft, formuliert es ein Kenner der Verhältnisse so: "Die Mühlviertler fahren nur zum Essen hinüber, weil es dort billiger ist und ein Krügel Bier nur einen Euro kostet."

Dass Schweinsbraten und Knödel zu den wenigen verbindenden Elementen zählen, damit wollten sich die Initiatoren der Ausstellung so wenig abfinden wie manche Visionäre vergangener Zeiten.

Darunter waren freilich auch auf tschechischer Seite solche mit beschränktem Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft. So schrieben die deutschen Einwohner von Krumau bei Kriegsende 1945 an den amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman einen Brief mit der Bitte, den Böhmerwald als 51. US-Bundesstaat aufzunehmen. Ob der Brief jemals bei Truman ankam, ist nicht bekannt.

Mit böhmischem Augenzwinkern hat sich der Historiker Ivan Slavík, der die Idee zur Schau hatte und auch ihr Kurator ist, Gedanken über den Posttransport in den Wirren jener Zeit gemacht, denn "Brieftauben sind in dieser Region ja nicht üblich" . Und so hängt über der dokumentierten Petition der Krumauer ein ausgestopfter Auerhahn mit einem Luftpostbrief im Schnabel.

Was wäre, wenn ...? Ein im Wortsinn glänzendes Beispiel dafür, was möglich ist, liefert die Zisterzienserabtei Vyšší Brod (Hohenfurth). Dort ist nach mehr als 70 Jahren ab 2. Mai wieder das ­legendäre Zawisch-Kreuz zu besichtigen. Mit seiner Gold-Filigranarbeit, die ihm ein "inneres"  Strahlen verleiht, und byzantinischen Majoliken aus dem zehnten Jahrhundert gilt es als eine der zehn weltweit wertvollsten christlichen Reliquiare.

Die Geschichte der Abtei spiegelt ihrerseits die wechselvollen Verhältnisse in der Region wider. Nach jahrzehntelangem Verfall im Kommunismus wurden Kloster und Kirche mit starkem ideellem und finanziellem Engagement von oberösterreichischer Seite renoviert. Inzwischen gibt es wieder sieben Mönche. Pater Prior Justin trat 1987, zwei Jahre vor der Wende, heimlich in den Orden ein. Dass er zweieinhalb Jahrzehnte später als Hausherr in Hohenfurth eine kunsthistorische Sensation präsentieren kann, hätte er sich damals gewiss nicht träumen lassen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 30.4./1.5.2013)