Eine große Autonation verabschiedet sich aus der Chefetage: Im Dezember lief der Citroën C6 aus - nach nur 23.384 verkauften Fahrzeugen. Renault und Peugeot sind schon länger weg

Man will ja nicht unken, aber die Sache erinnert - ansatzweise - an Good Old England. Was waren die dortigen Hersteller für eine Auto-Weltmacht! Und heute? Britisch Elend ist abgewickelt, alle namhaften Hersteller in fremder Hand, aus, vorbei. Sollte Frankreich ein ähnliches Schicksal dräuen? Schreckliche Vision. Dann bliebe nur mehr Deutschland, das Europas Banner in der Welt hochhält.

So weit ist es gottlob noch nicht, möge es auch nie so weit kommen, aber halten wir kurz die Faktenlage fest. Dezember 2012, die Welt hatte grad andere Sorgen, als sich auch darum noch zu kümmern, da wurde bei Citroën klammheimlich die Produktion des C6 eingestellt. Knapp vor Weihnachten. Schöne Bescherung.

Dabei überschlug sich die Fachwelt beim Debüt dieses Flaggschiffs 2005 regelrecht: Avantgardistischer Paukenschlag aus Frankreich (obwohl die Innengestaltung recht konventionell ausgefallen war), würdiger Erbe der DS/Déesse, da können sich die faden, technikverliebten Deutschen was abschneiden, so und ähnlich lautete der Tenor. Menschen, die von Berufs wegen mit dem Außergewöhnlichen zu tun haben, Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder zum Beispiel, fanden mit diesem Oberklasse-Modell ihren idealtypischen Mobilitätspartner.


Der Citroën C6: Futuristisch, aber.

Weltweit hat es 23.384 solcher avantgardistisch fühlender Kunden gegeben. Renault hatte von seinem letzten Versuch, einem ungemein engagierten übrigens, der Konzern hat da richtig viel Geld in die Hand genommen, rund 62.000 Stück abgesetzt - richtig, auch der Vel Satis (2002 bis 2009) war ein Flop. Das durchaus spannende Konzept, ein Premium-Mobil von innen nach außen zu konstruieren, also ganz konsequent am Menschen Maß zu nehmen, ging offenbar dramatisch am Markt vorbei, rasch war von barocker Fehlentwicklung die Rede.

Jener schnörkellos-eleganten Limousine, die sich stilistisch am deutlichsten am deutschen Vorbild orientiert hatte, war auch der größte Erfolg dieses letzten französischen Oberklasse-Aufgebots beschieden gewesen: Der von 2000 bis 2010 produzierte Peugeot 607 verkaufte sich rund 170.000-mal, das sind nach Adam Riese jährlich im Schnitt 17.000 Fahrzeuge.

"A guat's Auto, der Peugeot"

Das zeigt dann auch die Maßstäbe: Mercedes verkaufte von der E-Klasse, und von dieser Liga ist hier die Rede - in abgehobenen Bereichen wie S-Klasse, 7er-BMW oder Audi A8 hat Frankreich schon ewig nix mehr zu melden -, 191.522 Stück. Und zwar allein 2012! (2011: 247.647.) Audi setzte 285.000 A6 ab (2011: 221.823), BMW von seinem 5er-Bestseller gar 359.016 (2011: 332.501).

Lange vorbei die Zeiten, wo Ossy Kolmann die Werbebotschaft "A guat's Auto, der Peugeot" auch für jenen Bereich glaubhaft rüberbringen konnte, der heute Premium heißt. Denn ja, Frankreich wird in dieser Liga heute nicht mehr wahrgenommen, die Einstellung des C6 setzt einen Schlusspunkt unter eine lange Entwicklung, an deren Ende nun steht: Adieu Oberklasse - rien ne va plus.

Anspruch und Wirklichkeit

Nichts geht mehr, auch wenn Renault-Boss Carlos Ghosn tönt, er werde die Welt noch mit Premium überraschen (nämlich via Infiniti) oder wenn Citroën ein Flaggschiff nur für China andenkt. Experten zufolge hat Frankreich technologisch den Anschluss (an die Deutschen) verloren. Noch da zu löste sich PSA (Peugeot, Citroën) aus der fruchtbaren Technikkooperation mit BMW und warf sich GM an den Hals, und was aus der Partnerschaft Renault-Daimler wird, muss sich erst weisen.

Einen Vorwurf kann man der Grande Nation aber wohl nicht ersparen: Nirgendwo klafft die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit so auseinander wie dort. Redet man sich einen Führungsmythos lange ein, glaubt man ihn am Ende selbst. Man unterschätze nie die Macht der Autosuggestion, wenn das doppeldeutige Wort erlaubt ist. Nur, irgendwann kommt immer der Tag der Wahrheit. Und der lautet: Frankreich, anderweitig (Mode, Kosmetik, Kulinarik) Luxus-Supermacht, ist beim Auto weg von der Oberklasse.

Ansichtssache:

Wohl der Klassiker des französischen Scheiterns der Neuzeit: der Citroën C6.

Foto: citroen

Als Wiedergänger der legendären DS geplant, dümpelte der eigenwillige Franzose in den Zulassungsstatistiken dahin.

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Als der C6 im Jahr 2005 lanciert wurde, war ihm sein Problem bereits am Heck anzusehen. Nein: es geht nicht um die solitäre Formensprache, sondern um das grundsätzliche Fließheck-Layout. Derlei kam in der Oberklasse nie gut an.

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Heute würde man derlei in der Werbung als Viertürer-Coupé anpreisen. Den Marketing-Schmäh zogen indes die deutschen Kollegen von Mercedes und Audi eiskalt durch.

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Die inneren Werte des C6: keine Sperenzchen beim Innenraum-Design. Innovative Ergonomie-Helfer wie iDrive (BMW) oder MMI (Audi) fehlten indes.

 

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Auch so ein Gescheiterter: der Citroën XM. Das kraft des wunderbar akzentuierten Designs eingelöste Versprechen konnte der ab 1989 gebaute Wagen leider nicht einlösen. Die malade Elektronik der ersten Jahrgänge war dagegen. Obwohl bis ins Jahr 2000 laufend weiter entwickelt, hatte der Franzose in der oberen Mittelklasse auch als Break-Kombi nichts zu bestellen.

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Betrübliches Finale: der ausgesprochen unauffällige C5 wurde nominiert, den exaltierten XM zu beerben. Keine gute Idee, bekanntlich.

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Ende der 1960er hatte sich Citroën ausgerechnet die notorisch labile Sportwagenschmiede Maserati eingetreten. Eine Konsequenz aus dem Deal, der den Franzosen vor allem verheißungsvolle Sechszylinder-Motoren einbrachte, war der SM. Anfang der 1970er war der Überdrüber-Citroën ein innovativer Beau, der dank Kurvenlicht, geschwindigkeitsabhängiger Servolenkung oder aufgerüsteter Hydropneumatik als echtes Versprechen galt.

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Er blieb indes ein bestenfalls bemühter Experimental-Gleiter. Nach knapp 13.000 Exemplaren zog man 1975 die Reißleine. Heute ist der DS-Nachfolger ein Posterboy der Berlin-Mitte-Bourgeoisie. Der CX war aufgerufen, in der Mittelklasse die Scherben zusammen zu kehren. Das machte er gut.

Foto: citroen

Bei Peugeot hieß das Elend der 1970er hingegen 604. Das schmucklose Drei-Box-Design (Pininfarina) wurde immerhin bis 1986 am Leben gehalten. Stellen Sie nun vor Ihrem geistigen Auge einen BMW 7er E23 oder gar einen einen Audi 100 C3 von 1982 daneben ab. Sehen Sie den Peugeot noch? Nicht? Eben. Rost zeigte sich gnädig und raffte die letzten Bestände dahin.

Foto: peugeot

Auf den Alfa-164-Verschnitt 605 folgte im Jahr 2000 der 607. Ein ganz und gar prächtiger Vertreter der oberen Mittelklasse mit feinen Diesel-Motorisierungen, die beim deutschen Mitbewerb ungläubiges Erstaunen auslösten. War als Erster mit Dieselpartikelfilter zu haben.

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2010 lief der charmante und einigermaßen erfolgreiche Schönling aus - und das wie so oft bei den Franzosen ohne direkten Nachfolger. Die Chefs aus Deutschland hatten längst ihre Claims oberhalb der Mittelklasse abgesteckt.

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Renault zeigte sich ebenfalls ambitioniert. Siehe etwa den Renault 30. Der 1975 eingeführte Franzose gedachte die Fließheck-Idee der betuchten Kundschaft schmackhaft zu machen. Vergebens.

Foto: renault

Sein Nachfolger, der R25, versuchte es mit einem Pürzel-Trick: halb Fließ-, halb Stufenheck lautete die Devise für den ab 1984 auflaufenden Oberklässler. (Die Idee wird uns später noch einmal begegnen.) Grundsolides Auto, als V6 Turbo ein willenlos angezündeter Biedermann. Leider nicht sehr gut zusammen geschraubt.

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1992 schickte sich der Safrane an, gegen Mercedes & Konsorten Land zu gewinnen. Die mit Velours oder Schweinsleder ausgeschlagene Sänfte zeigte qualitativ keine Schwächen, kam aber über sein Heimatland nicht wirklich hinaus. Über den Mangel an echten Innovationen tröstete ein Bordcomputer mit Sprach-Logorrhoe hinweg.

Foto: renault

Der Vel Satis schließlich ergänzte die Fließ-Stufenheck-Idee um den Maxi-Van-Gedanken. Prinzipiell war der zwischen Espace und Avantime angesiedelte Allrounder eine fantastische Idee. Nur eben bloß prinzipiell. 2009 lief der Vel Satis ohne Nachfolger aus. (Andreas Stockinger/ssc, DER STANDARD, 29.3.2013)

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