Bild nicht mehr verfügbar.

"Anschläge verursachen meist übertriebene Reaktionen, die auf lange Sicht gesehen mehr Schaden als nötig anrichten."

Foto: Reuters/Latif

Benjamin H. Friedman verneint ein Erstarken der Rechtsextremen in den USA: "Für Anschläge braucht es oft nur ein oder zwei Menschen, keine starke Organisation."

Foto: privat

derStandard.at: Bis jetzt können wir über die Urheber der Bombenexplosionen nur spekulieren. Trotzdem: Was denken Sie über die Anschläge? Warum traf es ausgerechnet den Boston Marathon?

Friedman: Ich weiß es nicht. Ich glaube es macht auch keinen Sinn, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Warum gerade Boston? Wahrscheinlich ganz einfach, weil der Täter hier lebt.

derStandard.at: Die Bomben gingen am Patriots' Day in die Luft. Purer Zufall oder ist damit eine Symbolik verbunden?

Friedman: Der Patriots' Day wird außer in Boston und Massachusetts kaum wo gefeiert. Ich selber bin auch aus Boston und mit diesem schulfreien Feiertag aufgewachsen. Die Tatsache, dass es dieser Tag war, hat viele Spekulationen ausgelöst, dass der Anschlag auf das Konto einer rechtsextremen Terror-Gruppierung geht. Es ist auch der Tag, bis zu dem die Steuern gezahlt werden müssen. Aber in den meisten Fällen werden Anschläge nicht für ein bestimmtes symbolisches Datum geplant. Es ist realistischer, dass es einfach an diesem Tag passierte, weil eben dann der Boston Marathon stattfindet.

derStandard.at: Sie haben rechtsextreme Gruppierungen erwähnt. Wächst deren Einfluss, seit Barack Obama Präsident ist?

Friedman: Sie sind nicht sehr stark, es ist oft nicht einmal angebracht, von Gruppierungen zu sprechen. Es ist mehr ein Zusammenfinden von Individuen, die gewissen Ideologien anhängen. Und natürlich waren diese Leute in der Vergangenheit schon für Anschläge verantwortlich, wie in Oklahoma City in den 90er Jahren oder bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Aber in der jüngsten Vergangenheit haben wir von diesen Leuten eher wenig gehört. Sie werden vielleicht etwas mehr Zulauf haben seit der Obama-Präsidentschaft, aber sind eigentlich immer noch sehr schwach. Doch für Anschläge braucht es oft nur ein oder zwei Menschen, keine starke Organisation.

derStandard.at: Es hat schon danach ausgesehen, dass die Behörden es erwägen, die strengen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere auf Flughäfen und in Flugzeugen wieder etwas zu lockern. War das ein Fehler und vielleicht sogar ein Anreiz für den Anschlag?

Friedman: Nein, ich bin der Meinung, dass wir seit 9/11 viel zu viele Sicherheitsvorkehrungen treffen, insbesondere bei Flügen. Ich glaube diese Maßnahmen sind viel zu beschwerlich und die Kosten übersteigen den Nutzen. Es wäre also gut, hier etwas zurückzuschrauben.

Jeder Anschlag wird als Rechtfertigung dafür benützt, noch mehr Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, aber der Tag nach so einem Ereignis ist garantiert nicht der beste, um diese langfristigen Maßnahmen zu ändern. Das sollte in Ruhe und wohlüberlegt passieren. Ich glaube nicht, so wie Mitch McConnell von den Republikanern das heute ausgedrückt hat, dass, sobald wir selbstgefällig und selbstsicher über Terrorismus reden und denken, wieder eine Attacke passieren wird und wir deshalb wachsam sein müssen. Das Gegenteil wäre wichtig: ein entspannterer Umgang mit Terrorismus.

derStandard.at: Gab es in der letzten Zeit Änderungen in der US-amerikanischen Sicherheitspolitik?

Friedman: Nicht wirklich. Es gibt natürlich Änderungen in einzelnen Städten oder Bundesstaaten, weil das oftmals auch auf dieser Ebene geregelt wird. Aber betrachtet man die politischen Maßnahmen des Heimatschutzministeriums (Homeland Security), dann sind die seit 9/11 gleich geblieben. Die Technologien haben sich verändert und auch die außenpolitische Ausrichtung, aber ansonsten ist es statisch geblieben.

derStandard.at: Wird das jetzt einen weiteren Schub an neuen Sicherheitsmaßnahmen auslösen?

Friedman: Es wird sicher verhindern, dass diese Vorkehrungen in naher Zukunft gelockert werden. Vieles wird davon abhängen, was nun bei den Ermittlungen herauskommt. Wenn der Täter aus dem Ausland stammt und es Probleme mit dem Aufenthaltsstatus gab, oder diese Person im Vorfeld verdächtige Dinge getan hat, die die Behörden eigentlich aufmerksam hätten machen sollen, dann wird das sicher eine Auswirkung haben. Der Boston Marathon ist der größte Marathon der Welt, dort sind Menschenmassen im Freien, da kann man nicht jeden screenen. Man muss einfach akzeptieren, dass man gewisse Risiken nicht ausschalten kann. Anschläge verursachen meist übertriebene Reaktionen, die auf lange Sicht gesehen mehr Schaden als nötig anrichten.

derStandard.at: Wird der Marathon nächstes Jahr wieder stattfinden?

Friedman: Ja, da bin ich mir sicher. Wir haben hier in Boston sehr viele öffentliche Events, an denen eine Vielzahl von Leuten teilnimmt. Die Boston Red Sox haben noch viele Spiele vor sich, das Basketball-Spiel und das Hockey-Team ebenfalls. Es wird den Leuten zurück in die Normalität helfen, wenn sie sich in ein Stadion mit 30.000 Leuten setzen. (ted, derStandard.at, 16.4.2013)