Suchtkranke verkauften ihre Medikamente auf dem Schwarzmarkt, sagt Polizist Franz Lang (li.). Ein kleines Phänomen, das aufgebauscht werde, kontert Drogenkoordinator Michael Dressel.

Foto: Regine Hendrich

Franz Lang: "Wir bekommen immensen Druck von verzweifelten Eltern und Lehrern, dass wir hier zu wenig tun."

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Michael Dressel: "Wien ist eine der wenigen Großstädte, wo es de facto keine Drogenszene mehr auf der Straße gibt."

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STANDARD: Knapp 17.000 Menschen erhalten Ersatzmedikamente, um trotz Drogensucht überleben zu können. Wo ist das Problem?

Lang: Das zeigen eindeutig unsere Zahlen: Es gibt einen Missbrauch von Substitutionsmedikamenten, besonders von retardierten Morphinen, die ein österreichisches, wenn nicht Wiener Spezifikum sind. Dieses Mittel wird nirgendwo sonst in Europa in dieser Menge abgegeben - und es eignet sich, wie unsere Recherchen zeigen, besonders für den Schwarzmarkt.

Dressel: Dann erklären Sie mir bitte, woraus Sie das schließen. Ihre eigenen Daten weisen diesen dramatischen Missbrauch, von dem Sie sprechen, nicht aus. Ja, es gibt einen Schwarzmarkt, und zwar so lange, wie es Substitutionsmittel gibt. Aber tatsächlich liegt der Anteil der verschriebenen Tabletten und Kapseln, die auf dem Schwarzmarkt aufgegriffen werden, im Promillebereich. Selbst wenn man die Quote mal zehn rechnet, um die Dunkelziffer einzubeziehen, bleibt das immer noch ein kleines Phänomen - und Morphinpräparate sind im Vergleich zu den anderen Mitteln dabei nicht überrepräsentiert.

Lang: Da haben wir andere Zahlen.

Dressel: Glaub ich nicht! Ich hab ja Ihre verwendet.

Lang: Es wird auch nur in 0,2 Prozent aller Haushalte eingebrochen, trotzdem ist das nicht leiwand. Es ist der Job der Polizei, Kriminalität zu minimieren, doch beim Handel mit Substitutionsmitteln geht die Entwicklung in die falsche Richtung: Die Kurve zeigt bei den Anzeigen nach oben.

Dressel: Aber nur, weil genauer hingeschaut wird. Gemeinsam mit der Wiener Polizei haben wir von der Drogenkoordination ein Projekt gestartet, um Suchtkranke vom Schwarzmarkt zu holen und in reguläre Betreuung durch die Gesundheitsbehörden zu bringen. Mehr Anzeigen waren die logische Folge. Da können Sie jetzt nicht plötzlich so tun, als ob das Problem größer geworden wäre.

STANDARD: Also ein Leger, wie man auf Wienerisch sagt?

Lang: Nein. Die Polizei geht gezielt auf die Dealer los, nicht auf gewöhnliche Konsumenten. Es gibt eine lange Liste von Aufgriffen, bei denen mehr als 100 Stück gefunden wurden.

STANDARD: Im Schnitt beschlagnahmt die Polizei pro Aufgriff aber nur sechs bis sieben Stück.

Lang: Weil auch in kleinen Fällen die Pflicht zur Anzeige besteht.

Dressel: Auf einen riesigen Schwarzmarkt deutet diese Zahl jedenfalls nicht hin.

STANDARD: Wie können Süchtige ihre Rationen schwarz verkaufen, ohne an Entzug zu leiden?

Dressel: Manche schlucken die Pillen nicht, sondern lösen den Inhalt auf, um sich diesen zu spritzen. Weil das die Wirkung verstärkt, können sie einen Teil verkaufen - mit dem Hintergedanken, sich zusätzlich Drogen zu besorgen. Dieses Problem ist real, da hat General Lang recht, deshalb haben wir ja das Wiener Projekt gestartet. Patienten, die auf dem Schwarzmarkt erwischt werden, müssen ihr Mittel unter Aufsicht in der Apotheke einnehmen.

Lang: Nur scheint die Kontrolle bei dem großen Kreis an Klienten nicht zu funktionieren. Da werden Rezepte für Monatsrationen ausgegeben, vom Arzt sehen die Patienten nur das Wartezimmer. Ein Konsument hat uns erzählt, er habe nur die Hälfte der Mittel für sich gebraucht und mit dem Rest dank Schwarzmarkt gut gelebt. Andere spucken die Pillen, die sie in der Apotheke eingenommen haben, draußen aus.

Dressel: Nicht, wenn sie das Mittel in Wasser aufgelöst einnehmen müssen. Ich stimme ja zu, dass man Kontrolle und Verschreibung weiter verbessern kann. Aber nicht bös sein: Die Polizei hat nicht zu entscheiden, welche Medikamente in einer Therapie einzusetzen sind. Das ist ein rein medizinisches Thema.

Lang: Aber Fragen dürfen wir schon stellen, oder? Zum Beispiel, ob mit dem Einsatz von Morphin die Ziele der Substitutionstherapie erreicht werden. Schließlich geht es darum, die Menschen von der Kriminalität und der Nadel wegzubringen.

Dressel: Das lässt sich aber nicht so einfach verordnen. Spritzen ist eine autoaggressive Form des Konsums, die mit der Sucht selbst zu tun hat. Und da ist es allemal besser, es wird ein Substitutionsmittel gespritzt als dreckiges Straßenheroin.

STANDARD: Wo nicht Morphin verwendet wird, gibt es ähnliche Probleme. Laut einer deutschen Studie spritzt fast die Hälfte der Methadon-Patienten nebenbei Heroin.

Lang: Das muss man überprüfen. Es gibt auch positive Erfahrungen: Vorarlberg setzt wenig Morphin, sondern hauptsächlich Methadon ein. Ich habe auch das Gefühl, dass dort Strategien gesucht werden, damit jemand aus der Sucht aussteigen kann. In Wien, wo das nur fünf Prozent schaffen, scheint diese Chance negiert zu werden. Ich vermisse eine Drogenstrategie, die alle Möglichkeiten einbezieht.

Dressel: Die Behauptung, dass Vorarlberg erfolgreicher ist, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Wien scheut keinen Vergleich - doch dazu muss man erst Kriterien festlegen, die vergleichbar sind. Genau das habe ich den Kollegen in Vorarlberg nun vorgeschlagen.

STANDARD: Können Sie denn den Erfolg des Wiener Weges belegen?

Dressel: Ja. Wien ist eine der wenigen Großstädte Europas, in der es de facto keine Drogenszene auf der Straße mit mehr als zehn Leuten mehr gibt. Das war ein harter Weg gemeinsam mit der Wiener Polizei. Deswegen brauchen wir auch keine Konsumräume, wo sich Suchtkranke Heroin von der Straße spritzen müssen.

Lang: Stimmt. Aber das hat mit vielen Faktoren zu tun.

Dressel: Der Einsatz von Morphin ist einer davon, weil man damit schwer Suchtkranke besonders gut in Behandlung bekommt und hält. Vergleichen wir Wien mit Paris, wo Buprenorphin als Alternative verwendet wird. Dort sind die Suchtkranken in die Ghettos am Stadtrand verbannt, wo sich die Polizei nur mehr in Mannschaftsstärke hineintraut.

Lang: Sie haben mir - vielleicht zu Recht - vorgeworfen, dass ich in ihrem Metier herumfuhrwerke. Jetzt tun Sie aber das Gleiche in meinem Metier: Die Ghettobildung hat mit vielen sozia- len Hintergründen zu tun, aber nicht mit dem Mittel der Substitution.

Dressel: Natürlich gibt es mehrere Ursachen, aber einen Einfluss auf die Situation in den Vorstädten hat die Drogenpolitik sehr wohl.

STANDARD: Es gibt hierzulande Jahr für Jahr mehr Substitutionspatienten, aber - anders als in Deutschland - nicht weniger Drogentote. Ein Zeichen für Misserfolg?

Dressel: Die Anzahl der gemeldeten Todesfälle ist nur bedingt ein Indikator für Erfolg. Außerdem zählen die Deutschen anders als die in dem Fall akribischen Österreicher. Wenn etwa das große Land Brandenburg, in dem es sehr wohl eine Drogenszene gibt, nur vier Todesfälle meldet, dann ist das nicht plausibel. Überdies spielen dabei auch ganz andere Faktoren als die Substanz eine wesentliche Rolle. Zum Beispiel sterben überproportional viele Menschen, die gar nicht in Behandlung sind - egal, in welcher. Einfach zu behaupten, die Morphinpräparate seien schuld, ist unzulässig.

Lang: Das sagt die Polizei auch nicht. Aber genauer wissen wollen wir es schon. Deshalb fordern die Innenministerin und wir eine Überprüfung des Programms. Es wird gute Gründe haben, warum Morphin in fast allen anderen Staaten nicht eingesetzt wird.

Dressel: Das beweist gar nichts. Es könnte ja sein, dass Österreich ausnahmsweise einmal Vorreiter ist. Da ist ja auch nicht eine kleine Gruppe wild gewordener Ärzte am Werk. Unter den Medizinern in Österreich gibt es einen breiten Konsens, Morphin einzusetzen.

STANDARD: Braucht es in der Drogenpolitik einen insgesamt restriktiveren Kurs, Herr Lang?

Lang: Mein Job ist allein, die Kriminalität zu senken. Auch wenn sich eine Methode selbst für die Beste hält, entbindet das nicht von der Pflicht zur kritischen Reflexion. Wir bekommen immensen Druck von verzweifelten Eltern und Lehrern, dass wir da zu wenig tun. Wenn die Polizei also für Missstände verantwortlich gemacht wird, darf sie sich auch über die Ursachen Gedanken machen.

Dressel: Ich behaupte ja nicht, dass wir den Kampf gegen Missbrauch nicht verbessern können. Mit der Wiener Polizei sind wir uns da eh einig - ich zweifle nur daran, ob das auch mit dem Bundeskriminalamt und der Innenministerin möglich ist. Denn hier wird einfach ein Problem herbeigeredet. (Gerald John, DER STANDARD, 22.4.2013)