"The Walking Dead" konfrontiert Spieler inmitten einer Horde Zombies mit dem eigenen Tod.

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Der 24-jährige James hatte zum Zeitpunkt seines Besuchs bei Creative Assembly den Kampf gegen den Krebs bereits verloren. Er verstarb kurz danach, lebt aber im Spiel "Total War" in Form eines römischen Kriegsherrn weiter.

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Eine Frage, die sich in der Debatte über Videospiele als Kulturgut immer wieder aufdrängt, ist der Umgang mit Leben und Tod. Gestellt wird sie gerne im "externen" Bezug, wenn es um die Identifikation von "Gegnern" geht. Der Begriff "Killerspiel" hat sich als Unwort unwiderruflich in den Köpfen vieler Gamer im deutschsprachigen Raum eingeprägt. Die Behandlung des Themas lässt aber einen wichtigen Punkt komplett unbehandelt: Auch Spieler sterben.

"Killerspiele" und endlose Diskussionen

Die Gewalt-Problematik ist lang und breit und trotzdem wohl nicht endgültig durchgekaut. Im Abendprogramm eines durchschnittlichen TV-Senders sterben vermutlich ein Dutzend Menschen, gerichtet vom meist heldenhaften Protagonisten auf seiner guten Mission. In vielen Spielen passiert Ähnliches unter der Regie von Maus und Controller der Person vor dem Bildschirm.

Der Stand der Dinge: Es fehlt an hinreichenden Beweisen, dass das Niederstrecken hunderter Gegner in Egoshootern Menschen dazu bringt, in ihrer Schule wehrlose Schüler und Lehrer hinzurichten, wie es gerne auch wahlkämpfende Politiker darstellen. Gegner dieser Position machen es sich dafür oft zu leicht damit, sämtliche Zusammenhänge zwischen virtuellen und realen Gewalttaten zu bestreiten.

Ausgeblendet

Doch wann beschäftigt sich ein Spieler mit seiner eigenen Endlichkeit? Die einzige definitive Wahrheit über das Leben ist, dass es irgendwann endet. Statistisch gesehen für einen Bewohner des sogenannten Westens nach ungefähr 80 Jahren, für manche viel früher, für manche viel später. Ein Umstand, der in den meisten Spielen ziemlich flachfällt.

Meist mimt man einen Helden oder eine Heldin, der oder die mehr einsteckt als so mancher Panzer. Geht es dem Ende zu, bleiben die Konsequenzen aus oder beschränken sich auf ein paar audiovisuelle Effekte. Und bevor man das virtuelle Zeitliche segnet, werden in der Regel einfache, schnell wirksame Mechanismen zur Abwendung des "Game Over" geboten.

Max Payne wirft ein paar Tabletten ein, Rollenspieler greifen zum rot blubbernden Heiltrank, Super Marios laufen in umherschwebende Symbole mit gesundheitsfördernder Wirkung. Und sinkt die Energieanzeige doch einmal auf den Gefrierpunkt, startet man eben mit einem Leben weniger oder per Quickload vom letzten Speicherpunkt.

Zombies als Tabubrecher

Nur wenige Werke pflegen eine tiefere Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und binden diese entsprechend in die Handlung ein. Passenderweise gehören zu den jüngsten Beispielen zwei Produktionen, die als Setting die Zombie-Apokalypse gewählt haben. Nichts symbolisiert die Angst vor der Ungewissheit des Todes besser als seine wandelnde, röchelnde Personifizierung. Zombies sind ein Tabu auf Beinen.

(Spoilerwarnung für die nächsten zwei Absätze!)

Inmitten dieses Horrorszenarios konfrontiert die Serienumsetzung "The Walking Dead" (zum GameStandard-Test) den Spieler mit dem Thema, umgeben von auferstandenen Toten - die damit gar nicht gemeint sind. Es ist die Sorge um das Überleben der kleinen Clementine, die zur treibenden Kraft der Handlung wird. Während ihr Schicksal am Schluss ungewiss bleibt, erlebt man sein virtuelles Alter Ego im letzten Spielabschnitt sterbend. Langsam, aber doch.

Wie ein Pflock bohrt sich der Konflikt ins Herz, ob man mehr um das absehbare Ende der Hauptfigur trauert oder um das, was sie zurücklassen muss: das kleine, mutige Mädchen in einer Welt voller Gefahr. Das Bestehenbleibende, das man selbst verändert hat, ist ein Teil dieser Endlichkeit, vor der man sich allgemein fürchtet.

Spielerischer Untergang

Noch mehr mit dem "Aus" setzt sich "Project Zomboid" auseinander. Die Kombination aus Survival-RPG mit "Minecraft"-artigen Bastelelementen eröffnet dem Spieler unzählige Möglichkeiten, sich zu entfalten. Diese sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Ausgestaltung eines Weges, an dessen Ende ein wenig friedvoller Tod steht.

Ob man seine Spielfigur eine Überdosis Schlafmittel konsumieren, verhungern oder mit Pauken und Trompeten in einem epischen Endkampf gegen die untoten Horden aus dem Leben scheiden lässt, ist immer die ausnahmslos letzte Entscheidung, die man zu fällen hat.

Die Heilung der Zombie-Seuche, das Ausrotten aller wandelnden Leichen oder ein rettender Hubschrauber des Militärs - all diese Happy Ends aus anderen Spielen wurden von den Entwicklern absichtlich eliminiert. "This is how you died", lautet das Spielmotto.

Bis es so weit ist, durchsucht man Häuser, errichtet Barrikaden, tüftelt an Waffen und Fallen, arbeitet mit oder gegen andere Überlebende, schleicht durch die Straßen oder pflastert sie mit Zombie-Überresten. Kurz: Man prägt die Geschichte des eigenen Untergangs und setzt sich vielleicht ein kleines Denkmal, das man als virtueller Held zurücklassen muss. Als reale Person kann man seine Errungenschaften freilich teilen und bleibende Erinnerungen schaffen.

Hinterlassenschaft

Eine solche hat auch das Entwicklerteam von Creative Assembly mit "Total War: Rome 2" verwirklicht, auf dem umgekehrten Weg. Die Willow Foundation hat es einem leidenschaftlichen Computerstrategen namens James ermöglicht, einen Tag bei den Machern des Spiels zu verbringen. Dabei erhielt er umfassende Einblicke in die Alphaversion des Titels und konnte sie sogar anspielen. Erfahrungen, die bislang nicht einmal Journalisten machen durften.

Der Hintergrund ist jedoch ein sehr ernster. Willow ermöglicht solche Kooperationen, um Todkranken einen Tag Pause und Ablenkung vom Alltag zu verschaffen, der sich sonst rund um ihre Krankheit dreht. Der 24-jährige James hatte zum Zeitpunkt seines Besuches den Kampf gegen den Krebs bereits verloren. Er verstarb kurz nach dem Stelldichein bei Creative Assembly, lebt aber im Spiel weiter.

Sein Antlitz wird einen römischen Kriegsherrn zieren, der eine wichtige Rolle bei der Belagerung von Karthago einnehmen soll. Es ist das, was James als Spieler in der Sphäre seines Lieblingshobbys hinterlassen konnte.

Vom Wert eines jungen Kulturguts

Freilich bietet die Aktion auch Angriffsfläche. Immerhin taugt der Besuch von James durchaus als PR-Maßnahme, mit der das Interesse an "Total War" sicher gesteigert wird. Sieht man es ganz zynisch, könnte man das Publikwerden der Besichtigung gar als Ausnutzen eines Sterbenskranken abkanzeln.

Dabei darf man trotzdem nicht vergessen, dass ebenjenem Menschen, der unmittelbar mit seinem eigenen Tod konfrontiert war, ein Herzenswunsch erfüllt werden konnte. Dass er in einem Videospiel verewigt ist, das im besten Falle - wie so mancher Klassiker der alten Heimcomputerära - auch in 20 Jahren noch Liebhaber findet, ist wiederum ein starkes Indiz dafür, dass sich Videospiele zum ernst zu nehmenden Kulturgut gemausert haben.

Aufruf zur Enttabuisierung

Und für ein solches kann eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit nicht schaden. Seit Jahrtausenden ist das unweigerlich präsente Thema in den Sphären von Religion und Wissenschaft gefangen. Ein Vordringen in die Popkultur gelingt höchst selten, trotz zwischendurch aufflackernder Sterbehilfe-Debatte wagt sich auch die Politik in vielen Ländern kaum heran.

Zeit für talentierte Geschichtenerzähler und Entwickler, die immensen Möglichkeiten des Mediums Videospiel zu nutzen, um die natürliche Konsequenz des Lebens mit Hilfe hochwertiger Umsetzungen endlich zu enttabuisieren. (Georg Pichler, derStandard.at, 31.3.2013)