"Die Reaktion der Szene zeigt uns, wie wichtig solche Urteile sind": Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham.

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Am 11. Jänner wurden der Neonazi Gottfried Küssel und die zwei Mitangeklagten Felix B. und Wilhelm A. wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt, weil sie die neonazistische Website Alpen-Donau.info und ein dazugehöriges Forum initiiert und betrieben haben sollen. Küssel erhielt neun Jahre, B. sieben und A. viereinhalb Jahre unbedingte Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Nach dem Urteil hatten manche Beobachter befürchtet, es könne in der Szene einen Märtyrer-Effekt auslösen. Solidarisierungsaktionen wurden erwartet. Doch davon sei auch drei Monate nach Prozessende nichts zu spüren, sagt Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Das zeige, "wie wichtig solche Urteile und die Anwendung des Verbotsgesetzes sind", meint Peham im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Wie hat die Neonazi-Szene auf die überraschend harten Urteile im Küssel-Prozess reagiert?

Peham: Mit einer Art Schrecksekunde, die auch jetzt noch nicht zu Ende ist. Es wirkt so, als wären die Mitglieder der engeren Szene in alle Richtungen verstreut. Es gibt wenig Solidarität mit Küssel - dabei wäre das ja das ureigenste Anliegen der Neonazis. Von ein paar Vorfällen in Wien und Umgebung abgesehen gibt es diesbezüglich keine Aktionen.

derStandard.at: Eine Art Märtyrer-Effekt ist also nicht zu bemerken?

Peham: Bis jetzt nicht, das hat uns auch überrascht. Es hängt vielleicht damit zusammen, dass die Militanz von Alpen-Donau.Info, die dort zur Schau gestellte offene Gewaltverherrlichung, die Morddrohungen sogar in der Neonazi-Szene nicht von allen goutiert wurden. Das könnte eine Erklärung sein, warum es bis jetzt überhaupt keine Kampagne zur Stilisierung Küssels als Märtyrer gegeben hat. Das kann aber natürlich in ein paar Monaten noch kommen.

derStandard.at: Könnte es sein, dass Küssel von der Szene fallengelassen wurde?

Peham: Nein, das glaube ich nicht. Zumindest nicht offen. Küssel ist eine Autorität, man verbrennt sich an ihm nicht die Finger.

derStandard.at: Ist die Szene jetzt zersplittert?

Peham: Ja, weil sie führerlos ist. Das hat die Rolle Küssels, aber auch Felix B.s nachträglich noch einmal deutlich gemacht - beide waren treibende Kräfte im östlichen Bundesgebiet. Es ist derzeit ruhiger in der Szene. Schon kurz nach den Hausdurchsuchungen bei Küssel und Co war dieser Beruhigungseffekt zu bemerken. Das zeigt uns einmal mehr, wie wichtig solche Urteile und die Anwendung des Verbotsgesetzes sind, wegen der abschreckenden Wirkung. Und man darf auch nicht vergessen, dass in der Steiermark weitere Strafverfahren im Gange sind gegen Personen, die mutmaßlich mit Alpen-Donau.Info zu tun haben - Franz Radl beispielsweise. Diese behördliche Verfolgung hat für die Steiermark ähnlich gewirkt.

derStandard.at: Ist die Szene nur nach außen hin vorsichtiger geworden, oder ist sie tatsächlich geschwächt?

Peham: Manche haben sich umorientiert in Richtung "weicherer" Formen des Rechtsextremismus - etwa zu den Identitären. Da gibt es personelle Kontinuitäten. Und man merkt, dass sie tatsächlich in puncto Gewaltverherrlichung einen Gang zurückgeschaltet haben. Das kann sich aber auch wieder ändern, wenn dieser Schockzustand infolge des Küssel-Urteils vorbei ist. Ein anderer Teil der Szene ist im klassischen Neonazismus verblieben. Vieles findet jetzt aber informell statt, in Foren, in Social Media. Wobei uns die Erfahrung zeigt, dass diese losen Kontakte in eine organisatorische Verdichtung umschlagen, sobald eine gewisse Stärke erreicht ist.

derStandard.at: Wenn ein hartes Urteil zu einem Schockzustand führt - gilt dann auch der Umkehrschluss, dass milde Urteile in Wiederbetätigungsprozessen die Szene aufleben lassen?

Peham: Auf jeden Fall. Wir haben das im Herbst 2008 nach dem skandalösen Freispruch im Prozess gegen den Bund Freier Jugend (BfJ) in Oberösterreich erlebt. Das Urteil hat einen enormen Drive in die Szene gebracht. Ich glaube auch, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem BfJ-Freispruch und der Gründung von Alpen-Donau.Info gibt. Initiiert wurde Alpen-Donau.Info ja kurz danach. Dass das Selbstbewusstsein der Szene durch den Freispruch einen Aufwind erfahren hat, haben wir auch an einem Anstieg bei den gefährlichen Drohungen bemerkt.

derStandard.at: Die Rechtsprechung schlägt also unmittelbar auf die Aktivität der Szene durch?

Peham: Ja, unbedingt.

derStandard.at: Die Anzeigenstatistik zeigt ein starkes Ansteigen rechtsextremer Vorfälle seit Beginn der 90er Jahre. Ist die Gesellschaft bei Rechtsextremismus sensibler geworden?

Peham: Auch. Aber es gibt tatsächlich auch einen Zulauf zur rechtsextremen Szene, es gibt mehr Aktivität.

derStandard.at: Sie haben die Identitären erwähnt. Kann es sein, dass sich diese Bewegung im Lichte der harten Küssel-Urteile einen "softeren" Auftritt nach außen verpasst hat, nach innen aber weiterhin mit derselben Gewaltneigung vorgeht?

Peham: Ja, das ist durchaus möglich. Ich glaube aber schon, dass bei den Identitären Personen am Werk sind, die tatsächlich vom Neonazismus und von der Gewalttätigkeit abrücken. Ob sie es freiwillig tun und aus innerer Überzeugung oder aufgrund von äußerem Druck, kann ich nicht beurteilen. Die Frage ist, wie lang das hält. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass es immer dann zu einer Radikalisierung kommt, wenn eine neue Generation in die Szene eintritt. Die Jungen müssen sich immer erst beweisen - und das bringt mehr Gewalttätigkeit. (Maria Sterkl, derStandard.at, 15.4.2013)