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Auftritt von Chor und Orchester vor der Obersten Volksversammlung in Nordkorea. Das Motto des Konzerts: "Nordkorea tut, was es tun muss."

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Den neuen Regierungschef Pak Pong-ju sieht Rüdiger Frank als "hoffnungsvolles Signal" für Wirtschaftsreformen.

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"Kein zufälliger Schnappschuss sondern sorgfältig arrangiert", ist das Foto aus Kim Jong-uns Büro, auf dem mögliche Angriffspläne auf die USA zu sehen sind.

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Seit mehreren Wochen hält Nordkroea die Welt in Atem. Welches Kalkül dahintersteckt, wenn Kim Jong-un sich einerseits vor strategischen Militärkarten mit Angriffsplänen ablichten lässt, und andererseits den amerikanischen Basketball-Star Dennis Rodman mit offenenen Armen empfängt, erklärt Nordkorea-Experte Rüdiger Frank im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Seit mehreren Wochen folgt aus Nordkorea eine Drohgebärde auf die andere. Zuletzt wurde der Kriegszustand mit Südkorea ausgerufen. Wo wird das noch hinführen?

Frank: Das Ganze soll dahin führen, dass das Land Nordkorea sich einheitlich um den Führer Kim Jong-un schart. Das Ausland soll in gewissem Sinne auf Abstand gehalten werden, sich Sorgen machen und froh sein, wenn in Nordkorea die Situation ruhig bleibt. All das passiert vor dem Hintergrund, dass man vermutlich Vorbereitungen für Wirtschaftsreformen unternimmt, für die der Führer gerne den Rücken frei haben will. 

derStandard.at: Man will sich schützen, indem man sich im Ausland als starker Staat gebärdet, um Wirtschaftsreformen durchzubringen, die bei der Bevölkerung nicht gut ankommen?

Frank: Eine Wirtschaftsreform bedeutet eine tiefgreifende Veränderung der bestehenden Situation. Wenn Kim Jong-un tatsächlich eine solche Reform voranbringen will, braucht er auf jeden Fall die volle innenpolitische Unterstützung aller Schichten und insbesondere den Rückhalt der Elite. Im Falle Nordkoreas geht es um die Einführung von marktwirtschaftlichen und privatwirtschaftlichen Elementen, um die Produktivität und Effizienz zu steigern. Damit eng verknüpft ist die Frage der Eigentumsverhältnisse. Das Ganze ist in vielen Ländern für politische Führungen schon schiefgegangen. Prominentestes Beispiel dafür ist Michail Gorbatschow, der dadurch sein Imperium ruiniert hat, was man ihm bis heute in Russland übel nimmt.

Nordkorea ist ja nicht nur von Freundesstaaten umgeben. Speziell Südkorea ist ein Land, das sehr genau schaut, was in Nordkorea passiert. Wo man durchaus an eine Wiedervereinigung denkt, unter den eigenen Vorzeichen. Auch da hat die nordkoreanische Führung Sorge, dass im Falle einer möglichen Schwächung - in der Initialphase einer solchen Reform - das Ausland diese Schwäche ausnutzen könnte.

derStandard.at: Wenn es das neue System gibt, kann dann eine politische Führung, wie es sie jetzt in Nordkorea gibt, überhaupt noch haltbar sein?

Frank: Dass es funktioniert, sieht man in China. Das geht dort bisher wunderbar.

derStandard.at: Die außenpolitischen Signale, die Nordkorea aussendet, sind also nur ein Ablenkungsmanöver?

Frank: Davon ist auszugehen, zumal bisher außer bösen Worten nichts passiert ist. Wir sind seit vier bis fünf Wochen im permanenten Alarmzustand, weil jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft über uns hereinbricht von irgendwelchen Leitungen, die gekappt, und Abkommen, die aufgekündigt worden sind. Aber tatsächlich passiert ist nichts. Und wenn sich der Führer eines Landes vor einer strategischen Militärkarte ablichten lässt, wo Truppenstärken aufgezeichnet sind, kann man das nicht ernst nehmen. Das war kein zufälliger Schnappschuss, sondern sorgfältig arrangiert. Für meinen Begriff zu viel des Guten. Da spielt eher die Symbolik eine Rolle als die Substanz.

derStandard.at: Es wurde also keine neue Stufe der Eskalation erreicht?

Frank: Bedauerlicherweise haben wir in der Vergangenheit auch schon sehr hohe Levels an Spannung und Eskalation gehabt, und deswegen glaube ich, dass keine neue Dimension erreicht wurde.

derStandard.at: Am Montag wurde Pak Pong-ju wieder als Regierungschef eingesetzt. Warum? Was kann von ihm in Zukunft erwartet werden?

Frank: Pak Pong-ju ist einer von vier Führungskräften, die bereits vor zehn Jahren mit ersten, damals sehr weitreichenden Reformmaßnahmen assoziiert worden sind. Die sind untergegangen in einer Reihe von Fehlern, unerwarteten Effekten und nicht zuletzt auch im Irak-Krieg, der Anfang 2003 begonnen hat. Pak Pong-ju musste 2007 zurücktreten.

Als neuer Premierminister hat er nicht allzu viel Macht, da die Entscheidungen immer von Kim Jong-un getroffen werden. Aber er ist als Chef des Kabinetts derjenige, der solche Entscheidungen dann umzusetzen hat. Jemanden wie Pak Pong-ju, der klar mit Wirtschaftsreformen assoziiert wird, zum Premierminister zu machen ist aus meiner Sicht ein sehr hoffnungsvolles Signal.

derStandard.at: Wieso will Nordkorea den Atomreaktor Yongbyon wieder in Betrieb nehmen? Ist das vor dem Hintergrund, dass der dritte Atomtest im Februar weitere UN-Sanktionen zur Folge hatte, ein kluger Schachzug?

Frank: Zunächst einmal zeigt es, dass die UN-Sanktionen wie erwartet überhaupt nichts gebracht haben. Jedenfalls nicht, was Veränderungen in Nordkorea betrifft. Die Sanktionen haben innenpolitischen Zwecken gedient, in den Ländern, die sie verhängt haben.

Nordkorea hat ganz klar erklärt, dass der Status als Atommacht nicht verhandelbar ist, sowohl was Atomwaffen als auch die zivile Nutzung von Atomenergie betrifft. Nordkorea hofft auch durch den Bau von Leichtwasserreaktoren endlich das drängende Energieproblem in den Griff zu bekommen. Natürlich will man auch weiteres spaltbares Material für Atomwaffen produzieren, um die Abschreckung, die man kundgetan hat, auch glaubhaft zu machen. Fatalerweise werden ja auch immer wieder die diesbezüglichen Fähigkeiten Nordkoreas in Frage gestellt.

derStandard.at: Wie realistisch ist es überhaupt, dass Nordkorea Kalifornien oder Texas angreift?

Frank: Das halte ich für absolut unrealistisch. Es wird hinterfragt, ob die Nordkoreaner das technisch könnten. Ich sehe aber auch den Sinn nicht, warum sie das tun sollten. Das sind Drohgesten, die man ernst nehmen sollte, aber nicht wirklich wörtlich. Das Land will zeigen: Wir sehen uns in die Ecke gedrängt. Wir sind im Falle des Falles bereit zurückzubeißen, auch wenn das unser Untergang sein sollte. Aber ganz sicherlich geht es dabei nicht um eine Offensive der Nordkoreaner. Sie wollen einfach in Ruhe gelassen werden und in einem weiteren Schritt eine diplomatische Normalisierung mit den Amerikanern, weil sie die auch brauchen für ihre wirtschaftlichen Reformpläne.

derStandard.at: Aber ist das nicht ein großer Widerspruch, wenn Sie sagen, dass es eine diplomatische Normalisierung geben wird? Davon sind wir derzeit ja weit entfernt.

Frank: Ich sage nicht, dass es sie geben wird, sondern dass Nordkorea sie will. Die nordkoreanische Position ist die, dass Schwäche bestraft wird. Und deswegen zeigen sie Stärke. Das könnte sich als Fehler herausstellen, das ist klar. Aber Nordkorea blickt auch nach Ländern wie Libyen, wo Diktator Gaddafi seine Massenvernichtungswaffen aufgegeben hat und irgendwann aus der Regierung herausgebombt wurde. Ohne die Franzosen und die NATO wären die libyschen Rebellen nie so weit gekommen. Das haben sich die Nordkoreaner angeschaut und gesagt: diesen Fehler machen wir ganz sicher nicht. In Nordkorea ist man der Meinung, dass Stärke Respekt produziert und Respekt die Voraussetzung für Gespräche ist. Sie wollen ernst genommen werden und auf Augenhöhe sprechen. Ob die Amerikaner das genauso sehen, wird sich zeigen. Es könnte durchaus eine Fehleinschätzung von Nordkorea sein, aber die Logik ist erkennbar.

derStandard.at: Wie lässt sich da der bizarre Nordkorea-Besuch des US-Basketballstars Dennis Rodman einordnen?

Frank: Ja, das war in der Tat äußerst bizarr. Dennis Rodman entspricht mit seinen Piercings, Tätowierungen und seiner unkonventionellen Art dem negativen Stereotyp des Amerikaners, wie er in Nordkorea propagiert wird. In Nordkorea gilt der Westen ja als moralisch degeneriert. Von diesem Standpunkt aus gesehen war der Besuch ein innenpolitischer Propaganda-Erfolg. Natürlich will man dem Ausland zeigen, dass es in Nordkorea auch menschliche, pragmatische Interessen gibt - einschließlich Sport - und dass man bereit ist, einen jeden, der mit friedlicher Absicht in das Land kommt, auch entsprechend willkommen zu heißen.

Es gab noch andere Skurrilitäten in den vergangenen Monaten. Zum Beispiel die Disney-Performance im Juli 2012, wo ich auch noch nicht verstanden habe, warum die anwesenden Militärs das schön gefunden haben sollen. Ob da möglicherweise eine Aussage dahintersteckt oder ob es einfach nur um die persönlichen Vorlieben eines einzelnen Diktators geht, ist für uns Außenstehende sehr schwierig einzuschätzen. Es zeigt, dass dort ungewöhnliche Dinge möglich sind. Nordkorea ist nicht das Land von Schwarz und Weiß, sondern da gibt es auch eine Menge Grautöne und bunte Töne dazwischen.

derStandard.at: Wie wird sich China in Zukunft verhalten? Wird es sich weiter distanzieren?

Frank: Ich glaube nicht, dass es zu einer weiteren Distanzierung kommt. Ganz im Gegenteil. Dadurch, dass die Amerikaner jetzt ihre militärische Stärke demonstriert haben, sind die Chinesen sehr besorgt. Sie haben gesehen, was die Amerikaner tatsächlich auf die Beine stellen können. Die Amerikaner haben sehr stolz berichtet, dass sie in der Lage sind, mit ihren B2-Bombern über den großen Teich nach Nordkorea zu fliegen. Das bedeutet aber auch, dass sie China damit erreichen könnten. Die Chinesen werden sicher ihre Sicherheitspolitik prüfen und damit auch, welche Rolle Nordkorea darin spielen soll. Eine Destabilisierung der Lage in Nordkorea kann sich China nicht leisten.

derStandard.at: Wie ist derzeit die humanitäre Situation in Nordkorea? Hungern die Menschen?

Frank: Laut World Food Program war 2012 ein sehr erfolgreiches Jahr, die Ernte lag nur 0,2 Millionen unter den benötigten 5,1 Millionen Tonnen Cerealien. Im Dezember 2012 betrug die tägliche Nahrungsmittelration 400 Gramm, auch das seit langer Zeit ein Höchstwert. Ob sich das Niveau halten oder gar steigern lassen wird, ist abzuwarten. Grundsätzlich führt an effizienzsteigernden Reformen kein Weg vorbei. (Teresa Eder, derStandard.at, 2.4.2013)