Jeff Jarvis: "Mehr Transparenz wagen! Wie Facebook, Twitter & Co die Welt erneuern."

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Byung-Chul Han: "Transparenzgesellschaft"

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Der US-amerikanische Journalismusprofessor Jeff Jarvis hat sein Credo gleich zum Titel seines Buches gemacht: Mehr Transparenz wagen! Wie Facebook, Twitter & Co die Welt erneuern. Beim deutsch-südkoreanischen Philosophen Byung-Chul Han lässt der neutrale Titel Transparenzgesellschaft nicht gleich auf seine Positionierung schließen, sehr wohl aber das Vorwort, ein Zitat von Peter Handke: "Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich." Beide Bücher hintereinander zu lesen ergibt ein spannendes Bezugssystem, auch wenn das von den beiden Autoren so nicht beabsichtigt ist.

Der langjährige Journalist und erfolgreiche Blogger Jarvis kommt gleich direkt zur Sache. Er macht aus seiner Bewunderung für Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kein Hehl, den er "Prophet der Öffentlichkeit" nennt. Er zitiert sehr ausführlich aus einem Gespräch mit Zuckerberg und führt dann alle Fehler an, die Facebook im Umgang mit Daten seiner Nutzer gemacht hat - um sie im nächsten Satz zu entschuldigen oder Erklärungen dafür zu finden. Facebook habe "nicht unbedingt heimtückisch" agieren wollen. "Facebook, Google und andere Informationsdienste verfolgen ein gemeinsames techno-humanes Ziel: Sie wollen unsere Absichten intuitiv erfassen, Informationen über uns sammeln, damit sie uns passende Inhalte, Leistungen und maßgeschneiderte Werbung anbieten können", schreibt Jarvis und sieht dies durchwegs positiv. "In Konflikt mit Datenschützern geraten die Dienste deshalb, weil das Sammeln und Analysieren solcher Informationen sehr schnell nach Spionage, Stalking oder Gedankenlesen aussieht."

Nach seinem Helden Zuckerberg widmet sich Jarvis seinem Feindbild, den " sehr privaten Deutschen". Er macht sich lustig über deren "Sehnsucht nach Privatheit" und "ihrem Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden". Auch Österreich kommt in dem Zusammenhang einmal vor, als Jarvis den Vorfall wiedergibt, dass ein Siebzigjähriger den Google-Street-View-Kamerawagen " mit einer Gartenhacke" angegriffen hat. Seine Erklärung: Die Deutschen hätten "keine Mitteilungskultur".

"Öffentliche Intimzone"

Der frönt er umso eifriger, als er seitenlang über seine "öffentliche Intimzone" schreibt: Seine Erfahrungen in diversen Saunas und vor allem sein bewusster Gang an die Öffentlichkeit nach seiner Diagnose Prostatakrebs. Detailreich schildert er die Reaktionen auf seine Mitteilungen und das Öffentlichmachen seiner Krankheitsakte und der Auswirkungen: wie es ist, zeitweilig inkontinent und impotent zu sein. Ihm hat geholfen, in seinem Blog Buzzmachine.com darüber zu schreiben und im Radio und Fernsehen "über meinen schlappen Schwanz zu reden". Damit nicht genug der Offenheit: "Dass ich mir Pornos ansehe, leugne ich nicht." Und auch sein Gehalt legt der Guardian-Kolumnist offen und das Honorar für sein erste Buch Was würde Google tun? - 400.000 Dollar in drei Jahren. Ein Vortrag für einen großen Konzern kostet bis zu 45.000 Dollar.

Das Gefühl, eigentlich will ich gar nicht so viel über diesen Kollegen und Interviewpartner wissen, drängt sich häufiger auf. Und die Frage: Wozu dieser Zwang zu Öffentlichkeit? Warum ist er sich nicht klar darüber, dass diese demonstrative Offenheit auch ein Gefühl der Peinlichkeit hervorrufen kann?

An diese Stellen im Buch erinnert man sich, wenn der in Karlsruhe und Berlin lehrende Philosoph Han die Transparenzgesellschaft mehrfach als pornografisch beschreibt und feststellt: "Die Tyrannei der Intimität psychologisiert und personalisiert alles", die "Veröffentlichung der Person" trete immer mehr in den Vordergrund. "Der Narzissmus ist Ausdruck der distanzlosen Intimität zu sich, nämlich der fehlenden Selbst-Distanz."

Die Forderung nach Transparenz ist für den Philosophen "Fetischierung und Totalisierung" und nicht zuletzt ökonomisch begründet: Der gläserne Mensch kann "sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und Information einfügen". Es werde "maximaler Profit, maximale Aufmerksamkeit" und letztlich "eine maximale Ausbeute" angestrebt.

Unübersichtliche Welt

Für ihn bringt die Informationsgesellschaft nicht unbedingt ein Mehr an Wissen und erzeugt noch keine Wahrheit. "Je mehr Information freigesetzt wird, desto unübersichtlicher wird die Welt. Die Hyperinformation und die Hyperkommunikation bringt kein Licht ins Dunkel." Gleiches gilt in der Enthüllungsgesellschaft. Han fehlt "der moralische Imperativ".

In vielem kann man dem Autor, der sich in diesem schmalen Bändchen dieser empfehlenswerten Reihe auf zahlreiche Philosophenkollegen beruft, folgen. Auch wenn die Sätze oft wie in Stein gemeißelt wirken und Begründungen zu apodiktischen Aussagen häufig fehlen - fast hat es den Anschein, um die Ästhetik nicht zu stören. Wenn Han den "Diskurs des Herzens" beschwört und bedauert, "die Transparenz ist nicht das Medium des Schönen", dann gleitet er sogar ins Esoterische ab.

Was das Pathos betrifft und den letztlich ideologischen Standpunkt: Darin gleichen sich die beiden Autoren Jarvis und Han. Und in den jeweils typischen amerikanischen beziehungsweise deutschen Sichtweisen. Wobei der Amerikaner schnell zum Punkt kommt und aus seinem Anhang ersichtlich ist, dass er sich fast ausschließlich auf Beiträge im Internet bezieht. Han ist das Feilen an der Sprache anzumerken, er leuchtet die historischen Bezüge aus und bezieht sich auf Bücher. Jarvis' Blick ist zukunftsgerichtet, Han betrachtet aus dem historischen Rückblick die Gegenwart. Optimismus versus Pessimismus - beides überbordend.

Die Lektüre dieser beiden Bücher zum Thema Transparenz ergibt ein gemischtes Bild: In jedem gibt es nachvollziehbare Argumente. Vieles von dem, was Jarvis begeistert begrüßt, beschreibt Han zu Recht als Eingriff in die Privatsphäre. Umgekehrt blendet Han die positiven Seiten von Transparenz, etwa das Aufdecken von Korruptionsfällen, konsequent aus. Für beide gilt: entweder Schwarz oder Weiß. Diese Dialektik zwingt zur Reflexion und dazu, eigene Positionen zu entwickeln. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 22./23.3.2013)