Der Diskurs läuft selten differenziert ab. Daher gilt: Besser eine klare, wenn auch falsche Position vertreten, damit wenigstens die Botschaft durchdringt. Je schriller diese ausfällt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Debatte bestimmt.

Ein Beispiel: Vor der Krise wiesen viele Banken ein sehr hohes Maß an Fremdkapital auf, der Verschuldungsgrad lag in manchen Fällen bei 30 (und darüber). Meist handelte es sich um äußerst kurzfristiges Fremdkapital. Daraus könnte man schließen, dass Banken mit zu geringen Sicherheitsmargen operierten und Regulierung in besserer Kapitalisierung bestünde.

Hier endet der Konsens. Die Kritiker möchten, dass Banken mit viel weniger Fremdkapital auskommen. Banker kontern, dass sie für jede zusätzliche Aktie, die ausgegeben wird, eine höhere Rendite zahlen müssten und höheres Eigenkapital ihre Kapitalkosten steigen ließe. Dadurch wären sie gezwungen, die Zinsen auf die von ihnen ausgegeben Darlehen zu erhöhen, worunter die Wirtschaft leidet.

Keine der beiden Seiten liegt ganz richtig. Die Banker scheinen einen elementaren Grundsatz moderner Finanzierung nicht verinnerlicht zu haben: Risiko geht von den Vermögenswerten aus, die eine Bank hält. Dem Modigliani-Miller-Theorem zufolge verändern sich die durchschnittlichen Finanzierungskosten einer Bank nicht aufgrund des Mix aus Fremd- und Eigenkapital zur Finanzierung ihrer Vermögenswerte. Durch den Einsatz " billigeren" Fremdkapitals wird Eigenkapital riskanter und kostspieliger, wodurch die Gesamtfinanzierungskosten gleich bleiben.

Wenn nun das Argument der Banker falsch ist (was sie wissen müssen): Warum geben sie kurzfristigem Fremdkapital den Vorzug vor langfristigem Eigenkapital? Die Kritiker meinen, dies geschehe wegen der Steuervorteile für Fremdkapital oder weil Banken zu groß sind, um sie scheitern zu lassen. Doch diese Argumente halten einer Prüfung nicht stand. Wäre Fremdkapital aufgrund seiner steuerlichen Abzugsfähigkeit so attraktiv, sollten Banker zwischen langfristigem und kurzfristigem Fremdkapital keinen Unterschied machen. Jedoch scheinen sie Letzteres zu bevorzugen.

Die Argumente der Kritiker hinsichtlich der Vorteile des Eigenkapitals sind gleichermaßen unzufriedenstellend. Natürlich würde mehr Eigenkapital das Risiko eines Bankzusammenbruchs verringern. Aber die Notwendigkeit, Rückzahlungen zu leisten oder Schulden zu refinanzieren, verlangt Disziplin und verleiht dem Banker einen stärkeren Anreiz, das Risiko sorgfältig zu steuern.

Es bedarf also eines Mittelwegs. Zu viel kurzfristiges Fremdkapital macht Banken anfälliger für die Pleite, während zu viel Eigenkapital die Möglichkeiten der Banker, Werte zu vernichten, in zu geringem Ausmaß beschränkt. Das ist wohl auch der Grund, warum die moderat fremdkapitalfinanzierte Bank tausend Jahre lang das Merkmal westlicher Ökonomien war. Unsere Abneigung gegen die Banker darf nicht die Zerstörung der Bank ermöglichen. (Raghuram Rajan, DER STANDARD, 30.3.2013)