Wien - "Sind Sie die Sklavin Ihrer Mutter?", will Richter Andreas Böhm von Natalia T. wissen. "Meine Mutter ist eine Frau, zu der ich nicht Nein sagen kann, ich lebe seit 24 Jahren mit ihr zusammen." "Dann sollten Sie daran arbeiten", gibt Böhm der 27-jährigen Angeklagten einen Rat. Denn könnte sie Nein sagen, würde sie hier im Wiener Straflandesgericht nicht vor ihm sitzen.

Veruntreuungsvorwurf

T. und ihrer 66 Jahre alten Mutter wird Veruntreuung vorgeworfen. Im Frühjahr 2012 sollen sie 20.000 Euro von einer oberösterreichischen Reisegruppe kassiert haben, um im Sommer eine Tour zu den "Weißen Nächten" in St. Petersburg zu organisieren. Die Urlauber sahen weder die Stadt an der Newa noch ihr Geld.

Die Befragung der 27-Jährigen ist rasch erledigt. Sie sei nur Pro-forma-Geschäftsführerin des kleinen Reisebüros gewesen, in Wahrheit die Mutter für alles verantwortlich gewesen. Wenn diese sagte, sie solle Bargeld vom Geschäftskonto holen, habe sie das gemacht. "Wie kann ich ihr nicht vertrauen? Sie ist meine Mutter."

Die Angesprochene zehrt an Böhms Nerven, der mit seinem Verhandlungsfahrplan hintennach ist. Einfache Ja/Nein-Antworten sind von der Pensionistin, die sich selbst als Opfer sieht, nicht zu bekommen.

Privatdetektiv beauftragt

Nur langsam kristallisiert sich daher ihre Version heraus. Die 26 Flugtickets für die Gruppe seien reserviert, aber noch nicht bezahlt gewesen. Dann habe sie aber von einem gewissen Andre K. ein günstigeres Angebot erhalten, ihm das Geld gegeben und sei betrogen worden.

"Niemand kann diesen Mann finden", erklärt sie. "Das glaube ich", brummelt Böhm. "Aber damit beschäftigen sich jetzt schon andere in St. Petersburg." "Wer? Polizei, Gericht, eine kriminelle Organisation?" " Nein, ich habe einen Privatdetektiv beauftragt." Der Ermittler soll den Zahlungsbeleg haben, mit dem T. ihren Opferstatus beweisen könnte.

Die Hoffnung des Richters, zügiger voranzukommen, wird durch den Auftritt von Helmut W. zunichtegemacht. Der ist das Opfer, hat die 20. 000 Euro bei seiner Gruppe eingesammelt und übergeben - und will dies nun ausführlich schildern.

Aufgerissenes Reisetrauma

"Wir haben uns schon seit Herbst 2011 für so eine Reise interessiert", hebt er an. "Kommen wir zur Zeit nach der Zahlung", drängt Böhm den Pensionisten. "Na ja, wir haben bis zum Abflug nichts mehr gehört. Ich bin ja noch immer völlig fertig. Heute Früh bin ich am Westbahnhof angekommen, und da ist die ganze Erinnerung ..." "Sie haben ein Reisetrauma aufgerissen", kürzt Böhm ab.

Prozess vertagt

Das Trauma ist nachvollziehbar: Als die Gruppe am Abflugtag in Wien-Schwechat stand, erfuhr sie, dass es keine Reservierung gibt. Telefonisch versprach die ältere Angeklagte, sie werde Geld via Western Union für einen Barkauf der Tickets überweisen. Passiert ist das nicht. Auf ihr Angebot, die Gruppe solle in einem Wiener Nobelhotel übernachten und am nächsten Tag fliegen, ging man dann nicht mehr ein.

Der Prozess wird vertagt, die Angeklagten sollen weitere Unterlagen beschaffen. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 23./24.3.2013)