Mit höheren Steuern könnten die USA ihre Fiskalkrise lösen, argumentiert Ökonom Allen.

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STANDARD: Die gesamte Eurozone ist weniger stark verschuldet als die USA. Trotzdem gilt Europa als Krisenregion und Amerika als sicherer Hafen. Warum?

Franklin Allen: Es ist wahr. Die USA sind deutlich verschuldet. Aber mit dem Blick auf die Schulden und das Defizit lässt man wichtige Punkte außer Acht. Die USA haben deutlich geringere Steuern als Europa, insbesondere keine Mehrwertsteuer auf Bundesebene. Damit haben die USA die Möglichkeit, das Problem zu lösen, indem sie die Staatseinnahmen erhöhen. 

STANDARD: Aber diese einfache Lösung zeichnet sich nicht ab.

Allen: Uns fehlt der politische Wille, das Problem auch anzupacken. Es ist kaum möglich, dass ein Kompromiss durch beide Kammern des Parlaments geht. Im Prinzip wollen die rechten Republikaner den New Deal rückgängig machen, die Demokraten aber daran festhalten. Diese Ansichten sind unvereinbar, und es zeichnet sich kein Gewinner bei diesem Streit ab. 

STANDARD: Das US-Schuldenproblem ist also lösbar, wird aber nicht so bald gelöst?

Allen: Das US-Schuldenproblem wird uns mittelfristig begleiten. Es wird aber keine große Einigung zur Lösung des Fiskalproblems geben, solange es keine akute Krise gibt. Sobald wir zur nächsten Deadline, etwa bei der Schuldengrenze, kommen, werden die Politiker aufhören zu polarisieren und auf die andere Seite zugehen. Diese ständige Unsicherheit um die Schuldengrenze schadet aber der Wirtschaft und dem Vertrauen. 

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass die USA das Schuldenlimit erreichen und pleitegehen?

Allen: Ich denke nicht, dass wir jemals eine US-Pleite sehen werden. Der 14. Verfassungszusatz (regelt die Validität der Staatsschulden; Anm.) wird es für jede Regierung schwierig machen, diesen Schritt zu setzen. Verfassungsjuristen warnen zudem, dass es eine Menge technischer Probleme bei einem Zahlungsausfall des US-Finanzministeriums gebe. So etwa das Thema von Kreditausfallversicherungen oder der Geldmarktfonds. Das wäre eine Verfassungskrise. Dazu kommt der wohl wichtigste Punkt: Es gibt keinen Grund für eine Pleite, denn es gibt genug Steuereinnahmen, die in den kommenden Jahren fließen werden.

STANDARD: Welche Rolle spielt China, der größte Gläubiger der USA?

Allen: China hat die Hälfte seines Bruttoinlandsprodukts in US-Dollar angelegt. Das ist eine sehr riskante Strategie. Gleichzeitig zahlen Chinas mittelständische Unternehmen hohe Zinsen. Wir werden wohl eine deutliche Reform des internationalen Währungssystem sehen, und der Renminbi wird zu einer dritten Reservewährung aufsteigen. 

STANDARD: Sie haben zuletzt über systemisches Risiko geforscht. Wo schlummern aktuell die Gefahren?

Allen: Dass die langfristigen Zinsen stark steigen. Wenn das passiert, werden Staatsschulden plötzlich mit einem Abschlag von 30 Prozent gehandelt. Das wird eine Menge Probleme bei Finanzinstituten auslösen. Das ist ein signifikantes, zerstörerisches Risiko. 

STANDARD: Werden das die neuen Bankenregeln nicht verhindern? 

Allen: Die Politiker und Aufseher verstehen das grundsätzliche Problem nicht. Sie gehen davon aus, dass, wenn man angemessen reguliert, es keine Krisen geben wird. Systemisches Risiko lässt sich aber mit der Regulierung einzelner Institute nicht ausschalten. Viele der laut der Regulierung sicheren Wertpapiere sind eigentlich ziemlich riskant, so wie Staatsanleihen. Die Banken sollten besser kapitalisiert sein. Das wäre der sicherste Weg.

STANDARD: Die EU-Finanzminister wollten den "Teufelskreis" zwischen Staatsschulden und Banken aufbrechen. Ist das gelungen?

Allen: Nein, und kurzfristig bleibt die Eurozone in diesem Teufelskreis gefangen. Dazu tragen auch die strengeren Kriterien für das Kapital und die Liquidität der Banken bei. Man braucht deutlich mehr Integration und fiskalisches Vermögen, um eine Bankenkrise zu verhindern. So weit ist Europa aber noch nicht. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 10.4.2013)