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"Mein Eindruck: Diese Serien sind mehr ein Mädchen- als ein Bubending": Jessica Pare als Megan Draper und Jon Hamm als Don Draper in einer Szene aus "Mad Men".

Foto: AP Photo/AMC, Michael Yarish

Damals, als bei mir daheim das Telefon klingelte und ich kurz dachte, oh, der amerikanische Präsident ist dran, wusste ich: Ich sollte besser den DVD-Spieler ausschalten. Was gemein war, denn Jack Bauer stand einmal mehr kurz davor, die Welt zu retten; zwei, drei Stunden noch – den Spion enttarnen, den georgischen Mafiaboss foltern, dabei den Präsidenten telefonisch auf dem Laufenden halten, ein, zwei Flugzeugabstürze überleben. Aber dann hätte die Welt wieder aufatmen können. Und ich auch. Und der US-Präsident hätte Jack Bauer angerufen, um ihm zu danken. Oder mich. Doch das war ja Schmarrn.

Mit 24, dieser vor allem in der ersten Staffel fulminanten und  revolutionären Serie, fing vor etwa sechs Jahren meine Verschiebung der Wahrnehmung an. Ich pfiff auf das Fernsehprogramm, das mir vorschrieb, einmal die Woche dienstags spät abends 60 Minuten ansehen zu dürfen, zerhackt durch zwei Werbeblöcke. Dieser Rhythmus widersprach komplett dem Konzept der Serie: Bedeutete 24 doch 24 Folgen in 24 Stunden, die Jack Bauer jeweils blieben, um die Atombombe zu entschärfen oder den Killervirus am Ausbrechen zu hindern. Und was der in 24 Stunden erledigte, sollte ich mir über 24 Wochen verteilt ansehen? Also habe ich mir die Staffel gekauft. Und mit mir hunderttausend andere. Und ich hab gleich am ersten Tag 14 Stunden mehr oder weniger am Stück geschaut. Mindestens zehn Stunden länger, als ich mir vorgenommen hatte.

Das Übel fängt an

So fing alles Übel an. Immerhin, ich erkannte die Suchtgefahr und habe mich die nächsten Jahre sehr vernünftig verhalten, habe nur künstlerisch wertvolle Serien gekauft, die den DVD-Schrank zierten wie ein abgegriffener Band Zauberberg von Thomas Mann: Kir Royal von Helmut Dietl, Fast wie im richtigen Leben mit Gerhard Polt und später natürlich Braun schlag. War nett, aber der Bär steppte nicht wahnsinnig.

Wie so oft las ich zu jener Zeit, dass ich nicht originell, sondern Teil einer großen Masse bin, die immer weniger fernsieht, sich ihr Programm immer häufiger selbst zusammenstellt, die sich also vom lahmen Fernsehen emanzipiert hat. Dafür ist sie bereit zu zahlen – wenigstens jener Teil, der sich die Serien nicht illegal runterlädt. Die Drehbuchschreiber in den USA hätten längst dieses neue Verhalten in ihrer Dramaturgie berücksichtigt. Ich war also – wieder einmal – eine Mitläuferin. Ein zentraler Aspekt kam dabei kaum zur Sprache: Vielleicht hätten sich die Zuschauer zehn Jahre früher auch schon so verhalten, aber damals gab es eben keine kompletten Serien auf DVD zu kaufen.

Virtueller Supermarkt

Inzwischen bin ich längst wieder Serienjunkie. Der Rückfall begann mit Mad Men. Und der kam so heftig von allen Seiten und von allen Medienseiten, dass ich mir quasi gegen meinen Willen bei iTunes, diesem virtuellen Supermarkt für Musik und Filme, die erste Staffel runtergeladen habe. Und wie ich mir bei der ersten Folge noch so denke: Also ihr mit eurer New Yorker Werbeagentur und dem 60er-Jahre-Kram kriegt mich nicht, war ich schon heimlich in die traurigen Augen Don Drapers verliebt und wollte ihn, wie viele andere Frauen, die ich kenne, auch, heimlich retten, damit er nicht ständig Whiskey trinken muss, um seine Fassade und die erschwindelte Biografie aufrechtzuerhalten.

Am Ende der vierten Staffel hatte weniger er Entzugserscheinungen vom Whiskey als ich von der vorerst letzten Folge – so sehr, dass ich die fünfte Staffel, obwohl sie Wochen später griffbereit im Schrank lag, ein halbes Jahr nicht angesehen habe, aus Angst, ich könnte wieder in dieses Loch fallen, die Feierabende für sinnlos halten und die Gespräche mit meinem Mann für vertane Zeit. Dann kaufte ich Westwing, die hochgelobte Serie über den Alltag eines US-Präsidenten und seiner MItarbeiter – nett, schnell, witzig; sicher – aber war mir egal.

Tatort? Dancing Stars, Club 2? Fernsehen, altes Medium. Oder wie die Filmregisseurin Doris Dörrie sagt: "Alle acht Minuten stirbt ein ZDF-Zuschauer." Ich aber will nicht sterben. Darum habe ich mir im Urlaub in Vietnam Downton Abbey gegönnt. Nur die erste Staffel wollte ich bei iTunes runterladen, leider wackelte und ruckelte das WLAN so in den Hütten am Strand, dass mein Computer 31 Stunden Ladezeit signalisierte. Pro Folge!

Ich bitte um ein bisschen Verständnis, ich war zerrissen: Meinem Mann gegenüber tat ich so, als sei mir die Serie überhaupt nicht wichtig, sondern er, der Strand und der Sonnenuntergang. Dabei musste ich die innere Erregung überspielen, ob es a) gelingen würde, die nächste Folge bis zum Abend runterzuladen, und b) ob Mary, die Tochter seiner Lordschaft, trotz ihres Seitensprungs mit dem türkischen Attaché noch Matthew, den Erben von Downton, heiraten darf. Ich meine, wir reden hier von England 1918!

Moderne Zeiten

Auffallend: Alle schauen sich zur selben Zeit die gleichen Serien an. Das sind die modernen Zeiten, Das spricht sich herum und wird auf Facebook mitgeteilt und "ge likt", wie wir halt heute so reden. Und dann schaut man mal rein, ein kurzer Trailer, vielleicht die erste Folge, man muss nicht warten auf einen bestimmten Tag, eine vorgegebene Uhrzeit, alles ist 24 Stunden und sieben Tage weltweit verfügbar, so sind wir es inzwischen gewohnt. Und auf Facebook gibt es Hilfeschreie, wo man sich bitte Episode acht der zweiten Staffel besorgen könnte.

Wer jetzt noch nicht Homeland angeschaut hat, steht außerhalb, und das mit schwachen Argumenten. Wer jetzt Freundinnen trifft, muss nur fragen: "Warum hat Saul den Lügendetektortest bei der CIA abgebrochen?", und schon wird mit einer Inbrunst über Homeland diskutiert, die alle relevanten Themen der Zeit zweitrangig erscheinen lässt. Viel wichtiger im Moment ist die Frage, ob Nick Brody, der US-Soldat, wirklich in irakischer Gefangenschaft umgedreht wurde und nun mit den arabischen Terroristen gemeinsame Sache macht oder nicht.

Mein Eindruck: Diese Serien sind mehr ein Mädchen- als ein Bubending. Ja, Männer schauen sie sich auch gern an, aber mehr, weil es hier um Krieg und grundsätzliche Fragen geht, weil sie sich gut unterhalten fühlen. Frauen jedoch leben mit der Serie, denken in ihrer Freizeit und am Schreibtisch darüber nach, ob es logisch oder lächerlich ist, dass sich Carrie, die CIA-Agentin, die auf Nick Brody angesetzt ist, ausgerechnet in ihn verliebt. Wer abends ausgeht und sieht, dass sich ein paar Frauen die Köpfe heißreden, kann im Moment lässig punkten, wenn er kurz die Frage einwirft: Homeland? Es sind so viele offene Fragen, die besprochen werden müssen.

Ich aber fühle mich leer. Sehr leer. Die dritte Staffel Homeland wird in den USA erst im September ausgestrahlt. Keine Ahnung, was ich in der Zwischenzeit mache. Ja, ja, die Serie Breaking Bad soll auch toll sein, doch schon die Ankündigung: todkranker Mann experimentiert mit chemischen Drogen, um sie zu verticken, ist mir sowas von wurscht. Girls, ebenfalls hochgelobt, reizt mich irgendwie nicht. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen und zu einem normalen Leben ohne Drehbuch zurückkehren und das echte Leben wieder spannend finden.

Also morgen Wochenkarte kaufen, Hundefutter nicht vergessen, am Samstag bis 15 Uhr zum Wertstoffhof fahren, Tante Elisabeth anrufen, fragen, ob ihr Knie nach dem Sturz wieder funktioniert. Na, gegen so ein Live-Programm verblassen doch die Machtkämpfe bei der CIA.

Leider plane ich im Moment keine Fernreise. Dann könnte ich den heißen Tipp wahrnehmen, der unter Serienjunkies auf Entzug die Runde macht. Er lautet: Mit einer der Airlines aus den Arabischen Emiraten fliegen. Die haben in der Regel ein Bordprogramm, das nicht nur hunderte von Filmen parat hält, sondern auch dutzende neuer Fernsehserien, von denen wir hier noch wenig gehört haben. Da hat man dann viele Stunden Zeit, die jeweils erste Folge anzuklicken und sich zu beobachten, ob man darauf anspringt.

Kurz umgeschaut

Wie weit meine Überidentifikation mit einer Serie wie Homeland geht, habe ich letzten Samstag gemerkt: Ein Verkäufer beriet mich beim Kauf eines neuen Rechners und legte mir ein Notebook der Firma Acer ans Herz. Er sprach es amerikanisch aus, "Äissa". Und ich habe mich kurz umgeschaut, ob sich Abu Nazir, der Superterrorist, hinter einem der Regale versteckt? Sein Sohn, dessen Tod er zusammen mit Nick Brody rächen will, heißt fast so wie die Computerfirma, Issa. Und nachts, wenn Nick Brody Albträume hat, schreit er manchmal seinen Namen: "Issa!" Aber er schreit es amerikanisch: "Aissa!"

Ich aber habe den Rechner, der mir empfohlen wurde, nicht gekauft. Ich bin innerlich noch nicht so weit, dass ich mir das Firmenlogo ansehen könnte, ohne an Homeland zu denken. Meine Eingliederung in das normale Leben würde dann noch länger dauern. (Susanne Schneider, DER STANDARD, Album, 13.(14.4.2013)