Wenn man nicht zumindest einmal pro Jahr ins Schussfeld des Boulevards kommt, muss es einem ja geradezu unheimlich werden.

Foto: Der Standard/Cremer

Heinz Fischer ist strikt gegen einen Automatismus bei Volksbegehren.

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STANDARD: Haben Sie eines der beiden Volksbegehren - "Demokratie Jetzt" und gegen Kirchen-Privilegien - unterschrieben? Oder hätten Sie eines unterschrieben, wenn Sie nicht überparteiischer Bundespräsident sein müssten?

Fischer: Ich habe keines unterschrieben, aber ich habe mich ernsthaft mit dem Demokratie-Volksbegehren beschäftigt. Ich finde, dass man die Zielsetzungen anders und besser hätte formulieren müssen. Man stärkt nicht die Demokratie, indem das Parlament geschwächt wird. Es gehört beides gestärkt. Das war ein Punkt im Volksbegehren, der sicher nicht optimal gelöst war.

STANDARD: Was hätte präziser formuliert gehört?

Fischer: Man erweist der Demokratie keinen guten Dienst, wenn es zwei Arten von Gesetzgebungsverfahren gibt. Das eine als parlamentarische Prozedur, mit allen Möglichkeiten des Verhandelns und des Kompromisseschließens. Und das andere, wo mit entsprechend massiver medialer Unterstützung von außen ein Stimmenberg auf den Tisch des Parlaments gelegt wird und das Parlament nur Ja oder Nein sagen kann. Ist das Parlament aus noch so guten Gründen nicht einverstanden, erfolgt eine Volksabstimmung, wo man - ohne jede Verbesserungsmöglichkeit - nur Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß sagen kann. Ich halte das nicht für gut.

STANDARD: Warum stehen Sie der Mitbestimmung des Volkes so skeptisch gegenüber?

Fischer: Das ist ein großer Irrtum. Ich habe die Volksabstimmung über Zwentendorf als Klubobmann beantragt und den Antrag auf Volksabstimmung zum EU-Beitritt massiv unterstützt. Es gibt aber kluge und auch weniger kluge Formen der Mitbestimmung. Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen direkter und parlamentarischer Demokratie mit größerer Sorgfalt gestaltet werden muss.

STANDARD: So toll ist die parlamentarische Demokratie aber auch nicht. Die Gesetze werden in den Ministerkabinetten geschrieben und von den Abgeordneten der Regierungsparteien in der Regel abgenickt.

Fischer: Ich weiß, dass es den Vorwurf gibt, der Parlamentarismus sei zu schwach. Die Konsequenz daraus kann aber nicht sein, ihn noch mehr zu schwächen.

STANDARD: Die Vorschläge, dass es einen Automatismus Richtung Volksbefragung oder Volksabstimmung geben soll ...

Fischer: ... halte ich für eine Schwächung des Parlamentarismus und für einen Verzicht auf den unverzichtbaren Spielraum eines parlamentarischen Diskussionsprozesses mit Kompromissmöglichkeiten.

STANDARD: Wenn der Automatismus eine Schwächung des Parlaments ist, wie werden Sie gegen dieses Vorhaben auftreten?

Fischer: Ich werde das tun, was ich meiner Überzeugung schuldig bin - nämlich dazu offen und ehrlich meine Meinung zu sagen, wie zum Beispiel in diesem Interview.

STANDARD: Wie erklären Sie sich dann, dass es heute Usus ist, dass auf Gesetze aus den Ministerien gewartet wird? Fügen sich die Klubobleute zu sehr den Parteichefs?

Fischer: Eine harmonische und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament ist ja nichts Schlechtes. Es wäre auch nicht gut, wenn es zwischen Regierung und Bundespräsident einen Dauerkonflikt geben würde, was ja angeblich in manchen anderen Ländern vorkommen soll.

STANDARD: Wie auch bei Ihren Vorgängern.

Fischer: Mag sein.

STANDARD: Viele Leute sind enttäuscht, auch vom Instrument des Volksbegehrens. Sie sagen: Das bringt ja nichts, ich kann eh nichts ändern und bewirken. Das Bildungsvolksbegehren, das 380.000 Unterstützungserklärungen fand, ist ein sehr anschauliches Beispiel. Die Regierung hat es verräumt, es hat gar nichts bewirkt. Können Sie den Frust nachvollziehen?

Fischer: Es hat in Österreich seit 1970 zirka 35 Volksbegehren gegeben. Manche waren erfolgreich, manche waren es nicht. Aber auch eine massive Unterstützung eines Volksbegehrens heißt nicht zwingend, dass das der Weisheit letzter Schluss ist. Jedes Volksbegehren ist ein politischer Gradmesser und hat wochenlange intensive Debatten zur Folge. Noch heute redet man vom Rundfunkvolksbegehren aus 1964 mit 832.353 Unterschriften oder vom Volksbegehren gegen das Konferenzzentrum. Nur Ersteres hat sich durchgesetzt. Das Konferenzzentrum wurde trotz 1,4 Millionen Gegenstimmen dennoch gebaut. Beide Entscheidungen waren wahrscheinlich klug. Wenn über das Konferenzzentrum nach dem besonders stark unterstützten "Gegenvolksbegehren" eine Volksabstimmung zwingend gewesen wäre, hätten wir heute kein Konferenzzentrum. Das wäre sehr schlecht für Österreich.

STANDARD: Von den Inhalten her hätten Sie das Bildungsvolksbegehren wahrscheinlich unterschrieben, oder? Tut es Ihnen nicht leid, dass es versandet ist?

Fischer: Ja, ich hätte es unterschrieben. Aber ich glaube, dass es nicht endgültig versanden wird. Es wird in der nächsten Legislaturperiode ein wichtiges Thema sein.

STANDARD: Ist es richtig, dass Österreich beim Bankgeheimnis die Blockade in der EU aufgegeben hat?

Fischer: Österreich hält am Bankgeheimnis für inländische Anleger fest und gibt gleichzeitig grünes Licht für Verhandlungen über den internationalen Datenaustausch bei ausländischen Anlegern. Das halte ich für vernünftig.

STANDARD: Hat sich Österreich mit dem vorangegangenen Streit über einen Briefentwurf zum Bankgeheimnis von Finanzministerin Maria Fekter blamiert?

Fischer: Sagen wir so: Es wäre kein Schaden gewesen, wenn dieses Intermezzo in dieser Form unterblieben wäre.

STANDARD: Der Kanzler meinte, das sei eine "Lachnummer".

Fischer: Das ist inzwischen ausgebügelt worden.

STANDARD: Tut es Ihnen leid um das Bankgeheimnis?

Fischer: Das, worum es einem schon leid tun könnte, das Bankgeheimnis für Steuerpflichtige im Inland, wird bleiben, und für das was neu kommen soll, gibt es gute Gründe.

STANDARD: Die FPÖ hat sich jüngst wieder durch ihr ungeklärtes Verhältnis zum Nationalsozialismus hervorgetan, mehrere Funktionäre oder Mitarbeiter mussten wegen rechtsextremer Umtriebe zurücktreten, in Salzburg hat der Landesobmann vor der "Umvolkung" gewarnt. Was sagen Sie dazu?

Fischer: Ich möchte jetzt nicht einzelne Vorkommnisse oder Aussagen von Funktionären einer Partei kommentieren, da wäre ich als Bundespräsident zu nahe am Wahlkampf. Ich kann nur grundsätzlich sagen: Niemand sollte hinter das zurückgehen, was wir uns über viele Jahre hinweg erarbeitet haben, nämlich eine saubere, klare und eindeutige Abgrenzung gegenüber den Schrecken des Nationalsozialismus. Es darf auch keinen antisemitischen Zungenschlag geben.

STANDARD: Das gelingt Mitgliedern der FPÖ aber oft genug nicht.

Fischer: Es verstoßen immer wieder Einzelne dagegen, es gibt Fehltritte, aber es gibt in Österreich auch eine öffentliche Meinung und eine breite Medienlandschaft, die das in der Regel sehr eindeutig verurteilt. Mit Antisemitismus kann man keine Pluspunkte mehr sammeln, geschweige denn Wahlen gewinnen.

STANDARD: Im Parlament wurde vergangene Woche ein FPÖ-Abgeordneter zum Volksanwalt gewählt, der Mitglied einer deutsch-nationalen schlagenden Burschenschaft ist und sich in einem Verein zur Grabpflege eines NS-Fliegermajors engagiert. Die SPÖ hat mitgestimmt, schmerzt Sie das?

Fischer: Es ist eine gewollte und gut begründete Konstruktion, dass bei der Wahl der Volksanwälte jede der drei stärksten Fraktionen einen Kandidaten nominiert und dann über dieses Gesamtpaket abgestimmt wird. Die Fraktionen können einander also nichts dreinreden. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Wahl der Präsidenten des Nationalrats. Jeder der drei Präsidenten kann sein Amt nur antreten, wenn ein Einzelvorschlag für diese Funktion die Mehrheit im Nationalrat findet. Bei der Volksanwaltschaft ist das anders: Die drei stärksten Parteien im Parlament haben das Recht, jeweils ihren Vertreter autonom auszusuchen.

STANDARD: Und wenn die Freiheitlichen Martin Graf als Volksanwalt nominiert hätten?

Fischer: Dann hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: entweder das Gesamtpaket zu akzeptieren oder die Verfassung zu ändern - was man sich aber aus einem Einzelanlass wirklich sehr sorgfältig überlegen muss.

STANDARD: Die Wahl Fichtenbauers irritiert Sie also gar nicht?

Fischer: Ich habe den Eindruck, dass dieser Abgeordnete jemand ist, der auch in anderen Fraktionen Gesprächspartner findet. Man sollte dem Abgeordneten Fichtenbauer zumindest eine faire Chance geben.

STANDARD: Und wie war das mit Martin Graf und dessen Wahl zum Nationalratspräsidenten?

Fischer: Das war meines Erachtens ein Fehler. Ich habe mich schon bei verschiedenen Gelegenheiten dahingehend geäußert, dass es damals bessere Varianten gegeben hätte.

STANDARD: Sie sollen mit dem Dienstwagen durch eine Rettungsgasse gefahren sein: Wie war es, als Sie sich im Boulevard wiedergefunden haben?

Fischer: Das muss man aushalten. Wenn man nicht zumindest einmal pro Jahr ins Schussfeld des Boulevards kommt, muss es einem ja geradezu unheimlich werden. Aber seien Sie unbesorgt, die Österreicherinnen und Österreicher sind viel klüger, als manche Medien meinen. Außerdem war das nicht einmal mein Auto, das war das des Großherzogs. Ich habe mit ihm geredet und gemerkt, dass links und rechts Autos stehen. Kann jemand wirklich ernsthaft meinen, ich hätte den Wagen des Großherzogs anhalten können, als ich mitbekam, dass wir an einem Stau vorbeigelotst werden, was ja nicht nur aus Gründen der Höflichkeit, sondern vor allem aus Gründen der Sicherheit geschieht und international üblich ist. (Peter Mayr, Michael Völker, DER STANDARD, 30.4.2013)