Tizians "Grablegung Christi", entstanden 1559 im Auftrag von Spaniens König Philipp II., ist derzeit in der dem Renaissancemaler gewidmeten Ausstellung im Quirinal zu sehen.

Foto: Madrid, Museo Nacional del Prado

Tizians Porträt des Papstes Paul III. (1543).

Foto: Napoli, Museo di Capodimonte

Der Maler des Lichts, der Farbe und der Schönheit, der Schöpfer der himmlischen und der irdischen Liebe, der Freund und Porträtist weltlicher und kirchlicher Fürsten: So kennen wir Tizian, den bedeutendsten Maler der italienischen Hochrenaissance. Dies trifft auch zu, und die Ausstellung in Rom will uns auch nicht eines Besseren belehren, sondern stellt lediglich den Anspruch, unsere Kenntnisse zu erweitern.

Kein kleines Unterfangen, das erstaunlicherweise gelingt, obwohl die Schau (zu) wenige Gemälde zeigt. Denn auf die Wahl der Werke kommt es an. Gleich eingangs empfängt uns das Martyrium des Heiligen Laurentius aus der Jesuitenkirche Santa Maria Assunta aus Venedig. Das Feuer lodert unter dem gemarterten Körper. Vergebens hebt er flehend die Hand gen Himmel. Der leuchtet nur schwach, während die Folterknechte ihr grausames Werk vollenden. Es gibt kein Entrinnen. Laurentius stirbt auf dem Rost den qualvollen Flammentod.

Ein Schauer läuft uns über den Rücken. Wer kann eine solch grausame Tat nur so unwiderstehlich und lebendig festhalten? - Tiziano Vecellio, der um 1490 in dem Dorf Pieve di Cadore in den Dolomiten auf die Welt kam und 1576 in Venedig während der Pest starb. Wir sehen ihn gleich neben dem Märtyrerbild, in einem Selbstporträt im Dreiviertelprofil aus dem Jahr 1565. Ein hagerer, alter Mann, der selbstbewusst in der Rechten den Pinsel hält, das Instrument, mit dem er der Welt zu Leibe rückte. Der Blick ist stechend, tiefe Falten durchziehen die markanten Züge. Der Hintergrund düster. Von lyrischem Kolorismus keine Spur.

Bombastische Paneele

Die beiden Werke bilden den Auftakt der Schau in den Scuderie del Quirinale, einem Ausstellungsraum des Quirinalspalasts, der einst als Pferdestall diente. Anhand weniger Beispiele ist dort die Ausstellung in chronologisch thematischer Gliederung redlich bemüht, einen Einblick in das gesamte Oeuvre des Malers zu geben. Vielleicht hätte es die späte Schaffensperiode Tizians auch getan, die dafür viel reicher hätte bestückt werden können.

Die einzelnen Abteilungen, von den religiösen zu den mythologischen Sujets - mit der beeindruckenden Grablegung Christi bis zur Venus, die Amor die Augen verbindet, halten nicht, was der Prolog verspricht. Das Gefühl der Übermannung, das uns eingangs befiel, bleibt aus, wir stehen wieder "nur" vor Bildern. Das ist nicht Tizians Schuld, sondern jene der Ausstellungsmacher, die die großartigen und großformatigen Gemälde des Malers in eine Zwangsjacke aus bombastischen Paneelen unterschiedlicher Farbgebung stecken, die wohl der Orientierung dienlich sein sollen.

Wozu, fragt man sich. Tizians Bilder brauchen keine "Präsentation", sie sind beredt genug und lassen uns in Welten eintauchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Tizian glaubte an die Macht der Kunst, bis zum bitteren Ende, und seine Weltanschauung wurde im zunehmenden Alter immer pessimistischer. Er verschloss sich nicht der Welt, im Gegenteil, er durch-schaute sie. Furchtlos blickte er ihr ins Antlitz - auch in jenes der Herrscher wie Karl V. und Papst Paul III., deren tiefste Wesenszüge er mitleidlos und unbestechlich auf die Leinwand brachte.

Tizians Testament

Wie unbedingt und radikal seine Malerei war, zeigt uns das letzte Bild der Schau: Die Häutung des Marsyas. Grausam ist die Strafe für den, der, zu sehr von sich und seiner Kunst überzeugt, die Götter - und sei es nur mit einer Flöte - herauszufordern wagt. Kopfüber hängt er da, der bockfüßige Satyr, einem Tierkadaver gleich, während Apollo und dessen Gehilfen ihn häuten. Ein kleiner Hund leckt das Blut auf, das aus dem gepeinigten Körper tropft, während König Midas mit seinen Eselsohren gedankenverloren zuschaut.

Es ist Tizian. Es ist das Testament eines halberblindeten, visionären Malers. Mythologie und Realität verschmelzen, die Konturen verschwimmen, die Figuren verlieren sich in einem Farbenmeer düster flammender Töne, die uns - wieder - mit sich fortreißen. (Eva Clausen aus Rom, DER STANDARD, 28.3.2013)