Forschen auf dem Acker, mit Blick auf den Campanile von Aquileia: Mit dem Georadargerät werden im Bereich des ehemaligen Stadions versunkene Mauerreste aufgespürt.

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Die Nordküste der Adria am Anfang des vierten Jahrhunderts nach Christus: In der flachen Landschaft westlich der Isonzo-Mündung, ein paar Kilometer vom Meer entfernt, erhebt sich eine der wichtigsten Städte der damaligen westlichen Zivilisation. Aquileia. Rund 80 Hektar umfasst ihre Fläche innerhalb der Stadtmauern. Vor den Toren ein Geflecht aus schmalen Kanälen mit Verbindung zum Fluss und der Lagune im Süden. Die römische Stadt verfügt über ein Theater, eine Zirkusanlage und ein Amphitheater für Gladiatorenkämpfe. Urbanes Leben in Reinkultur.

Aquileia ist reich, ein prosperierendes Wirtschaftszentrum mit Verbindungen bis in die entferntesten Winkel des Römischen Imperiums und sogar über dessen Grenzen hinweg. Mehrere wichtige Handelswege laufen hier zusammen. Zudem ist die antike Metropole mit bestens ausgebauten Hafenanlagen ausgestattet. Die Schiffe müssen allerdings landeinwärts fahren. "Man hat bewusst keinen Standort am Meer gewählt, weil dort die Häfen versanden", sagt Stefan Groh vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) im Wien. Die aus den Südalpen kommenden Zuflüsse der Adria laden einfach zu viele Sedimente ab, erklärt der Wissenschafter. Das haben bereits die Römer gewusst.

Ursprünglich war Aquileia 181 v. Chr. als Militärkolonie entstanden. Mehr als 3000 Veteranen mitsamt ihren Familien hatten sich an der strategischen Stelle niedergelassen und dort ihre Höfe gebaut. "Die Siedlung ist dann in kürzester Zeit zu einer Handelsdrehscheibe geworden" , berichtet Groh. Jahrhundertelang konnte die Stadt ihre Position behaupten, trotz Kriegswirren und Belagerungen. Nach dem Edikt von Mailand, welches 313 das Christentum im Römischen Reich etablierte, wurde Aquileia auch zu einem wichtigen religiösen Zentrum. Wirtschaftlich verlor es jedoch langsam an Bedeutung. Die einfallenden Hunnen zerstörten die antike Metropole im Jahr 452. Heute ist Aquileia nur noch ein größeres Dorf mit knapp 3500 Einwohnern.

Auf Kulturhistoriker und Archäologen wie Stefan Groh übt der Ort dennoch eine enorme Anziehungskraft aus. Die im Jahr 1031 fertiggestellte Basilika ist noch immer erhalten, zusätzlich wurden einige römischen Ruinen ausgegraben. Die Unesco hat die Anlagen 1998 zum Weltkulturerbe erklärt. Ein Großteil der antiken Stadt liegt jedoch noch unter der Erdoberfläche, zugedeckt von den Flussablagerungen und dem Staub der Jahrhunderte. Es gibt noch einiges zu entdecken.

Ein ÖAI-Expertenteam unter Grohs Leitung hat 2011 damit begonnen, einige nordwestlich des modernen Aquileia gelegene Areale systematisch zu erkunden - und setzt damit eine lange wissenschaftliche Tradition fort: Schließlich waren es bis zum Ende der Donaumonarchie vor allem österreichische Gelehrte, die sich mit der versunkenen Metropole befassten. Das neue Projekt wird vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziert.

Bei den heutigen Untersuchungen nutzen die Wissenschafter modernste Technik für das Aufspüren bislang unbekannter Baustrukturen. Die sogenannte magnetische Prospektion misst kleine, oberflächennahe Abweichungen des Erdmagnetfeldes. Diese geben Hinweise auf zugeschüttete Gruben und Gräben, Öfen und sogar Ansammlungen zerbrochener Ziegel. Das Georadargerät zeigt versunkene Mauerreste an. "Mit einer Kombination aus beiden Methoden bekommt man ein sehr gutes Bild darüber, was im Boden ist", erklärt Stefan Groh.

Werkstätten am Stadtrand

Die ersten Erkundungsarbeiten der Wiener Forscher haben bereits erstaunliche Ergebnisse erbracht. Das Team fand nicht nur Theaterüberreste, sondern auch eine bisher unbekannte komplette Hafenanlage. Sie existierte offenbar zusätzlich zum bereits gut dokumentierten Hafen im Osten des römischen Aquileia. Der neu entdeckte Komplex liegt im Westen des antiken Stadtgebietes und ist an die 300 Meter lang. Neben einem Kai und Lagerhallen befanden sich hier anscheinend zahlreiche Werkstätten, vermutlich Glasbläsereien, Gerbereien und dergleichen, sagt Stefan Groh. "All die schmutzige Infrastruktur lag außerhalb der Stadtmauern."

Dieser Westhafen ist sicherlich der ältere gewesen, meint der Archäologe. "Der Hafenkanal führt genau auf der Achse der Hauptstraße bis zur Stadtmauer." Die Anlage fügte sich somit exakt in die ursprüngliche Stadtplanungsstruktur ein. Durch Schlickablagerungen und Abfälle neigte der Kanal allerdings zum Verlanden. Er musste regelmäßig trockengelegt und gesäubert werden.

Nach dem dritten Jahrhundert scheint man diese aufwändigen Maßnahmen eingestellt zu haben, der Hafen wurde aufgegeben. Der Osthafen lag an einem natürlichen Flussarm. Hier hat wahrscheinlich die Strömung geholfen, das Becken freizuhalten, sagt Groh.

Um einen besseren Einblick in die Wirtschaftsstruktur des römischen Aquileia zu erhalten, wollen die österreichischen Experten im Bereich des Westhafenkanals einige Bohrungen durchführen. Die so gewonnenen Bodenproben sollen chemisch analysiert werden. Die Idee dahinter: In der Antike gab es noch keine Umweltschutzbestimmungen. Jede Werkstatt kippte ihren Dreck ohne Umschweife in den Kanal, und diese Altlasten dürften noch immer nachweisbar sein. Ob Lederverarbeitung, Glasherstellung oder Schmiede - jeder hinterlässt seinen typischen chemischen Fingerabdruck. Latrinenschlamm und Knochenreste könnten zudem Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten der alten Aquileianer geben.

Antike Barcodes

Ebenfalls hochinteressant dürfte die Auswertung der Feldfunde werden. Grohs Team hat Anfang dieses Jahres zehn Tage lang die Ackerflächen im neu entdeckten Hafenareal durchsucht und dabei mehr als 120.000 Fundstücke eingesammelt. Hauptsächlich Keramikscherben, insgesamt 4300 Kilo Material. Experten können an den Bruchstücken erkennen, ob diese zum Beispiel von einer Amphore als Behälter für spanischen Wein oder Olivenöl stammen.

Zusätzlich wurden in Zusammenarbeit mit tschechischen Kollegen der Universität Brno zum ersten Mal in Aquileia Metalldetektoren eingesetzt. Mehr als 250 Münzen sowie zahlreiche Bleiplomben kamen zutage. Die Plomben dienten zur Warenetikettierung, erklärt Stefan Groh, "quasi antike Barcodes." Ihre Markierungen sollen wieder entzifferbar gemacht werden und so eine Fülle an Informationen über den Handel liefern. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 27.03.2013)