Eltern, die zum Kreischen sind: Das Mädchen Victoria (Megan Charpentier) im Horrorfilm "Mama".

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Wien - Die zwei Kinder, die sich gegen jede Regel der Wahrscheinlichkeit in freier Natur behaupten konnten, benehmen sich wie Tiere. Als man sie entdeckt, in einer kleinen, abgeschiedenen Hütte mitten im Wald, klettern sie insektenhaft flink über den Boden oder springen geschickt über die Kücheneinrichtung. Anstatt zu sprechen, stoßen sie seltsames Fauchen oder Knurrlaute aus; das bei weitem Unheimlichste an ihnen aber ist, dass sie so agieren, als wären sie nicht völlig alleine in ihrer Welt - die Schwestern hätten einen imaginären Vormund, erklärt der Psychologe.

Doch Psychologen ist in Horrorfilmen wie Mama, dem ungewöhnlichen Debüt des gebürtigen Argentiniers Andy Muschietti, nicht zu trauen. In den USA wurde der Film, für dessen Qualität ein im Fach hochgeschätzter anderer Regisseur gebürgt hat, zum Überraschungserfolg (70 Mio. Dollar Einspielergebnis). Guillermo del Toro (Pans Labyrinth) hat als ausführender Produzent geholfen, Muschiettis ursprünglich nur als Kurzfilm - eine Art Visitenkarte - vorhandene Grundidee zum Langfilm aufzupumpen.

Am Anfang von Mama steht eine Familienkatastrophe, die damit endet, dass ein Vater (Nikolaj Coster-Waldau) mit seinen beiden Töchtern in einem düster-romantischen Winterwald abtaucht. Ein paar Jahre später werden sie gefunden, ihr Onkel Lucas (wieder Coster-Waldau) und seine Freundin Annabel wollen die Vormundrolle übernehmen. Jessica Chastain spielt diese Frau, die bald auf sich allein gestellt ist, in gewöhnungsbedürftiger Goth-Kultur-Aufmachung.

Not der Ersatzeltern

Für die verwilderten Mädchen bringt sie anfangs wenig mütterliche Gefühle auf. Auf beiden Seiten muss das Vertrauen erst erarbeitet werden. Schließlich mehren sich jedoch in dem eigens neu bezogenen Haus Anzeichen dafür, dass es einen Untermieter gibt.

Das Gefinkelte an dem Drehbuch von Mama ist, dass es eigentlich nur vertraute Verhaltensmuster zwischen Kindern und Ersatzeltern aus einem etwas anderen Licht beleuchtet. Muschietti verleiht dem Schrecken in seinem Film eine melodramatische Grundierung. Das Böse hat hier mehr mit emotionalen Verbindungen zu tun als mit irrationalen Kräften, mehr mit Hinwendung als mit Abwehr. Das führt zumindest ein Stück weit in die Richtung fantastischer Horrorfilme wie Victor Erices Meisterwerk The Spirit of the Beehive.

Mit erfindungsreichen Darstellungen, die sich eher aus dem Fundus von Märchen- und Mythenwelten bedienen, gelingen Mama auch schöne Schauereffekte, die vordergründige Schockmomente meist umgehen. Ein paar knallende Türen, gutturale Gesänge und im Hintergrund des Bildes vorbeihuschende Figuren weniger hätten allerdings auch genügt.

Zur Wirkung des Films trägt nicht zuletzt auch die Gestaltung der Antagonistin bei, die keine reine Computersimulation ist, sondern mithilfe von Javier Botet entstanden ist - einem Darsteller, der aufgrund einer genetischen Erkrankung über besonders lange Gliedmaßen verfügt. Aus seinen Umarmungen lässt es sich eben nicht leicht befreien. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 17.4.2013)