So ist das Ottakringer Ghetto und so ist Favoriten - das ist der Sound.

Foto: Heribert Corn

Gestern hatte ich einen amüsanten Abend und eine kurze Nacht. Das kam in letzter Zeit öfter vor, aber diesmal war der Nachgeschmack ein recht säuerlicher, mit ein wenig scharf.

Doch fangen wir am Anfang, also an der Quelle an: Der von mir hoch geschätzte Autor Richard Schuberth las gestern aus seiner Donau-Farce "Trommeln vom anderen Ufer des großen Flusses". Diese handelt von einer unerfreulich endenden Donauschifffahrt, auf der sich die selbst ernannte Crème de la Crème der westlichen intellektuellen Elite (Kulturschaffende, Förderungenbeschaffende, Demokratiestiftende und Journalisten) in den wilden Osten aufmacht, um dort in den wilden Balkansümpfen nach der "Echtheit" zu suchen. Diese nämlich ist am Prenzlauer Berg und in Wien-Neubau zu einem raren Gut geworden.

Hätten die postkolonialen "Indiana Jones"-Verschnitte den gestrigen Tag mit mir auf Twitter verbracht, hätten sie sich vermutlich den mühsamen und gefährlichen Weg gespart. Man muss nicht in die Roma-Slums von Belgrad fahren oder die montenegrinischen Gebirge (sic!) bezwingen, um Authentizität zu finden. Diese gibt's auch in Ottakring!

Gewagte und weit hergeholte These, meinen Sie? Aber nein. Gestern ortete der Chefredakteur des "Falter", Florian Klenk, auf Twitter in der Kolumne einer Redakteurin des Gratismagazins "Biber" den "Sound der Ottakringer Straße".

Sollten Sie Ivana Martinovićs "Kotzerei", wie sie sie selbst beschreibt, so aus dem Konzept gerissen nicht verstehen, hier eine kurze Erklärung: "Biber" brachte in seiner aktuellen Ausgabe ein provokantes Cover, das unter anderem hier auf daStandard.at kritisiert und auf Twitter heftig diskutiert wurde. In derselben Ausgabe schrieb Ivana Martinović eine Kolumne, in der sie Vergewaltigung thematisierte, die ebenfalls für Empörung sorgte. Um diesem Shitstorm etwas entgegenzusetzen, legte die Kolumnistin nach und hob zu einem Rundumschlag gegen die gesamte österreichische Medienlandschaft an. Und ebendiesen erklärte der etablierte und renommierte Journalist Florian Klenk zum Sound der Ottakringer Straße.

Der authentische Ton sei es nämlich, den "Biber" verbreite und der der restlichen, verkrampften, humorbefreiten österreichischen Medienszene nicht gefalle, meint Ivana Martinović in ihrer Kolumne. Deswegen ernte "Biber" Kritik und werde nicht ernst genommen in den Mainstream-Medien. Man würde die "Biber"-Redakteure nur als Vorzeigemigranten befragen, würde sie als Recherchehilfe missbrauchen und ihnen immer nur klischeehafte Fragen stellen. Und nicht einmal ein Praktikum bekämen sie, klagt Martinović und ortet Diskriminierung. Liebe Kollegin (und ich setze dich nicht unter Anführungszeichen), ich gebe dir recht. In allen Punkten.

Keiner in der österreichischen Journalistenszene nimmt euch ernst. Kaum eine Ivana, eine Jelena oder ein Bülent schafft es auch nur, ein mies bezahltes Praktikum in den etablierten österreichischen Medienhäusern zu bekommen. Ihr werdet zu Podiumsdiskussion eingeladen, um dort Sätze mit "Also in meinem Freundeskreis ..." und "Bei uns Balkanesen/Türken/Kurden ..." einzuleiten und dann ein paar Klischees abzulassen, die ihr brav selbst in euren Kolumnen, Reportagen, im Quiz und in Umfragen verbreitet.

Ihr liefert dem etablierten Journalisten aus "bildungsnahem" Akademikerhaushalt genau das, was er sehen und hören will: ein wenig Exotik, ein wenig Unbeholfenheit, ein wenig holprige Grammatik, aber auch den Willen zur Selbstermächtigung (hat man so in der Soziologievorlesung gelernt), die erwünscht ist. Aber eben nur bis zu einer gewissen Grenze. Liebe Ivanas, Jelenas und Bülents, ist euch nicht aufgefallen, dass in den Redaktionsstuben auch keine Straßenbahnlenker-Söhne aus Floridsdorf und Billa-Regalschlichterinnen-Töchter (aus dem Burgenland pendelnd!) sitzen? Der einzige Unterschied zwischen euch und den Gemeindebau-Blumen und Rennbahnweg-Buben ist die politisch korrekte Brille, durch die euch der durchschnittliche linksgerichtete österreichische Journalistenkollege betrachtet.

Ihr dürft gerne euer Süppchen mit scharf kochen, könnt ein wenig sexistisch (ja, ich kann die geldgeile Balkanfrau und den dümmlichen, weichgekochten Schwabomann nicht vergessen), ein wenig klischeehaft und oberflächlich sein. Und das alles, ohne groß kritisiert zu werden, denn – Achtung, Selbstermächtigung – das ist authentisch! So ist das Ottakringer Ghetto und so ist Favoriten – das ist der Sound. Ihr dürft von dort eine würzige Reportage zuliefern, die dann gründlich redigiert wird und dem politisch korrekten Leser zum Latte und Aperol-Spritz serviert wird. Aber weiter dürft ihr nicht.

Provokation ist gut. Satire sowieso. Umkehrung von negativ konnotierten Begriffen ist cool. Das erntet alles viel Applaus aus den linken, aufgeklärten Ecken. Aber irgendwann einmal ist das auch abgedroschen, und wenn man dann noch einen draufsetzt, so wie in der aktuellen "Biber"-Ausgabe, dann, ja, was dann ... Dann herrscht große Verwirrung. Dürfen die das denn? Ja, sie dürfen. Auch Migranten und Flüchtlinge dürfen rassistisch, sexistisch, klischeebehaftet sein und schlechten Journalismus machen. Und das darf dann auch gefälligst kritisiert und diskutiert werden. Und wenn man ernst genommen wird, muss man mitdiskutieren – macht doch einmal ein kritisches Politiker-Interview -, anstatt lediglich wieder das Klischee zu liefern: nämlich den angeblich so authentischen, wütenden, kotzenden Ton aus dem Ghetto. Hört auf mit der Selbstexotisierung. (Olivera Stajić, daStandard.at, 5.4.2013)