Neues von der Möbelmesse Mailand: Während einige Unternehmen versuchen, vermehrt massenkompatibel zu werden, experimentieren manche Designer und Hersteller vergleichsweise unbekümmert und folgen konsequent dem eigenen Weg. Thomas Edelmann war vor Ort und hat die spannendsten Neuerscheinungen mitgebracht.

Rundling
Zaha Hadid für Sawaya & Moroni

Einen leichten und alltagstauglichen Kunststoffsessel hat sich die Londoner Stararchitektin Zaha Hadid für den italienischen Hersteller Sawaya & Moroni einfallen lassen. Ihr Kuki Chair ist aus einem einzigen rundlichen Stück geformt. Vom Rückenteil aus, das in die Sitzfläche übergeht, sind die Seitenteile vertikal und leicht nach innen umgeklappt, um dem Sessel einen stabilen Stand zu geben. Dynamische Linien an den Rändern verdeutlichen den Verformungsprozess und werden zugleich zum dekorativen Element. Durch große seitliche Öffnungen, die wie Tropfen aussehen, wird das Unterteil der Sitzskulptur teilweise vom Licht durchflutet.

www.sawayamoroni.com
www.zaha-hadid.com

Foto: Hersteller

Essenzmöbel
Matali Crasset für Campeggi

Der kleine italienische Hersteller Campeggi ist Eingeweihten für seinen spielerischen Umgang mit überlieferten Möbelkonventionen bekannt. Aufblasbare Elemente, fliegende Teppiche ...: Campeggis Designer setzen stets auf Unterhaltung der besonderen Art. Nun hat die Französin Matali Crasset ihr modulares Sitzobjekt Concentré de Vie mit den Italienern realisiert. Das orange-beige System besteht aus einer Box, in der fünf weiche Elemente untergebracht sind: Zwei quadratische Kissen mit abgerundeten Ecken, zwei dazu passende L-förmige Module und eine Matte bieten zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. Innerhalb des gepolsterten Rahmens dienen alle zusammen als Sofa, außerhalb kann man sie als Armlehne, flachen Sitz oder Pouf nutzen. Der Kasten wird mit der Matte gepolstert im Handumdrehen zu einem Einzelbett.

www.campeggisrl.it
www.matalicrasset.com

Foto: Hersteller

Ohrensache
Jaime Hayon für Fritz Hansen

Ein heimeliger Trend des Möbeljahrgangs 2013 ist das Comeback des Ohrensessels. Bei namhaften Herstellern fanden sich zeitgenössische Interpretationen. Fritz Hansen, bislang mit Entwürfen von Arne Jacobsen und Poul Kjaerholm eher für Sachlichkeit und Modernität bekannt, setzt mit dem spanischen Designer Jaime Hayon ganz aufs Gefühl. Sein Modell Ro ist harmonisch gezeichnet, jedoch deutlich konservativer als alles, was die Dänen bislang im Programm hatten. Je nach Farbwahl und Ausstattung mit hölzernen oder metallischen Beinen wirkt der raumgreifende Sessel eher behäbig-bieder oder subtil-ironisch. Für die junge dänische Marke &tradition entwarf Hayon einen kompakten Sessel namens Catch, der wie ein naher Verwandter wirkt.

www.fritz-hansen.com
www.andtradition.com

Foto: Hersteller

Fahrtwind
Palomba, Zanotta und Maserati

In diesem Frühjahr erschien die sechste Generation des Maserati Quattroporte. Die elegante Reiselimousine ist inzwischen 5,26 m lang und hat eine Aluminiumkarosserie, die Baureihe gibt es seit 50 Jahren. Anlass für den traditionsreichen Autohersteller, mit Zanotta, dem Traditionshaus der italienischen Möbelavantgarde, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Die Designer Ludovica und Roberto Palomba - Art-Direktoren von Zanotta - entwarfen den Loungechair Grandtour in limitierter Auflage. Eine Besonderheit des Schalen-Fauteuils ist der weiche Bezug aus wertvollem, gestepptem, offenporigem Anilinleder. Und so kann man im Wohnzimmer von eleganten Ausfahrten träumen. Umgekehrt wär's ein Problem.

www.zanotta.it
www.maserati.com
www.palombaserafini.com

Foto: Hersteller

Inselglück
Werner Aisslinger für Moroso

Vom Designer Werner Aisslinger ist ein konventionelles Sofa nicht zu erwarten. Fürs Berliner "Bikini-Haus", einen denkmalgeschützten Bau aus den 1950er-Jahren, gestaltet er derzeit ein Hotel. Bikini Island heißt seine neue, abwechslungsreiche Wohnlandschaft für Moroso. Auf der farbenfrohen Insel können mehrere Personen zugleich ungestört chillen, chatten, lesen oder sich unterhalten. Ein Kontrastprogramm zur frontal auf den Fernseher ausgerichteten Familiencouch. Zum System gehören weiche Elemente in drei verschiedenen Höhen - vom flachen Daybed bis zu runden Sitzen und frei stehenden Komponenten. Stahlrohrrahmen teilen die Insel in separate Zonen ein und können mit Gardinen, Grünpflanzen oder kleinen Regalfächern ausgestattet werden. Container und Beistelltische vervollständigen die individuelle Sofacollage.

www.moroso.it
www.aisslinger.de

Foto: Hersteller

Hommage ans Rennrad
Max Lipsey für Cappellini

Guilio Cappellini hat den in Eindhoven lebenden amerikanischen Designer Max Lipsey mit seinem Acciaio-Stuhl für die Cappellini Next-Präsentation auf der Messe ausgewählt. Dort werden Entwürfe von Designern gezeigt, bevor sie für die Serienproduktion weiterentwickelt werden. Acciaio ist italienisch für Stahl und zugleich der Name von Lipseys Möbelkollektion, die aus sich verjüngenden Stahlrohren zusammengesetzt ist: eine Konstruktion, die Leichtigkeit und Stabilität zur Folge hat. Der Designer versteht seine Möbel als Hommage an die Tradition italienischer Rennradmanufakturen. Er bietet sie in 16 Farben an, die jeweils einem klassischen Fahrradkonstrukteur zugeordnet sind.

www.cappellini.com
www.lipsmax.net

Foto: Hersteller

Leder-Comeback
Haussmann für Walter Knoll

Seit über vier Jahrzehnten entwerfen die Schweizer Architekten Trix und Robert Haussmann gemeinsam Bauwerke und Produktdesign. Ihren Gestaltungsansatz bezeichnen sie selbst als "kritischen Manierismus". Auch bei ihrem Fauteuil Haussmann 310 aus dem Jahr 1962, der nun von Walter Knoll als Classic Edition wieder aufgelegt wird, greifen sie handwerkliche Perfektion der Möbelfertigung auf, die sie humorvoll interpretieren: Wie bei einem Chesterfield-Möbel strukturiert ein sorgfältig ausgeführtes Rautenmuster mit Knopfsteppung den üppig gepolsterten Sitz und das Rückenteil aus Leder. Im Kontrast zum Handwerk steht das filigrane Gestell, das in seiner Formensprache an die sachliche Gestaltung der klassischen Moderne erinnert.

www.walterknoll.de

Foto: Hersteller

Trickreich
Stefan Diez für e15

Das vielseitige Möbeltrio This, That und Other aus leichtem Schichtholzmaterial (Eichenfurnier) ist benannt nach einem Kartenspielertrick. Gestaltet hat sie Stefan Diez für e15, This ist der Sessel, That das Fauteuil und Other der Hocker. Die innovative Sitzserie des deutschen Designers verdeutlicht den Grundsatz der Marke, konstruktiv wichtige Elemente eines Möbels sichtbar zu betonen. Die scheinbar simplen runden Formen sorgen für höchsten Sitzkomfort. Die von Farah Ebrahimi, der Art-Direktorin des Frankfurter Unternehmens, entwickelte Farbpalette reicht von elegant abgestuften Grautönen bis zu Navy-Blau. Für Mutige gibt es die Möbel auch im Farbton Neonpink.

www.e15.com
www.stefan-diez.com

Foto: Hersteller

Mit Stäbchen wohnen
Front für Porro

Die drei Designerinnen der schwedischen Gruppe Front entwerfen Möbel und Gebrauchsgegenstände, die irritieren und sich erst im Gebrauch offenbaren. Das trifft - mit Einschränkungen - auch auf den Schrank Mikado zu, der von Porro produziert wird. Denn Mikado ist eine offene Struktur aus abgeflachten Eschenholzstäben und erinnert entfernt an eine Vitrine zur Aufbewahrung von Gläsern. Ihr luftiger Korpus ruht auf Beinen, die aus je drei Stäben zusammengesetzt sind. Die Türen der Konstruktion bestehen aus einer doppelten Reihe schräg versetzter, abgerundeter Holzlatten. Offen oder verschlossen geben sie stets den Blick frei auf die Dinge im Innenraum.

www.porro.it
www.frontdesign.se

Foto: Hersteller

Abgespeckt
Konstantin Grcic für Magis

Mit Höhepunkten war die Mailänder Messe in diesem Jahr nicht eben reich gesegnet. Eine kontrovers diskutierte Neuheit stammt vom Münchner Designer Konstantin Grcic und dem Projektassistenten Jan Heinzelmann, die für Magis die Möbelkollektion Traffic aus pulverbeschichteten Stahlrohrgestellen mit Polsterkissen entwarfen. Sie besteht aus Zweisitzern, einer Bank in zwei Versionen, einer Chaiselongue sowie einer Liege. Sie ist mit Polstern wahlweise in Leder oder Stoff und mit verschiedenen Hochglanzfarben für das Gestell erhältlich. Die traditionell schweren Holzunterkonstruktionen der Polstermöbel ersetzten die Designer durch feine, farbig verwobene Metallrohrgestelle. Diese materielle Erleichterung erscheint manchen Kritikern nicht elegant genug und entspricht doch sehr dem Trend zum Vereinfachen, Weglassen und Einsparen, mit dem die Möbel auf die europäische Krise antworten.

www.magisdesign.com
www.konstantingrcic.com
(Thomas Edelmann, Rondo, DER STANDARD, 26.4.2013)

Foto: Hersteller