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Gegensätzlich im Denken, geeint in der Kunst: Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann machen seit vierzig Jahren gemeinsam ihr Serapionstheater, 25 Jahre davon im Odeon.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann feiern das Jubiläum mit "Paradiso". Premiere ist am Freitag.

Wien - Nicht, dass Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann nach vierzig Jahren Kunst- und Lebenspartnerschaft immer einer Meinung wären, nein. Auch nicht, natürlich nicht, im Odeon-Jubiläumsjahr. "Wir verstehen uns überhaupt nicht", sagt Ulrike Kaufmann, "wir sind völlig gegensätzlich in unserem Denken. Er geht in die eine, ich in die andere Richtung. Aber wenn es dann passt, dann treffen wir uns wieder auf einem Punkt." Und dieser Punkt befindet sich seit 25 Jahren in der Wiener Leopoldstadt.

Nach zehn Jahren im ehemaligen Vindobona-Kino am Wallensteinplatz übersiedelten sie mit ihrem - stets international zusammengewürfelten - Serapions-Ensemble in die Taborstraße und gaben am 8. Juni 1988 die erste Vorstellung in der ehemaligen Getreidebörse, die sie unter hohem persönlichem Einsatz, körperlich wie finanziell, hergerichtet hatten. Zweieinhalb Millionen Euro verschlang die Adaptierung der Brandruine über die Jahre, 18 Prozent der Kosten steuerte die Stadt Wien bei, vom Bund gab's nichts.

Axolotl Visionarr nannten sie ihre erste Produktion im neuen Haus, und Visionarren sind die beiden geblieben, sturköpfig, widerspenstig, theaterbesessen. Und verschuldet bis an ihr Lebensende, weil sie alles verpfändet haben für ihre gemeinsame Lebensliebe: das Odeon.

Vorigen Herbst sei das Theater, wieder einmal, finanziell an der Kippe gestanden, aber man habe, nicht zuletzt durch Vermietungen an Gastensembles, ganz gut verdient; und überraschenderweise hob die Stadt Wien die Subventionen bis Ende 2015 um 16 Prozent an, mit dem zusätzlichen Betrag können die über die Jahre entstandenen Verbindlichkeiten getilgt werden. Blöderweise hat der Bund seine Subventionen um genau diese 16 Prozent gekürzt, der Theaterbeirat schmettert Projekteinreichungen wie gehabt ab, sodass unterm Strich genauso viel bleibt wie vor zwanzig Jahren.

Aber, und in diesem Punkt stimmen Kaufmann (59) und Piplits (73), die 2010 mit dem Nestroy für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurden, im Standard-Gespräch dann doch völlig überein, übers Geld und über die Kulturpolitik wolle man, bitte, nicht mehr reden: "In den letzten Jahren wurde unsere Arbeit durch die Politik und unsere prekäre Lage derart zugedeckt, dass die Kunst kaum wahrgenommen wurde. Da wollen wir nicht mehr mitspielen. Wir wollen nicht über zu wenig Geld klagen und über die Kulturpolitiker, sondern über unsere Theaterarbeit sprechen."

Wortlose Theatersprache

Die spielte sich in den ersten vier Jahren auf Rädern ab: Als vazierende Theatertruppe namens Pupodrom führten Kaufmann und Piplits Anfang der 1970er-Jahre Stücke wie Die Stradafüßler nach einer Episode aus der Pinkafelder Chronik oder Zirkus der Dinge in ganz Europa und unter anderem auch in jenem Wiener Bank-Kassensaal auf, in dem nun der Newsroom des Standard untergebracht ist. 1978 wurden sie im 20., zehn Jahre später im zweiten Bezirk sesshaft, da hieß das ehemalige Pupodrom längst Serapionstheater und war berühmt für die Poesie seiner wortlosen Theatersprache. Kein Buch, keine zugeschriebenen Rollen, keine Dialoge, keine autoritären Regieanweisungen: In mehrmonatigen Probenprozessen wird im Kollektiv gefunden, erfunden, verworfen, die Ensemblemitglieder erzählen Geschichten ihrer Familien und Mythen ihrer Herkunftsländer.

Die Musik mixt Piplits, oder, wie Kaufmann sagt: "Für Musik ist ausschließlich der Erwin zuständig." Pause. Lächeln. "Und ich misch' mich ein." Was Piplits als sehr präzise Beschreibung empfindet: " Umgekehrt kann man das nicht so sagen: Ich misch' mich bei den Kostümen nie ein." Die entwirft Kaufmann allein, ausgerechnet sie, die als Kind allergisch auf Stoffe reagierte.

Sohn Max Kaufmann ist für die Bühnenmalerei verantwortlich, der New Yorker Grafikstar Brad Holland seit zwanzig Jahren für die Plakate. Getroffen habe man einander in all den Jahren nicht: "Ich schreib' Brad ein paar Zeilen über unsere Produktion und bin jedes Mal baff, weil er unsere Vorstellungen so präzis trifft."

Am Anfang jeder Produktion aber steht immer die Idee. Für Paradiso, das am Freitag Premiere hat, zählte Jean Gebsers Theorie von der Verbindung spiritueller und wissenschaftlicher Erkenntnis zu Piplits' Ideenlieferanten. Vor allem aber wurde der Vielleser - "seit vierzig Jahren liest er ununterbrochen, deshalb ist es bei uns daheim immer sehr still", so Kaufmann - durch seine intensive Beschäftigung mit Sephiroth inspiriert, einer Art kabbalistischem Weltbild:

"Die Konsonanten P-R-D-S, die das Wort Paradiso bilden, haben im Hebräischen bereits die Bedeutung, die das Paradies als Inhalt vermittelt. Sie stehen für das Sein, das Wahrnehmen, das Verstehen und das Ahnen. Erst die Harmonie dieser vier Aspekte ergibt die Möglichkeit der Kunst. Oder, anders gesagt: Das Materielle, das Magische, das Mythische und das Mentale, miteinander verknüpft, ergeben erst die Schöpfung."

Geheimnis der Vokale

Vermutlich wird man Paradiso auch als Entwicklungsgeschichte der 40-jährigen serapiontischen Theaterarbeit lesen können. " Deutungsmöglichkeiten stellen wir uns nie in den Weg", sagt Piplits. " Die Zusammenhänge sind in den Bildern zu suchen. Wie ein Gedicht nicht dazu da ist, Wahrheiten zu vermitteln, sondern eine Stimmung zu erzeugen, wollen wir den Zuseher in eine Stimmung versetzen, die ihm den Zugang zu seiner persönlichen Wahrheit nicht verstellt."

Eigentlich wollte er das Stück ja ebenso schlicht wie radikal "PRDS" nennen: "Das Geheimnis der Vokale. Aber das wollte niemand, auch Ulli nicht. Gerade bei dieser Produktion hatten wir des Öfteren ziemliche Auseinandersetzungen über Inhalte." Das sei so nicht ganz richtig, widerspricht Kaufmann und lächelt: "Das haben wir doch immer." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 25.4.2013)