Fremde Hunde waren für Bullterrier Nessie lange Zeit ein rotes Tuch.

Foto: derStandard.at/Julia Schilly

Nach einem halben Jahr Training bei Tierverhaltenstrainerin Brigid Weinzinger reagiert sie bereits gelassen auf die Situation.

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Hunde brauchen Kopfarbeit, um ausgelastet zu sein, erklärt Weinzinger.

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Daher nannte sie ihre Firma auch "Denktier". Sie arbeitet mit auffälligen Hunden, Pferden und Katzen.

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Es sei vor allem wichtig, den Tieren Sicherheit, Selbstvertrauen und Selbstbeherrschung zu vermitteln.

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Nessie und Herrchen bei den Atemübungen: Denn der Hund spiegelt auch immer das Verhalten und die Stimmung des Halters wieder.

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Übung geglückt. Nessie macht Platz und entspannt sich.

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Der kleine Wohnwagenanhänger riecht intensiv nach getrocknetem Fleisch, an der Wand stapeln sich Hühnermägen und Stücke von Rehfell in durchsichtigen Plastikboxen. Die neunjährige Bullterrier-Dame Nessie riecht die Delikatessen, reagiert aufgeregt und macht Schmatzgeräusche. Eigentlich sollte sie jetzt aber "Platz machen" und die Position mindestens eine Minute halten. Doch sie stapft lieber von einem Bein auf das andere und zieht an der Leine, ihre Krallen klappern am Holzboden.

Mit seinen schwarz umrandeten Augen erinnert das weiße Tier an einen muskulösen Panda. "Ausatmen. Werde zu menschlichem Valium", sagt Brigid Weinzinger und lässt die Luft mit einem langgezogenen Geräusch aus ihrem Mund entweichen. Nessies Herrchen folgt der Anweisung. Und tatsächlich: Der Bullterrier legt sich auf den Boden und entspannt sich.

Im Oktober 2008 hat die Tierverhaltenstrainerin nach ihrem Ausstieg aus der Politik "Denktier" gegründet. Grundlage dafür war eine Ausbildung zur Tierverhaltenstrainerin an der University of Southampton in England. Statt für die Grünen im niederösterreichischen Landtag und später im Nationalrat zu sitzen, arbeitet Weinzinger nun auf einer Wiese in Neulengbach westlich von Wien unter anderem mit "Problemhunden". 70 Prozent ihrer Arbeit würden sich dabei aber an die Menschen richten und nur 30 Prozent an die Tiere, schätzt sie.

Bei ihrer Arbeit ist daher Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem anderen Ende der Leine gefragt. Denn niemand hört gerne, dass er Fehler macht. Hunde seien jedoch streng logisch, sagt Weinzinger: "Sie tun nur, was sich für sie lohnt." Der Durchbruch - das war auch beim Halter von Nessie der Fall - komme meist in dem Moment, wenn die Leute realisieren, dass sie mehr lernen müssen als der Hund.

Häufige Fehler im Umgang mit Hunden

Bei dem schlauen Bullterrier war ein Kreislauf aus Leinenzug und Bestätigung durch Aufmerksamkeit und sogar durch Leckerlis entstanden. Der überforderte Hundehalter musste schließlich Weinzinger konsultieren, da er bereits über Schmerzen in der Schulter klagte. Jede Art von Aufmerksamkeit sei für den Hund eine Belohnung, erklärt die Tierverhaltenstrainerin. Das sei auch einer der häufigsten Erziehungsfehler.

Weinzinger nennt ein Beispiel: "Wenn der Hund sich an der Leine extra aufführt, damit er schnell bei einem Hundekumpel ist, und der Halter sich deshalb extra beeilt: Damit hat der Hund natürlich die vollste Bestätigung für sein Gezeter bekommen."

Bei jedem Fall führt Weinzinger vorher ein langes Gespräch mit dem Halter, um den Hintergrund kennenzulernen und ein Muster zu entdecken. In vielen Fällen empfiehlt sie vorab einen Besuch beim Tierarzt, um körperliche Ursachen auszuschließen. Danach bekommen die Klienten einen schriftlichen Bericht inklusive Übungsempfehlungen. Zwei Drittel ihrer tierischen Klienten sind heute Hunde, ein Drittel Pferde. Katzenbesitzer kämen zwar auch, sagt Weinzinger, aber selten.

Entspannter Hund durch Sicherheit und Weltvertrauen

Immer wichtig seien Sicherheit, Selbstvertrauen und Selbstbeherrschung, sagt Weinzinger. Das sei nicht nur bei Tieren grundlegend im Umgang mit neuen Situationen. Für jedes richtige Verhalten bekommt Nessie daher sofort ein Leckerli und damit positive Bestätigung. Auch mit Geräuschen, also dem Klickertraining, werden gewünschte Verhaltensweisen verstärkt. Damit Hunde im Training nicht dick werden, ist es wichtig, die zusätzlichen Kalorien bei der restlichen Fütterung einzukalkulieren. Ziel ist, dass das Tier von sich aus das Richtige tun will.

Gewalt ist auch in der Hundeerziehung keine Lösung

Gewalt sei beim Training mit Hunden unbedingt zu vermeiden, sagt Weinzinger: "Aussichtslos. Lernen funktioniert nicht über Niederknüppeln." Damit verstoße man nicht nur gegen den Tierschutz, sondern handle auch komplett ineffizient. Trotzdem werde immer wieder empfohlen, mit Starkstrom zu arbeiten. Die Begründung: Bevor der Hund noch einmal zubeißt, sei es legitim, Stromschläge einzusetzen.

Damit erreiche man zwar eine kurzfristige Verhaltensänderung, da der Hund unter dem Strom zusammenbricht, sagt Weinzinger. Allerdings: "Ich habe dafür eine tickende Zeitbombe an meiner Seite anstatt eines Hundes, dem ich Sicherheit und Vertrauen in die Welt gegeben habe. Denn damit habe ich ihm erst recht bewiesen: Das Einzige, was hilft, ist Notwehr."

Spielregeln für Hunde in der Stadt

Konfliktpotenzial im Umgang mit auffälligen Hunden ist vor allem in der Stadt gegeben. Ob die Großstadt einem Hund zugemutet werden kann, hänge davon ab, wie stressanfällig er ist. Wachse ein Welpe von Anfang an unter diesen zusätzlichen Belastungen auf und bringe keine Vorbelastung mit, gehe es meistens gut. "Wenn es sich um eine sensible und stressanfällige Rasse wie einen kleinen Terrier handelt, der mitten im größten Gewühl lebt, aber lärmempfindlich ist, kann es zu Problemen kommen", so Weinzinger.

Ein temperamentvoller, schlauer Hund lasse sich aber nicht nur mit Auslauf in einem Garten zufriedenstellen. Das sei auch der Grund, warum sich große und kraftvolle Hunde in der Stadt durchaus wohlfühlen können. Es komme immer darauf an, was die Halter bereit sind auf sich zu nehmen. Hunde bräuchten nicht unbedingt einen Garten, sondern ihre soziale Gruppe, ausreichend Ruhe von 17 bis 18 Stunden pro Tag und eine vernünftige Form der Auslastung.

"Wenn man einen Hund in der Stadt vernünftig auslastet und unter Spazierengehen nicht dreimal um den Block in einem Bezirk innerhalb des Gürtels versteht, geht das sehr wohl gut", sagt Weinzinger. Nur wenn Leerlauf im Hundekopf entsteht, lassen sie sich die Tiere ihre eigenen "Spielchen" einfallen oder reagieren phlegmatisch.

Arrangement mit dem "Tyrannen"

Weinzinger sei jedoch oft auch fassungslos, mit welchen Dingen sich Menschen arrangieren. Ein Fall war eine Frau mit einem eindrucksvollen Hund, der sehr besitzergreifend war. Sie war schwanger und machte sich nun Sorgen, wie der Hund auf das Kind reagieren würde. Es stellte sich heraus, dass sie den Hund in den vergangenen Jahren permanent im weiten Bogen vor anderen Menschen sichern musste, da er aggressiv war.

In ihrer Arbeit begegnen ihr immer wieder Halter, die nur zwischen fünf oder sechs Uhr morgens spazieren gehen, um andere Hunde und Menschen zu vermeiden. Sie kann sich das nur mit Faulheit erklären: "Am Anfang wäre ein wenig Mühe nötig, um sich später Ärger zu ersparen." Die Hundebesitzer sollten daher mit der Erziehung nicht erst nach einem Jahr oder noch später anfangen.

Der Mensch ist das Problem, daher muss er auch die Lösung sein

Weinzingers schwierigsten Fälle sind jene, in denen die Halter nur nach einer Ausrede suchen, um ihren Hund einschläfern zu lassen: "Wir wurden damals bei der Ausbildung gewarnt, dass es auch Menschen gibt, die einen nur konsultieren, um dann sagen zu können 'Ich hab alles versucht.'"

Sie erzählt von einem schwerhörigen Leonberger, angeblich aggressiv auf andere Menschen, aber eigentlich nur schwer gestresst. Ein ausgewachsenes Männchen dieser Hunderasse kann bis zu 75 Kilogramm wiegen. Die Halterin hat das sensible Tier jedoch täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eineinhalb Stunden ins Büro mitgenommen. Nach einer Trainingseinheit setzten schon erste Lernerfolg ein. Der Hund lernte den Stress selbständig abzubauen: Aber die Halterin ließ den Hund trotzdem einschläfern. Manche Menschen würden ihre Hunde eben lieber einschläfern lassen, bevor sie mitbekommen, dass jemand anderer mit ihrem Tier besser umgehen kann, versucht Weinzinger eine Erklärung zu finden.

"Einschläfern ist unfair"

"Wenn der Hund medizinisch in Ordnung ist, also sein Verhalten noch bewusst steuern kann, halte ich Einschläfern für einen völlig verkehrten und unfairen Weg. Denn der Mensch hat das Problem aktiv geschaffen, daher sollte er auch daran arbeiten, das Problem wieder aktiv zu beheben", sagt die Hundeexpertin.

Nessie hat die Übungsstunde gut absolviert. Sogar auf fremde Hunde hat sie diesmal mit Gelassenheit reagiert und ist entspannt an der Leine weitergetrabt. In der ersten Stunde vor einem halben Jahr war es noch nötig, sie am VW-Bus anzubinden. Als Belohnung gibt es endlich ein paar Happen der heiß begehrten Hühnermägen, die sogleich geräuschvoll verspeist werden.

Für Weinzinger ist es ein schöner Erfolg, aber keine Überraschung: Sie habe in ihrer jahrelangen Berufserfahrung noch keinen Fall mit aggressiven Hunden erlebt, bei dem über gewaltfreies Training nicht schnell große Fortschritte erreicht werden konnten. Was sie Haltern von auffälligen Hunden raten würde? "Überwinden Sie den Trägheitsmoment." (Julia Schilly, derStandard.at, 12.4.2013)