"Wir haben riesigen Handlungsbedarf. Allein die Dynamik des Burnout zeigt uns das", so Theo Peters.

Foto: Fritz Funke

Standard: Worum geht es in der Neuroleadership konkret?

Peters: Kurz gesagt darum, dass Menschen motiviert sind, wenn vier Grundbedürfnisse befriedigt sind. Erstens sind Menschen Teamarbeiter, wir haben das vielleicht verlernt, aber so ist unser Gehirn angelegt. Dazu gehört eine gute Beziehung zueinander, zum Vorgesetzten, dazu gehört Kommunikation auf Augenhöhe. Zweitens streben Menschen nach Orientierung und Kontrolle. Das bedeutet in Organisationen Dezentralisierung, Handlungskompetenzen für den Einzelnen. Drittens ist der Selbstwert zentral. Dazu gehört Beachtetwerden, die Möglichkeit zur Potenzialentfaltung, zur Weiterentwicklung, die Chance zu haben, auf Zutrauen zu bauen. Viertens muss es Spaß machen, also freudvolles Arbeiten ist motiviertes Arbeiten.

Standard: Die Hirnforschung kann (noch) nicht alles erklären, die Erkenntnisse zu dem, was Angst erzeugt und welche Verhaltenskonsequenzen sie hervorbringt, gelten aber als gesichert, ebenso jene über die positiven Kreisläufe bei Aktivierung der Belohnungszentren. Warum läuft im Führungsstil trotzdem noch so vieles in die falsche Richtung, nämlich über Druck und negative Machtausübung?

Peters: Zunächst weil etwa Affekte und Emotionen bis jetzt schlecht bis gar nicht erklärt werden können. Aber vor allem, denke ich, weil wir alle Altlasten mit uns herumtragen. Zudem ist das Konzept der Neuroleadership noch sehr jung, gerade erst einmal sechs Jahre alt. Da in die Umsetzung zu kommen, das dauert. Unternehmen suchen dieses Wissen aus der Hirnforschung, finden es spannend, buchen Impulsvorträge, haben aber große Scheu davor umzusetzen. Ich habe vor zwei Jahren eine größere Umfrage gemacht, da hatten gerade einmal 30 Prozent in Unternehmen vom Namen Neuroleadership gehört. Der Begriff ist also auch noch nicht angekommen.

Standard: Grundsätzlich und etwas naiv gefragt: Sollte nicht jeder, der sich mit Mitmenschen halbwegs liebevoll beschäftigt, wissen, dass man mit Belohnen weiterkommt als mit Bestrafen?

Peters: Ja schon, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass wir in einer sehr schnellen, sehr dynamischen Welt leben. Um Neuroleadership umzusetzen, braucht man sehr viel revolutionäres Denken. Und unter Druck lässt man sich ja kaum auf Neues ein, unter Stress fahren wir sprichwörtlich lieber auf den bekannten Autobahnen.

Standard: Kann, könnte Neuroleadership aus zahlengetriebenen, kontrollierenden, tendenziell autokratischen Chefs solche machen, die menschengerechter oder, wie Sie sagen, gehirngerechter führen?

Peters: Ja, wenn sie sich darauf einlassen. Das Emotionale muss mit dem Kognitiven zusammenkommen. Das ist eine schwierige Kiste und harte Arbeit, es geht aber via Coaching, via Spüren und Erleben. Aber gerade die emotionale Komponente ist in Führungsetagen nicht da und wird nicht gerade als Erfolgsgarant auf die Fahnen geschrieben.

Standard: Frauen werden oft spezifische Fähigkeiten zugeschrieben. Tun die sich leichter?

Peters: Ich will vorsichtig sein. Aber ja, Frauen tun sich mit Neuroleadership leichter.

Standard: Zentraler Punkt bei diesen neuen Konzepten ist immer wieder die sogenannte Selbstführung. Das kennen wir aber spätestens seit den alten Griechen sowie seit Marc Aurel und seinem Imperativ zur Selbsterkenntnis ...

Peters: Neuroleadership erklärt auch sozusagen "alte Dinge". Heute wissen wir durch die Erforschung der Spiegelneuronen, wie wir die Gefühle der anderen aufnehmen und was unsere "Spiegel" aufnehmen. Da ist das "Erkenne dich selbst" wichtig und findet Eingang in die Konzepte zur Selbstführung. Ein Ansatzpunkt in der Selbstführung ist, die Fähigkeit zu entwickeln, in den Zustand entspannter Wachheit zu gelangen, also in einen Standby-Modus, um Balance zwischen Spannung und Entspannung zu haben. Es lässt sich via Neurofeedback recht gut messen, dass dieser Alpha-Zustand ein gesunder ist. Wir sind überwiegend im Beta-Zustand, wie ein Atomkraftwerk kurz vor der Explosion oder kurz vor dem Durchbrennen.

Standard: Was macht Sie sicher, dass Neuroleadership nicht nur eine weitere Managementmode ist?

Peters: Das Konzept bleibt aktuell, die Technik selbst aber treibt das Thema am stärksten an: Wir können immer besser in unsere Köpfe hineinsehen, die technischen Möglichkeiten werden dauernd verbessert. Dieses Erkenntnisinteresse am Funktionieren des Gehirns ist ein mächtiger Treiber der Neuroleadership. Ebenso wie die Forschungen zum Heilen psychischer Erkrankungen.

Standard: Das bringt uns zu den Kritikern, die warnen, dass die Zukunft Elektroden im Kopf, die Steuerung von Menschen als Bündel grauer Zellen sei ...

Peters: Diese Angst besteht, und ich halte sie nicht für unberechtigt.

Standard: Die ganze Auseinandersetzung ist im Ausbildungsprogramm für den Nachwuchs aber noch nicht angekommen?

Peters: Wir stehen ganz am Anfang. Aber wir haben riesigen Handlungsbedarf. Allein die Dynamik des Burnout führt uns vor Augen, welche Zinsen wir zu zahlen haben und künftig zu zahlen haben werden. (Karin Bauer, DER STANDARD, 27.4.2013)