Es ist reiner Zufall, dass José Manuel Barroso ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Zypernkrise bei Dmitri Medwedew in Moskau antanzt. Das Treffen des Kommissionschefs mit dem russischen Premier war - wie viele zuvor - seit langem geplant. Der Austausch sollte der Pflege der wechselseitigen Beziehungen dienen, die nicht sehr gut sind. Russland fühlt sich generell benachteiligt, bei Energie, Verkehr, Handel (Stichwort: Visafreiheit) ganz besonders.

Diesmal jedoch ist das Treffen etwas ganz Besonderes. Auf der einen Seite interessiert jetzt nur eine einzige Frage wirklich: Wie geht es mit Zypern weiter, welche finanzielle Auffanglösung wird für das bedrohte EU-Land am Ende gefunden. Geht es gar bankrott? Die Zeit drängt.

Auf der anderen Seite ist nach der Ablehnung des Hilfskreditpakets von Eurozone und IWF durch das Parlament in Nikosia unvermittelt klar geworden, wie viel politischer Sprengstoff auf dieser schönen " Sonneninsel" nach wie vor vergraben ist. Die Proteste gegen die geplanten Abgaben auf Sparguthaben sind nur erste Anzeichen von Aggressivität gegen "Außenfeinde". Nicht wenige Zyprioten sehen diese nun eher in Europa und der Türkei, weniger in Russland.

Das müsste auch die wichtigste Warnung sein für die EU-Spitzen, in Brüssel wie in den EU-Hauptstädten: Sie haben die gesellschaftlichen Folgen völlig unterschätzt, wenn ein ganzes Mitgliedsland ins Wanken gerät, die Menschen Angst bekommen. Griechenland, Spanien lassen grüßen.

Man kann Auffanglösungen, so gut sie gemeint sind, nicht Wirtschaftsexperten, Bankern und Finanzministern allein überlassen. Die haben beim Erklären der Lage blamabel versagt.

Der russische Präsident Wladimir Putin wird die Gäste aus der Union daher genüsslich spüren lassen, welche Genugtuung es für ihn war, dass die zypriotische Regierung sich nach dem (vorläufigen) Scheitern der Eurohilfen als Erstes direkt an ihn wandte. Die Russen hätten sich eine frühere Einbindung ins EU-Krisenmanagement gewünscht.

Erstens, weil bei den Wackelbanken auf der Insel besonders viel russisches Geld involviert ist. Zweitens, weil sie bereits einmal mit einem Kredit von 2,5 Milliarden Euro ausgeholfen haben. Drittens ist Zypern wegen seiner geografischen Lage für Russland ein strategisch wichtiger Ort, knapp hundert Meilen von Syrien entfernt, nur etwas weiter von der Türkei, Ägypten, dem Libanon und Israel. Immer wieder taucht das Ansinnen auf, Moskau suche eine zweite Marinebasis neben der bestehenden in Syrien.

Ein ebenso großes Interesse hat auch Natoland und EU-Beitrittswerber Türkei, die den Nordteil der Insel besetzt hält, von den griechischen Zyprioten getrennt durch UN-Soldaten. Ankara hat weniger den Bankenplatz im Auge, umso mehr - wie Russland - die riesigen Gasfelder, die Zypern in fünf Jahren erschließen und zur Geldschwemme machen will.

Es liegen also neben der Banken- und Schuldenkrise in Zypern eine Menge potenzieller Konflikte in der Luft. Als Zypern nach dem EU-Beitritt 2004 im Aufschwung lebte, war es um die gescheiterten Vereinigungspläne des Nord- und des Südteils der Insel ruhig geworden. Das könnte sich an diesem strategischen Hotspot im Mittelmeer rasch in ärgere Konflikte wandeln, sollte das Land unter der Last seiner Schulden zusammenbrechen und die Bevölkerung ins Elend stürzen. Da sind politische Fantasie und Führung gefragt. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 21.3.2013)