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Die ehemalige britische Premierministerin starb am Donnerstag an einem Schlaganfall. Das Foto stammt aus dem Jahr 2010. In den letzten Jahren lebte Thatcher zurückgezogen.

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Trauernde legen Blumen vor Thatchers Haus ab.

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 Thatcher 1980 in ihrer Zeit als Premierministerin.

Foto: AP

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1969.

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Wenn man den hasserfüllten Ankündigungen Glauben schenkt, knallen jetzt in vielen linksliberalen Intellektuellen-Haushalten die Sektkorken. Anderswo, in den Vorstädten, in der City of London, in den konservativen Clubs des Landes wird es echte, tiefempfundene Trauer geben. Instinktiv spüren glühende Verehrer wie unversöhnliche Gegner: Margaret Hilda Thatcher war eine Gestalt von epochaler Bedeutung, der wichtigste Regierungschef seit Kriegspremier Winston Churchill. Kein Zeitgenosse hat die Briten so tief gespalten hat wie die erste und bisher einzige Premierministerin des Vereinigten Königreichs (1979-1990), die am Montag 87-jährig in London an einem Schlaganfall gestorben ist.

Thatcher wird kein umfassendes Staatsbegräbnis, aber eine Trauerfeier mit großem militärischen Zeremoniell erhalten. Das gab die Downing Street am Montag bekannt. Die Feierlichkeiten sollen voraussichtlich Mitte nächster Woche in der Londoner St. Paul's Kathedrale stattfinden. Der Leichnam wird auf eigenen Wunsch der "Eisernen Lady" nicht öffentlich aufgebahrt.

Fit gemacht für die Globalisierung

Sie habe Britannien wieder Great gemacht, argumentieren Thatchers Bewunderer: den kranken Mann Europas aus dem Würgegriff der Gewerkschaften befreit und fit gemacht für die Globalisierung; die Briten aus der Lethargie gerissen und dadurch ungeheures Kreativpotenzial freigesetzt, nicht zuletzt in der Finanzindustrie; durch engste Anbindung an Amerika den Westen gestärkt und damit das Ende des Kalten Krieges beschleunigt. Die Insel sei vulgär, intolerant, großkotzig geworden, wenden Thatchers Verächter ein, ein amerikanischer Brückenkopf in Europa, ein gigantisches Niedrigsteuer-Gebiet, in dem sich die übelsten Auswüchse des Kasino-Kapitalismus ungehindert austoben durften.

Brachte Kontrahenten zur Weißglut

Auf internationalem Parkett brachte sie Partner wie Kontrahenten zur Weißglut. Die Bezeichnung "eiserne Lady" war von sowjetischen Propagandisten als Verächtlichmachung der strammen Antikommunistin geplant; sie übernahm den Begriff stolz. Ihr Gesinnungsgenosse, US-Präsident Ronald Reagan, stöhnte ebenso über Thatchers nicht enden wollende Vorträge wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt ("Rhinozeros") und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand, der in der knallharten Praktikerin der Macht auch die Frau wahrnahm: "Sie hat Augen wie Caligula, aber den Mund von Marilyn Monroe."

"Tory-Nationalismus"

Mit eiserner Härte und Ausdauer, gelegentlich auch mit Schmeicheleien und notfalls unter Tränen handelte und verhandelte Thatcher für das, was sie unter britischen Interessen verstand - eine "kristallklare Vision von Tory-Nationalismus" hat das der Historiker David Marquand genannt. Sie reduzierte Großbritanniens überhöhte Nettobeiträge in die Brüsseler Kasse und focht für den Binnenmarkt der EU. Sie schickte eine Expeditionstruppe 8.000 Kilometer um den Globus und ließ 1982 die Falkland-Inseln von den Argentiniern zurückerobern.

Früher als andere setzte sie Hoffnungen in Michail Gorbatschow als zukünftigen Reformer (und letztlich Nachlassverwalter) der Sowjetunion. Visionär war 1988 ihre Warnung vor dem Klimawandel: "Ungewollt haben wir ein riesiges Experiment mit den Grundlagen der Erde begonnen." Kleinmütig stellte sich die Premierministerin 1989/90 gegen die deutsche Einheit: "Wir haben sie zweimal besiegt, jetzt sind sie wieder da", lautete ihr Ressentiment.

Ideologin des Thatcherismus

Für Zeitgenossen und politische Nachkommen bleibt Thatcher vor allem die Ideologin des Thatcherismus - also der energischen Inflationsbekämpfung; der Entfesselung von Marktkräften, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt; der Privatisierung von Staatsunternehmen. Das Glück des Tüchtigen statt Solidarität im Niedergang - dieser Bruch mit dem Konsens der Nachkriegszeit bleibt Thatchers Hinterlassenschaft.

Die Tochter eines Gemüsehändlers aus der Kleinstadt Grantham (Grafschaft Lincoln) kämpfte sich mit eisernem Willen nach oben: zum Chemiestudium an die Elite-Uni von Oxford, zu einem sicheren Parlamentsmandat im Nordlondoner Bezirk Finchley (1959), schließlich an die Spitze ihrer Partei (1975) und ihres Landes. Thatcher blieb dreifache Außenseiterin, wie der deutsche Historiker Dominik Geppert festgestellt hat: "als Frau, wegen ihrer sozialen Herkunft aus der unteren Mittelschicht und wegen ihrer religiösen Wurzeln im Methodismus". Ein solcher Aufstieg ist kaum denkbar ohne fast messianische Gewissheit der eigenen Bedeutung.

Bricht Macht der Gewerkschaften

Gestützt auf die Milliardeneinnahmen aus dem Nordsee-Öl senkte die "eiserne Lady" die Steuern, machte Millionen von Briten zu Hausbesitzern, brach die Macht der Gewerkschaften. Die Liberalisierung der Londoner City markierte deren Aufstieg zum wichtigsten Finanzplatz der Welt, freilich auch einem der Inkubator des Kasino-Kapitalismus, der die Welt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren gestürzt hat.

Das Dogma, die britische Regierung müsse als Sprachrohr der Banker agieren, stammt aus Thatchers Amtszeit. Die soziale Ungleichheit stieg immens, ein primitiver Materialismus machte sich breit, der allen konservativen Werten Hohn spricht. Margaret Thatcher überließ ganze Regionen sich selbst. Sie ließ entindustrialisierte Städte verslumen und konzentrierte ihre Anstrengungen auf den Süden Englands. Dort gewann sie ihre Wahlen. In Nordengland, in Wales und Schottland durfte sich ein Tory lange Jahre nicht einmal blicken lassen, geschweige denn auf eine Wahl hoffen.

Bruch mit Brüssel

Gegen Ende ihres Lebens haben Thatcher und ihre Einflüsterer den Bruch mit Brüssel herbeigesehnt - da hatte sich die Verantwortungsethikerin verwandelt in eine Propagandistin des englischen Nationalismus. "Zeit meines Lebens kamen unsere Probleme vom Kontinent, die Lösungen aber aus den englischsprachigen Ländern dieser Welt", rief sie auf dem Tory-Parteitag 1999.

Nach mehreren Schlaganfällen und dem Tod ihres Mannes Denis 2003, mit dem sie 1953 Zwillinge bekommen hatte, zog sich Thatcher aus der Öffentlichkeit zurück. Ihre Tochter Carol schilderte 2008 detailliert die Altersdemenz der übermächtigen Mutter - Vorlage für den Film "The Iron Lady", in dem Meryl Streep den Verfall 2011 brillant darstellte. "Ich hätte mir gewünscht, der Film wäre später gemacht worden", sagte damals Thatchers Amtsnachfolger David Cameron. Gemeint war: nach ihrem Tod.

Nun ist dieser Tod eingetreten. Umstritten, angebetet, verhasst - bis die Briten Margaret Thatcher mit kühleren Köpfen beurteilen, werden noch viele Jahre vergehen. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 8.4.2013)