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Das Thema Boreout wird gesellschaftlich noch wenig akzeptiert.

Foto: AP/JEROME FAVRE

Vor zwei Wochen veröffentlichte die derStandard.at-Redaktion einen ersten Schwall an Zitaten von Lesern, die dem Aufruf gefolgt waren, von ihren Erfahrungen mit zu wenig Arbeitsaufträgen und Langeweile im Job zu berichten. Da noch mehr Zusendungen ins Postfach des Karriere-Ressorts geflattert sind, gibt es jetzt einen zweiten Teil mit weiteren Erfahrungsberichten zum Thema.

Neben Zuständen wie dem Sich-eingesperrt-Fühlen, Erschöpfung, dem Problem, beschäftigt wirken zu müssen, und dem Wissen, nur unnütze Tätigkeiten und nichts Sinnvolles zu tun, klagen einige Betroffene auch über die ungleich verteilten kurzen Arbeitsschübe, die sich mit langen Leerlaufzeiten abwechseln. Userin K. etwa schreibt: "Falls es mal etwas zu tun gibt, ist es gleich so viel, dass man für vierzehn Tage genug zu tun hätte. Aber natürlich sollte alles bereits fertig sein, bevor man überhaupt angefangen hat."

"Man fällt von 150 auf null runter"

Auch Userin G. wird zwischen Arbeitsflaute und -flut hin- und hergerissen: "Das Schlimmste an der Sache ist, dass die Arbeit oft stoßweise kommt. Man hat dann eine Woche, in der so viel zu tun ist, dass man kaum weiß, wo man zuerst hinsoll, aber genauso schnell, wie der Stress da war, ist er dann auch wieder weg. Man fällt von 150 auf null runter - immer und immer wieder. Es hat durchaus etwas Positives, dazwischen auch mal atmen und trödeln zu können, aber eine Berg-Tal-Fahrt das ganze Jahr hindurch ist eine psychische Herausforderung, der man auf Dauer nicht gewachsen ist."

User P., der in einem Konzern im Rechnungswesen arbeitet, erklärt, er werde, wenn es zu wenig zu tun gibt, mit "stupiden Routinetätigkeiten quasi aufs Abstellgleis gestellt, da man offenbar jemanden dafür braucht bzw. missbrauchen will". Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sehe er keine, in den Leerlaufzeiten sei er dennoch beschäftigt: "Zwischen den 'Tätigkeiten' sind oft große Zeitlöcher, die ich aber nütze, um mich fortzubilden."

Auch Userin D. kritisiert die schlechte Verteilung der Arbeitsaufträge. Sie genieße die Wochen, in denen sie gefordert wird, und bedaure, dass diese Zeit so schnell wieder vorbei ist: "Es gibt eine Zeit im Jahr, wo ich vor lauter Arbeit und Aufgaben auch Überstunden zu machen habe. Diese Zeit ist von Herbst bis ins neue Jahr hinein. Ich funktioniere gut, ich quäle mich in der Früh nicht mehr aus dem Bett und ich fühle mich ausgelastet. Sobald das neue Jahr ein paar Tage oder Wochen alt ist, läuft diese stressige Zeit leider aus und ich finde mich wieder surfend auf Wikipedia, Youtube oder Facebook."

"Der Teamleiter erledigt Aufgaben lieber selbst"

Ein weiteres Problem, das ebenso in eine unausgewogene Arbeitsverteilung münden kann, spricht User E. an. Er klagt darüber, nicht ausgelastet zu sein, und zwar aus einem bestimmten Grund: "Meine Vorgesetzte schafft es nicht, Dinge abzugeben, und macht lieber alles selbst." Userin K. beschreibt Ähnliches: "Der Teamleiter erledigt alle Aufgaben lieber selbst, als sie zu delegieren. Er ist der Einzige, der wirklich den ganzen Tag beschäftigt ist. Natürlich ist er dadurch so überfordert, dass er keinerlei Informationen weitergibt und das Team (wenn er nicht da ist) nicht auf dem aktuellen Stand ist."

Userin G. überlegt, ob zu streng abgegrenzte Kompetenzfelder Schuld daran haben könnten: "Boreout ist durchaus - meiner Erfahrung nach - gang und gäbe mittlerweile. Während man oft wirklich direkt neben einem Kollegen sitzt, der Arbeit für drei hätte, diese aber nicht abgeben kann, weil jeder sein Aufgabengebiet hat und daher auch (nicht) entsprechend qualifiziert ist."

Und User S. schreibt: "Ebenso schlimm wie das eigentliche Nichts-zu-tun-Haben ist es, wenn der Boss auch gerade 'Luft' hat und diese zwanghaft versucht zu füllen. Das andere ist das Schaffen neuer interner Aufgabenbereiche, zum Beispiel unnötige Inventuren, Lagerlisten, Verbrauchsberechnungen und so weiter, die eigentlich nicht gebraucht werden bzw. unnötig sind, da es genau das unter anderem Namen bereits gibt. Schlimm wird es erst dann wirklich, wenn doch wieder mehr zu tun ist, man eh nicht nachkommt mit der Arbeit und der Boss diese unnötigen Arbeiten weiter erledigt haben will, die eigentlich nur aus Langeweile und Unterbeschäftigung entstanden sind."

"Frage fünfmal die Woche, ob es was zu tun gibt"

Böse Zungen würden behaupten, wenn einem im Job langweilig ist, müsse man sich eben selbst um Arbeitsaufträge kümmern, wenn sie einem schon nicht zufliegen. Userin K. hält dagegen, dass sie laufend ihren Chef nach Arbeit frage: "Ich frage fünf- bis sechsmal die Woche, ob es etwas zu tun gibt. Nur leider bekomme ich dann immer die Antwort: 'Nein. Schau, dass in deinem Bereich alles passt.' - Ha! Wenn in dem Bereich nicht alles passen würde, würde ich mir keine weitere Arbeit suchen!"

Auch User E. habe mehrmals das Gespräch mit seiner Vorgesetzten gesucht, geändert habe sich an seiner Situation dennoch nichts: "Da sie mich als Person sehr schätzt und nicht möchte, dass ich das Unternehmen verlasse (bin ich doch ihre rechte Hand und ihr halbes Gehirn), hat sie mir immer wieder irgendwelche (letztendlich nicht stattfindenden) Tätigkeiten versprochen. Nach fast sechs Jahren ist es aber bei dem frommen Wunsch geblieben, und meine Situation hat sich nicht geändert."

"Das Schlimmste ist, dass es nicht anerkannt ist"

Es fehle auch die gesellschaftliche Akzeptanz, Boreout als Problem zu sehen, sagen die Betroffenen. Userin L. findet: "Das Thema geht unter den anderen anerkannten Berufsproblemen total unter." Und User E. schreibt: "Das Schlimmste ist, dass es gesellschaftlich nicht anerkannt zu sein scheint."

E. schreibt, in seinem privaten Umfeld sei praktisch kein Verständnis für das Problem da: "Der Klassiker 'So viel würde ich auch gerne verdienen, ohne was zu tun!' ist nicht nur erniedrigend, sondern auch sehr traurig für mich. Ich will arbeiten und tue dies am besten unter gesundem Stress. Mir erlaubt mein inneres Wertesystem nicht, das Ganze entspannt zu sehen. Entspannen kann man nur, wenn man vorher etwas getan hat."

Userin D., die seit sieben Jahren im Ausland arbeitet, schämt sich im Freundeskreis und in der Familie für ihre Situation: "Ich möchte mich nicht den abwertenden und vielleicht auch anfeindenden Blicken aussetzen, wenn ich ihnen sage, dass ich fürs Nichtstun bezahlt werde. Und das im Ausland, wo es doch aufregend ist. Auch die Scham spielt eine große Rolle. Natürlich schäme ich mich, dass ich nicht den Mut besitze, mich dieser Situation öffentlich zu stellen und/oder ihr ein Ende zu setzen."

"Ich habe gekündigt"

Userin H., die in den USA in einer staatlichen Organisation arbeitete und für ein Jahr in eine Teilstelle entsandt wurde, erzählt: "Man hatte mir gleich am ersten Arbeitstag gesagt, ich sollte es doch 'easy' angehen und erst mal ein paar Wochen Urlaub machen." Doch auch nach dem Urlaub gab es monatelang keine Arbeit für sie, geschweige denn ein Büro, in dem sie arbeiten hätte können: "Ich konnte nichts, absolut nichts machen (keine Elektrizität, kein Papier, keine Druckerpatronen)."

Beschwert habe sich niemand, im Gegenteil: "Mein Gehalt wurde pünktlich bezahlt, da es direkt aus Washington kam, und man war mit mir und meiner 'Arbeit' durchaus zufrieden. Ich habe gekündigt." Auch für User P. ist mittlerweile klar: "Ich stehe kurz davor, meinen Job zu kündigen, da ich es absolut nicht mehr aushalte. Lieber bin ich arbeitslos, als noch länger meine Lebenszeit zu verschwenden."

"Es geht um Macht"

Userin G. meint, das Boreout-Phänomen habe mit dem System der Arbeitswelt zu tun: "In unserer Berufswelt geht es immer um Macht. Wer die meisten Mitarbeiter hat, hat auch die Macht. Der Rest ist irrelevant. Während man sich vor Mitarbeitern für Weiterbildungsangebote aus Kostengründen verschließt, vergisst man aber auch bei den Führungskräften ganz darauf, diese dahingehend zu schulen, ihre Mitarbeiter gewinnbringend, motivierend und sinnvoll einzusetzen." (Jasmin Al-Kattib, derStandard.at, 26.3.2013)