Nur Beschäftigte schaffen realwirtschaftliche Werte, nicht Steuerhinterziehungsexperten, meint Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann.

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Österreich sollte nicht weiter beim Standortwettlauf mitmachen und sein Bankgeheimnis für Ausländer abschaffen, fordert der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann im Interview mit derStandard.at. Mitleid mit der Finanzwirtschaft hat er nicht, dafür aber mit der Realwirtschaft. Diese habe der Kapitalblase kaum etwas entgegenzusetzen.

derStandard.at: Macht das Bankgeheimnis für Ausländer Österreich zu einer Steueroase?

Thielemann: Ja, denn es ist Diebstahl am ausländischen Steuerfundament. Das Besteuerungsrecht eines Staates für Personen hängt an deren Wohnsitz. Die Leute wohnen aber doch gar nicht in Österreich. Daher darf sich Österreich nicht anmaßen, Steuerausländer von der Besteuerung im eigenen Land zu befreien. Das tut man aber, wenn man sich dem automatischen Informationsaustausch verweigert.

derStandard.at: Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn meint, das Bankgeheimnis für Ausländer könnte fallen, jenes für Inländer aber nicht. Wäre das nicht gleichheitswidrig?

Thielemann: Nein. Jedem demokratischen Rechtsstaat gebührt die Steuersouveränität für seine im Inland ansässigen Steuerpflichtigen. Bei der Besteuerung darf und soll es ruhig Unterschiede geben. Was die Österreicher für ein gerechtes Steuersystem halten, darf ruhig von dem Frankreichs oder Deutschlands abweichen.

derStandard.at: Finanzministerin Maria Fekter fürchtet, dass das Aus des Bankgeheimnisses Jobs kostet.

Thielemann: Das sind die Arbeitsplätze einiger Banker, Treuhänder und Berater, die davon leben, dass sie wohlhabenden Steuerausländern bei der Steuerhinterziehung helfen und von den Milliarden an Schwarzgeld ein paar Millionen für sich abzweigen. Und diesen Herrschaften hilft wiederum der österreichische Rechtsstaat, der diesbezüglich ein Unrechtsstaat ist.

derStandard.at: Die Innsbrucker offshorefirma-gruenden.com wirbt mit steuersparenden Konstruktionen in Zypern und Singapur. Beim Hinterziehen helfe man nicht, schließlich könne man nicht überprüfen, ob ein Kunde sich an Steuergesetze hält. Was sagen Sie dazu?

Thielemann: Man fragt sich, für wie dumm die uns denn verkaufen möchten. Nach dieser Logik gäbe es niemals eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder auch zu anderen Straftaten. Wobei man allerdings betonen muss, dass der Rechtsstaat der eigentliche Beihelfer ist.

derStandard.at: Großbritannien, die Schweiz und Zypern sind stolz auf ihren starken Bankensektor. Ist das aus ethischer Sicht problematisch?

Thielemann: Selbst wenn man ignoriert, dass es sich bei den Vermögensbeständen zu guten Teilen um Schwarzgeld handelt, müsste man sich doch fragen: Wer erwirtschaftet die Renditen dieser Kapitalbestände? Bei Bankbilanzsummen, die irgendwo zwischen dem Fünffachen und Achtfachen des Inlands-BIP liegen, sicher nicht die Beschäftigten im eigenen Land. Stolz auf einen riesigen Finanzsektor zu sein ist übrigens bereits darum unangebracht, weil Kapitaleinkommen leistungsfreie Einkommen sind.

derStandard.at: Was sollte unternommen werden?

Thielemann: Diese überschießenden Vermögensbestände müssten kontrolliert heruntergefahren werden. Der sauberste und gerechteste Weg ist ihre Besteuerung. Dagegen wehren sich diese Finanzplätze. Ich denke aber nicht, dass die Normalbevölkerung dieses Spiel billigt, würde sie verstehen, wer da ihren Rechtsstaat missbraucht.  

derStandard.at: Haben die Menschen nicht generell den Wunsch, möglichst wenige Steuern zu zahlen?

Thielemann: Klar. Der Homo oeconomicus ist ganz lebendig. Die jahrzehntelange Indoktrination an den Wirtschaftsfakultäten hat ihre Spuren hinterlassen. Mit dem Gütesiegel der Wissenschaftlichkeit wurden Eigeninteressestreben und Gewinnmaximierung zum Inbegriff von "Rationalität" erklärt.

derStandard.at: In Deutschland erschwert es die Gesetzeslage, Offshore-Modelle anzubieten. Dafür betreibt man hier eine Niedriglohnpolitik, von der man sich Wettbewerbsvorteile erhofft. Wo ist die Grenze der Standortpolitik?

Thielemann: Überall steht die Politik unter der Direktive, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und seiner Bevölkerung im Ganzen zu stärken. Nicht nur in der Steuerpolitik, sondern etwa auch in der Bildungspolitik, die auf Humankapitalbildung zurechtgestutzt wird. Damit müsste eigentlich die Frage verbunden sein: Die Wettbewerbsfähigkeit welchen Landes möchte man denn schwächen? Letztlich macht sich die Politik damit zum Gehilfen des Kapitals, welches die zu mehr oder minder rentablen "Standorten" degradierten Länder gegeneinander ausspielt.

derStandard.at: Schwere Zeiten für demokratische Prozesse?

Thielemann: Das ist die marktkonforme Demokratie, die wir nicht erst haben, seit die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sie 2011 ausrief. Das Ergebnis dieses jahrzehntelangen Hofierens des Kapitals ist, dass die Vermögensbestände gigantische Ausmaße angenommen haben. Letztlich besteht die Finanzkrise darin, dass die Beschäftigten damit überfordert sind, diese Vermögensbestände zu bedienen. Denn natürlich schaffen nur Beschäftigte realwirtschaftliche Werte, nicht Finanzakrobaten oder Steuerhinterziehungsexperten. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 10.4.2013)