Gut gepanzert und gefräßig: Strandkrabben fressen Algenfresser wie etwa Strandschnecken, die ihrerseits die Biomasse von Großalgen in Küstengewässern kontrollieren. Kommen Temperatur und Säuregehalt durcheinander, leidet auch die harte Schale der Tiere.

Foto: Uli Kunz

Während der ungebremste Ausstoß von Treibhausgasen an Land "nur" zu einem Temperaturanstieg führt, bewirkt er in den Ozeanen zusätzlich eine chemische Reaktion: Das Kohlendioxid aus der Atmosphäre bewirkt vor allem in den oberen Meeresschichten ein Absinken des pH-Werts.

Diese Versauerung beeinträchtigt unter anderem den Aufbau von Skelett- und Schutzstrukturen aus Kalk - die für viele marine Organismen lebenswichtig sind. Werden diese dünner, fallen ihre Träger eventuell leichter Fressfeinden zum Opfer, wodurch wiederum die Nahrung der Beutetiere überhandnehmen kann.

Die Untersuchung solcher Nahrungsnetze ist extrem schwierig. Während es diverse Arbeiten zur möglichen Reaktion einzelner Arten auf den Klimawandel gibt, sind Forschungen zu Wechselwirkungen zwischen den Spezies rar. Martin Zimmer vom Fachbereich Organismische Biologie der Universität Salzburg befasste sich schon an der Universität Kiel mit dem Einfluss steigender Temperaturen und sinkender pH-Werte auf zwei häufig vorkommende Meerestiere: die Strandkrabbe (Carcinus maenas) und die Große Strandschnecke (Littorina littorea).

Die an der gesamten Nordatlantikküste verbreiteten Schnecken grasen dort so eifrig den Algenbewuchs ab, dass sie einer der Hauptfaktoren für dessen Dichte und Artenzusammensetzung sind. Die Krabbe, die ursprünglich an der Atlantikküste Europas und Nordafrikas beheimatet war, mittlerweile aber weltweit vorkommt, ist ebenfalls gefräßig und kann ihrerseits einen deutlichen Einfluss auf die Populationsdichten ihrer Beute haben, zu der auch die Große Strandschnecke gehört.

Beide Arten brauchen Kalk: die Schnecken zum Aufbau ihrer schützenden Schale, die Krebse zur Ausbildung ihres Panzers und ihrer Scheren, von denen eine stärker entwickelt ist und die sogenannte Knackschere bildet, mit der sie unter anderem Schneckenschalen aufbrechen können.

Zimmer und seine Mitarbeiter setzten insgesamt 40 Krabben einzeln und 400 Schnecken in Gruppen zu je 100 Stück in Aquarien, die verschiedenen Szenarien unterworfen wurden. Wichtig war dabei, dass die Aquarien vom selben Wasser durchströmt wurden: Aus anderen Versuchen weiß man, dass Schnecken dünnere Schalen ausbilden, wenn sie im Wasser über längere Zeit keine Hinweise auf Feinde wahrnehmen. In der Folge wurden die Tiere in vier Gruppen eingeteilt: Für zehn Krabben und 100 Schnecken änderte sich in puncto Temperatur und pH-Wert nichts gegenüber der Kieler (Ostsee-)Bucht, aus der sie stammten, während eine Gruppe in fünf Grad wärmerem Wasser gehalten wurde, wieder eine andere bei niedrigerem pH-Wert (7,7 statt 8,0). Die Umgebung der vierten war wärmer und saurer.

Fünf Monate beließen die Biologen die Tiere unter diesen Bedingungen, dann untersuchten sie, ob sich etwas geändert hatte. Zu diesem Zweck wurde sowohl die Widerstandskraft der Schneckenhäuser gemessen als auch die Kraft der Knackscheren. Zusätzlich erhoben die Forscher, ob die Krabben Präferenzen zeigten, wenn ihnen kleine, im Durchmesser sieben bis acht Millimeter, oder 13 bis 14 Millimeter große Schnecken dargeboten wurden.

Große Schnecken bevorzugt

Die Idee dahinter: Wären nur die Schneckenschalen dünner, wäre damit zu rechnen, dass die Krebse bevorzugt große Exemplare wählen, wohingegen sie sich auf kleinere verlegen sollten, wenn nur die Krebse geschwächt würden. Die dritte Möglichkeit war freilich, dass Räuber und Beute gleichermaßen betroffen wären und sich daher keine großen Unterschiede zum bisherigen Verhalten ergeben würden.

Wie sich herausstellte, bevorzugten alle Krabben vor wie nach dem Experiment große Schnecken. Allerdings konnte die Knackschere jener Krabben, die fünf Monate in angesäuertem Wasser verbracht hatten, nicht so fest zupacken wie die der anderen: Der Schließmuskel, der über die Kraft der Knackschere entscheidet, war bei ihnen kürzer als bei den anderen drei Gruppen.

Zimmer geht davon aus, dass das sehr wohl am niedrigeren pH-Wert liegt, denn auch von anderen Meerestieren kennt man solche Effekte: Schlangensterne bauen Muskelmasse ab, und Blaukrabben weisen eine verminderte Immunabwehr gegen Krankheiten auf. "Offenbar sind viele Arten imstande, die Effekte der Versauerung zu kompensieren", subsumiert der Physiologe, "aber sie zahlen einen Preis dafür."

Ungeklärte Verhältnisse

Interessante Interaktionen zwischen Temperatur und pH-Wert fand Zimmers Gruppe bei den Schnecken: Kleine Exemplare entwickelten unter sauren Bedingungen tatsächlich dünnere Schalen, aber nicht, wenn gleichzeitig die Temperatur erhöht war. Warum das so ist, können sich die Forscher vorläufig nicht erklären. Überraschend für Zimmer und seine Kollegen war auch, dass große Schnecken, die der Gruppe "warm", "sauer" oder "beides" angehörten, leichter von Krabben der Kontrollgruppe zerdrückt wurden als Schnecken, die gleichfalls unter naturnahen Verhältnissen lebten, während bei kleineren Exemplaren nichts dergleichen feststellbar war.

Insgesamt lässt sich über diese beiden Arten sagen, dass sie durch höhere Temperaturen und niedrigere pH-Werte zwar beeinflusst werden, ihre Beziehungen untereinander jedoch unverändert bleiben: Die Krabben jagen nach wie vor bevorzugt und erfolgreich große Schnecken. Heißt das, dass die Erderwärmung vielleicht gar nicht so schlimme Konsequenzen haben könnte wie befürchtet? "Es ist zu früh für sichere Vorhersagen zu den ökologischen Auswirkungen des Klimawandels", betont Zimmer, " verschiedene Tier- und Pflanzenarten reagieren unterschiedlich auf Umweltveränderungen, und selbst wenn sie sich anpassen können, bleibt unsicher, ob sie mit dem Tempo des Klimawandels Schritt halten können."

In ihrem neuen Projekt verlegen sich Zimmer und seine Mitarbeiter auf die Alpen: Unter dem Titel "Bianco" (Biotic Interactions in a Changing World) beobachten sie weiter die Wechselwirkungen zwischen Klimaveränderungen, Arten und Ökosystem. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 24.04.2013)