Holzforscherin Julia Denzler: "Da wir sehr industrienah arbeiten, haben wir fast immer Projekte, in denen wir alle zwei bis drei Monate Feldversuche durchführen. Dann komme ich auch direkt mit Holz in Berührung."

Foto: ACR/Alice Schnür Meisterfotografie

Die Bauingenieurin entwickelt Verfahren mit, die die Prozesse in der holzverarbeitenden Industrie und im Bauwesen verbessern sollen. "Wir fragen uns: Wie wird aus dem Runden das perfekte Eckige?"

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Wo andere Menschen Schäfchen zählen, zählt Julia Denzler Äste: "Wenn ich unter einer Holzdecke schlafe, kann ich nicht anders, als die Maserung zu begutachten", sagt sie. Die promovierte Bauingenieurin hat sich schon während des Studiums an der Universität Karlsruhe für Holz als Arbeitsfeld interessiert, weil es "der wärmste und komplexeste Baustoff ist". Heute bringt sie als Leiterin des Fachbereichs Technologie der "Holzforschung Austria" Maschinen bei, was sie können müssen, um Hölzer für die Weiterverarbeitung zu beurteilen.

"Ich entwickle Verfahren mit, die die Prozesse in der holzverarbeitenden Industrie und im Bauwesen verbessern sollen. Wir fragen uns: Wie wird aus dem Runden das perfekte Eckige?" Darunter fällt zum Beispiel das Sortieren von Schnittholz und das Einteilen in Holzqualitäten, das Beurteilen der Festigkeit oder die Auswahl des richtigen Stammes für das richtige Produkt.

Baumstämme scannen

Derzeit arbeitet Denzler an einem Programm zum Scannen von Baumstämmen: "Von einem Stamm, der in ein Sägewerk angeliefert wird, möchten wir wissen, wie viel Holzvolumen nach Abzug der Rinde tatsächlich dran ist." Bisher sei das im subjektiven Auge des Betrachters gelegen. "Das Scanning-Programm soll ein automatisches, objektives Messsystem bieten, um den Ablauf zwischen Lieferanten und Weiterverarbeitung zu optimieren."

Dazu muss der Computer Rinde von Holz unterscheiden lernen. Für die Arbeit an diesem Projekt wurde Denzler 2012 mit dem ACR Woman Award ausgezeichnet.

"Ich fand Mathe immer toll"

Das Aufgabengebiet der Holzforscherin hat viel mit Statistik und Mathematik zu tun. Julia Denzler macht das Spaß, denn: "Ich fand Mathe immer toll. Mein Vater war Schulamtsdirektor und unterrichtete früher Mathematik und Physik, mein Bruder ist promovierter Physiker. Der Hang zu Naturwissenschaften und Technik liegt wohl in der Familie. Meine Mutter wollte immer, dass ich Kinderärztin werde."

Aufgewachsen im Schwarzwald, hatte Denzler ihren Lieblingsbaustoff schon als Kind in Fülle um sich: "Im Schwarzwald gibt es mehr Bäume als Menschen", sagt sie lachend. "Ich war immer schon gerne in der freien Natur, das hat meine Leidenschaft für Holz vielleicht mitbeeinflusst."

Zwei von neun

Denzler leitet ein Team von neun MitarbeiterInnen, davon zwei Frauen: "Die Quote ist weder bewusst gesteuert, noch so gewollt. Ich bin ein großer Fan von Durchmischung, fachlich wie geschlechterspezifisch, aber: Es gibt einfach nicht genug Bewerberinnen. Wenn wir Stellen ausschreiben, entscheiden wir danach, wie gut er oder sie auf die Stelle passt, was er oder sie mitbringt. Da meist ein großer Überhang an Männern herrscht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann die Stelle bekommt, entsprechend hoch."

Holztechnologie, Bioenergie und Holzwerkstoffe sind die drei Gebiete, auf denen Denzlers Team forscht. Die Hauptarbeit passiere vor dem Computer und in Besprechungen. "Da wir aber sehr industrienah arbeiten, haben wir fast immer Projekte, in denen wir alle zwei bis drei Monate Feldversuche durchführen. Dann komme ich auch direkt mit Holz in Berührung."

Zwischen Forschung und Praxis

Nach ihrem Studienabschluss schwankte die Ingenieurin einige Jahre in ihrer Entscheidung zwischen Forschung und Praxis: „Ich habe das Gefühl, immer dann, wenn ich das eine habe, will ich das andere." Ein Jahr arbeitete sie bei einer holzverarbeitenden Firma in Reuthe im Projektmanagement: "Es war Arbeit auf der Baustelle. Am Anfang stieß ich als Frau auf Staunen und musste erst klarstellen, dass ich die Leitung über habe. Ab da war die Arbeit sehr angenehm. Aber irgendwann hat mir die Wissenschaft doch gefehlt."

Sechs Jahre verbrachte sie in Folge an der TU München, schrieb ihre Doktorarbeit über den Größeneffekt bei Fichtenschnittholz und arbeitete an wissenschaftlichen Projekten in der Holzforschung München. Dort lernte sie auch ihren Mann, einen Forstwissenschaftler, kennen, mit dem sie heute eine Fernbeziehung zwischen Wien und München führt. Nach der Promotion folgte ein Jahr in der Praxis, in einem Münchner Statikbüro. „Und dann kam wieder die Sehnsucht nach der Forschung."

Goldener Mittelweg

Mit ihrem jetzigen Job bei der Holzforschung Austria hat ihr Wankelmut aber vorerst ein Ende: „Ich wollte mich weiterentwickeln, habe eine neue Herausforderung gesucht und mich für Teamleitung interessiert. Das hat sich hier optimal ergeben. Heute arbeite ich genau zwischen Wissenschaft und Praxis, ich habe den goldenen Mittelweg gefunden."

Auch in ihrer Freizeit blendet sie die Ingenieurin in ihr nie ganz aus: "Betrete ich ein Gebäude mit offenem Dachstuhl, muss ich sofort die Konstruktion begutachten. Dachstühle finden wir Bauingenieure super! Und wenn ich derzeit durch den Wald gehe, sehe ich mir manchmal an, wie die Rinde dieses oder jenes Baumes aussieht."

In ihrer Wohnung umgibt sie sich ebenso gerne mit Holz: "Die meisten unserer Möbel sind aus Vollholz, der Parkettboden ist aus Esche. Und wenn mein Partner und ich hören, dass ein neues Hotel in Holzbauweise eröffnet hat, überlegen wir, ob sich da aus Neugierde nicht ein Wochenendtrip dorthin ausgeht."

Eine Frage der Zeit

Hat sie als Holzforscherin mehr Sinn für Nachhaltigkeit, mehr Umwelt- und Naturbewusstsein? "Ich gehe gerne wandern und laufen in der Natur, mir ist wichtig, dass ein Baum auch in zehn Jahren noch lebt und ich finde, dass die Menschheit so energieautark wie möglich leben sollte. Aber ich glaube nicht, dass diese Einstellung an meinen Beruf geknüpft ist. Das ist eine Frage der Zeit, in der wir leben." (Isabella Lechner, dieStandard.at, 21.3.2013)