Sieht keine Alternative zum bestehenden Emissionshandelssystem: Die Erfinderin desselben und Ökonomin an der Columbia-Universität in New York, Graciela Chichilnisky.

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Armutsbekämpfung hilft dem Weltklima, ist die Ökonomin Graciela Chichilnisky überzeugt. Warum eine CO2-Steuer keine Lösung für das Klimaproblem ist, sagte die Architektin des CO2-Handelssystems Günther Strobl.

STANDARD: Es gibt die Theorie, OECD-Staaten würden CO2-Emissionen in Länder wie China exportieren und so besser dastehen.

Chichilnisky: Das ist Fakt. Die Art, wie in China produziert wird, ist wirklich schmutzig. In Summe wird etwa gleich viel CO2 emittiert wie in den USA. Aber es sind viel mehr Menschen, die dort leben. Ein Chinese verbraucht im Schnitt einen Bruchteil der Energie eines Durchschnittsamerikaners.

STANDARD: China setzt aber weiter auf Kohle, die ja besonders schmutzig ist?

Chichilnisky: In China gibt es enormen Bedarf an zusätzlicher Energie. Peking verfolgt das Ziel, 500 Millionen Menschen in Städten anzusiedeln, die jetzt noch unter schwierigen Bedingungen auf dem Land leben. Wenn wir die globale Umweltkrise in den Griff bekommen wollen, müssen wir den Nord-Süd-Graben planieren. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in unterentwickelten Regionen. Armut ist die Hauptursache, warum begrenzte Ressourcen zu billig abgegeben und im Übermaß gefördert werden.

STANDARD: Zum Beispiel?

Chichilnisky: Billiges Rohöl verhindert, dass wir in großem Stil auf neue Technologien wie Solar umsatteln. Öl ist vergleichsweise billig, weil es großteils arme Länder sind, die es exportieren. Das Kräfteverhältnis zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern ist krass.

STANDARD: Aber Öl wird wohl teurer werden.

Chichilnisky: Der Ölpreis wird, relativ betrachtet, sinken.

STANDARD: Wegen Schieferöls, das zusätzlich auf die Märkte drängt?

Chichilnisky: Noch einmal: Es ist die Armut, die den Preis von Rohöl bestimmt. Armut in Nigeria, Ecuador, Mexiko. Armut auch in Algerien und in vielen weiteren Ländern, die einen Großteil ihres Öls exportieren.

STANDARD: Länder wie Saudi-Arabien subventionieren den Treibstoff ...

Chichilnisky: ... und die sind nicht arm. Saudi-Arabien hat eine andere Motivation. Die trachten, dass Rohöl nicht zu teuer und von alternativen Energieformen abgelöst wird.

STANDARD: Sie sind die Architektin des Emissionshandelssystems. Sind Sie enttäuscht, wie es wirkt - sieben Jahre nach Einführung?

Chichilnisky: Ganz und gar nicht. Warum das Handelssystem in Europa nicht abhebt, hat einzig technische Ursachen. Es sind schlicht zu viele Zertifikate in Umlauf. Insgesamt funktioniert das System aber. Außer in Europa gibt es mittlerweile auch in Australien, Japan und China einen CO2-Handel. Kanada ist mit der Provinz Alberta ebenso dabei wie die USA mit Kalifornien.

STANDARD: Die aber nicht verbunden sind?

Chichilnisky: Märkte, die nahe beisammen liegen, haben die Eigenschaft, dass die Preise konvergieren, auch wenn die Märkte nicht direkt miteinander verbunden sind. Das trifft auch bei CO2 zu.

STANDARD: Emissionszertifikate wurden eingeführt, damit die Luft reiner wird. Jetzt passiert fast das Gegenteil - siehe Deutschland und der verstärkte Einsatz von Kohle?

Chichilnisky: Tatsache ist, dass die Kioto-Unterzeichnerstaaten ihre Emissionen seit 2005 um zwölf Prozent gesenkt haben. Die Kioto-Länder werden für etwas geprügelt, wofür sie nichts können - dass die Emissionen im Rest der Welt zugenommen haben.

STANDARD: Befürchten Sie nicht, dass der Preiscrash bei den Emissionszertifikaten das ganze System gefährdet?

Chichilnisky: Ich bin überzeugt, es gibt kluge Köpfe in der EU, die das zu verhindern wissen.

STANDARD: Was müsste geschehen?

Chichilnisky: Die Emissionsmenge pro Nation müsste gesenkt werden.

STANDARD: In der EU wird überlegt, 900.000 Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Gut?

Chichilnisky: Das ist eine andere Möglichkeit, dasselbe Ziel zu erreichen - nämlich höhere Preise pro emittierte Tonne.

STANDARD: Wäre es nicht besser, den CO2-Handel durch eine CO2-Steuer zu ersetzen?

Chichilnisky: Um das Problem der globalen Erwärmung zu lösen, muss man die Menge an emittiertem CO2 begrenzen. Mit CO2-Steuern geht das nicht. Solche Steuern funktionieren gut auf nationaler Ebene; global brauchen wir einen CO2-Markt - und Limits. (Günther Strobl, DER STANDARD, 26.3.2013)