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Anreise: Am besten per Flugzeug nach Rom und per Mietauto über die A2 nach Süden (fünf bis sechs Stunden). Flüge nach Crotone nur im Sommer. Unterkünfte in kleinen Hotels oder Privatzimmern.

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Fast überall in Kalabrien bröckelt der Putz von den Fassaden, doch gerade das macht die Atmosphäre aus.

Eine Küstenstraße in Süditalien, eingezwängt zwischen Berg und Meer. Ein trostloser Ort mit billigen Betonhäusern folgt auf den anderen, am Straßenrand türmt sich der Müll, der seit Tagen nicht abgeholt wurde. Dann eine Abzweigung auf eine kurvige Straße, und nach wenigen Kilometern taucht auf der Bergkuppe eine Ortschaft wie aus einem alten Bilderbuch auf: Stadtmauer, enge Gassen zwischen verfallenen Häusern und eine kleine Piazza vor einer barocken Kirche, in deren Gemäuern noch byzantinische und griechische Elemente zu sehen sind.

Das ist die Sila Greca, ein Landstrich an der Ostküste von Kalabrien, der vor 2500 Jahren ein Zentrum der griechischen Hochkultur war, danach von Römern, Byzantinern, Arabern, Normannen, Spaniern und Bourbonen beherrscht wurde und heute zum Hinterhof des Kontinents verkommt. Hierher verirren sich nur wenige Touristen, selbst im Sommer werden die Strände zumeist von Einheimischen und Heimkehrern aus dem Norden bevölkert.

Doch die Verbindung von Geschichte, Natur und Abgeschiedenheit schafft ein selbst für Italien ungewöhnliches Reiseerlebnis. Wie kleine Perlen reihen sich dutzende alte Städte und Dörfer in den Hügeln entlang des rund einhundert Kilometer langen Küstenabschnitts zwischen Sibari und Crotone. Jeder einzelne Ort wäre weiter nördlich eine Touristenattraktion. Hier kann man sie meist allein erforschen.

Nationalpark hinterm Ort

Unser Stützpunkt war Crosia, eines jener Bergdörfer mit baufälligen alten Häusern und herrlichem Blick auf Meer und Berge. Die Straße hinterm Ort führt weiter in die Sila, ein als Nationalpark geschütztes Gebirge, das Kalabrien zerschneidet, und in der Ferne sieht man das schneebedeckte Pollino-Massiv, das fast bis ans Ionische Meer reicht. Dazwischen liegen Oliven- und Orangenhaine und andere Felder, die, wenn überhaupt, von rumänischen Saisonarbeitern bestellt werden. Jahrhundertalte Höfe und Kastelle dämmern vor sich hin, verfallen immer mehr.

Von Crosia ist die nächstgelegene Stadt Rossano, die sich in drei Stufen von der Küste her erhebt und in ihrer Altstadt zwischen zahllosen Kirchen, Museen und alten Plätzen auch einige wunderbare kleine Lokale zu bieten hat. Die Weiterfahrt ins Gebirge führt zu einer romanischen Kirche, Santa Maria del Patire, inmitten von idyllischen Pinienwäldern.

Nur einen Hügel weiter liegt Corigliano mit einem römischen Viadukt und dem aragonischen Stadtschloss; die Stadtmauern von Cariati berühren beinahe die Küste, mit einem Eis vom wohl besten Salon Kalabriens wird man von der Mauer aus den Meeresblick doppelt genießen. Und wer dann noch die Häuserschluchten von Pietrapaola betritt, weiß nicht mehr, wo der Fels endet und der von Menschen behauene Stein beginnt.

In einem Satz zu Pythagoras

Weiter südlich liegt das Gassengewirr von Cirò Superiore mit seiner alten Kirche, es ist das Zentrum der DOC-Weinregion Cirò. Von dort ist es nicht weit nach Crotone, wo Pythagoras rund 20 Jahre lebte und seine Schule gründete. Heute beherbergt die Stadt zwischen ihren elegant-verfallenen Häuserzeilen auch ein spannendes archäologisches Museum voller griechischer Schätze.

Außerhalb der Stadt liegt Capo Colonna mit seiner berühmten einsamen griechischen Säule, dem letzten Rest eines großen Hera-Tempels. Und am unteren Ende der Halbinsel in Le Castella steht eine aragonische Festung im Meer und bietet den schönsten Postkartenanblick der ganzen Region. Nur hier spürt man etwas von jenem Massentourismus, der die Sila Greca sonst verschont.

Unser Versuch, über die Passhöhen der Sila in die Provinzhauptstadt Cosenza zu gelangen, scheiterte am Schneefall, der etwas überraschend auf 1000 Meter Seehöhe einsetzte. Wenigstens konnten wir noch das alte Bergbaudorf Longobucco erreichen, das sich inmitten der Sila an einen Bergrücken schmiegt. Im zweiten Anlauf gelangten wir schließlich über die Ebene nach Cosenza: Diese alte Staufer-Stadt hat viel vom morbiden Charme Neapels, bloß bröckelt hier alles noch mehr. Und zudem ist das erst ein Bruchteil von dem, was dieser vergessene Winkel Europas verbirgt. (Eric Frey, DER STANDARD, Album, 27.4.2013)