Jon Bon Jovi (Zweiter von rechts) und seine Band aus New Jersey versuchen dem US-Amerikaner in uns allen Trost zu spenden: "Our love can move a mountain, if you believe in we."

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Wir müssen jetzt unsere Gedanken ein wenig ordnen. Im auf Youtube mittlerweile drei Millionen Mal aufgerufenen Clip zur Single "Because We Can" sieht man Bon Jovi in einem Boxring rocken und dabei eine gute Zeit haben. Gleich werden junge, stark tätowierte Frauen in den Ring marschieren, die sich zu den harten Rhythmen der Band aus New Jersey lasziv im Takt bewegen und dazu Tafeln zeigen, auf denen die Ringrunden angezeigt werden. Während der junge Boxheld nun erste Schläge bekommt und dazu sehr ästhetisch zu schwitzen beginnt, schreitet eine junge Frau im Businesskostüm hochhackig in den Saal. Sie interessiert sich offensichtlich für die Geschicke des Helden auch abseits der Arena.

Nun wechselt plötzlich der Schauplatz. Die stark tätowierten Frauen haben die Nummernschilder gegen überdimensionale Federfächer getauscht und wedeln sich kühlende Luft zu, denn Bon Jovi rocken jetzt auf der kleinen Bühne eines Stripclubs ganz schön heiß. Im forschen Vierviertelrhythmus mit gedoppelten Chorstimmen und nichts weniger als geilem Gitarrensolo im sittlich bleibenden Rahmen und in F-Dur lacht das Quartett aus New Jersey aus vollem Herzen. Rocken macht Spaß. Rocken ist die Kernkompetenz der seit mindestens drei Jahrzehnten im Geschäft herumgurkenden Band. Mit einem Zwinkern im Auge bekommt schließlich der hübsche Boxer völlig unverdient aufs Auge und geht zu Boden. Es ist eine Geschichte aus uralten Zeiten: Verlierer mag niemand leiden. Die Frau im Businesskostüm aber steigt zu ihm in den Ring und hilft ihm wieder auf: "I don't wanna be another wave in the ocean / I am a rock not just another grain of sand / I wanna be the one you run to when you need a shoulder / I ain't a soldier but I'm her to take a stand. Because we can ..."

Wir müssen jetzt unsere Gedanken wirklich ein wenig ordnen, denn wenn man sich den Text von Bon Jovis Single "Because We Can" durchliest, geht es darin eigentlich um eine frustrierte Hausfrau, die daheim in einer jener Vorstadtküchen der US-amerikanischen Vorstadtzersiedelung steht, die einst vom Dichter als Mühen der Ebenen beschrieben wurden. Über die Tischdekoration fürs Abendessen und ein Gläschen Wein gebeugt hadert sie bezüglich zerbrochener Träume ein wenig mit ihrem Schicksal, starrt gram aus dem Fenster, bevor der Mann dann endlich nach Hause kommt und eine dicke Lippe riskiert: "Our love can move a mountain, if you believe in we." Alles wird gut! Wieder geht ein Tag in New Jersey zu Ende. Es wird noch nicht der schlechteste gewesen sein.

Der Verfremdungseffekt, den Bon Jovi hier mit doch recht eigentlich trübsinnigem Durchhaltetext und fröhlich grinsender Videobotschaft erzielen, kämpft gegenwärtig auf dem neuen Album "What About Now" auch mit anderen harten Kopplungen. Wo Bruce Springsteen rockt, da röckeln Bon Jovi zwar nur. Auf dem neuen Album finden sich aber durchaus mit den jüngsten zornigen Arbeiten des Nachbarn aus New Jersey vergleichbare Songs zum Thema Niedergang des amerikanischen Imperiums. Im eindringlich zum Mitpaschen einladenden "What's Left Of Me" etwa geht es um Heimkehrer aus dem Krieg gegen den Terror: "Been back from the desert for a year or so / Left more in the sand then you'll ever know / Another war's waiting for me when I got back home." Und mit ergänzenden Durchhalte-Hey-heys wird die Heimatfront beschworen: "Well I'm a teacher, I'm a farmer, I'm a union man / It's getting harder to make a living on this hard land / We ain't working in our factories all these jobs went overseas. Hey, hey!"

Man will an dieser Stelle nicht überzogen kritisch erscheinen. Schließlich geht es bei Bon Jovi mit breiter Stimme und breiten Rockerbeinen immer auch um die Beschwörung des auch noch in der Mittlebenskrise aufrechterhaltenen amerikanischen Traums im hohen Oktanbereich - und mit Texten ohne doppelten Boden, für die man sich in deutscher Sprache manchmal genieren würde. Man kann dann nämlich nicht weghören. Aber: Bon Jovi kommen zwar wie Bruce Springsteen aus der Arbeiterklasse. Wenn allerdings Dollarmillionäre Gewinn aus der in der Freistellung nach Freiheit lechzenden, um ihre Leben betrogenen Massen schöpfen ("Our factories!"), wird einem schon ein wenig mulmig.

In der Mitte zwischen röckelndem Rock und Schlager fühlen sich Bon Jovi nach wie vor am wohlsten. Unerheblich währt am längsten: "Baby, baby, baby / There's no use in trying to save me / There's devils in heaven / There's angels in hell / So blow me one last kiss and / Wish me well." Das Lied That's What The Water Made Me weist jenes Alleinstellungsmerkmal auf, das diese Band noch immer groß macht. Drei nicht so adrette und ein toller Typ aus Suburbia wollen seit 30 Jahren Spaß haben und ein wenig im Privatjet herumgurken. Sie geben Konzerte, bei denen Leuchtwürste und die US-Flagge geschwenkt werden. Hymnische Refrains, einfache Harmonik, Haare schön. Mädchen halten Schilder in die Höhe, auf denen steht, dass Bon Jovi Viagra für die Ohren sind. Am Ende kaufen alle T-Shirts. Hey, hey, hey! Solange der Benzin von der Tankstelle kommt, kann man dagegen nichts sagen. Das mit den Fabriken ist allerdings eine Schweinerei. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 22.3.2013)