Trauer um das Apartheid- Hinrichtungsopfer Benjamin Moloise 1985: Rechts in der Phalanx der Frauen ist Winnie Madikizela Mandela zu sehen. 

Foto: Gille de Vlieg

Es dürfte wohl keinen besseren Ort für eine solche Ausstellung geben als das Münchner Haus der Kunst. Einst von den Nazis als Kunsttempel des Rassismus errichtet, zeigt nun hier der aus Nigeria gebürtige Direktor des Museums, Okwui Enwezor, alle Aspekte des Kampfs gegen 42 Jahre Rassentrennung in Südafrika: Gewalt und Gewaltfreiheit, Leid, Mord, Not, Verzweiflung, Armut, Trauer, Hohn, Widerstand, Märtyrertum.

Mit 600 Exponaten auf 2000 Quadratmetern ist Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens so weit ausholend wie seit langem keine Schau mehr in dieser Kunsthalle. Und so klug ist die gewaltige zentrale Halle lange nicht bespielt worden: mit bedrängenden Vergrößerungen von Schwarz-Weiß-Fotografien, dem zentralen Medium dieser Schau, die Proteste und Protestierende zeigen, Widerstand und Demonstrationen gegen die Schritt für Schritt ausgebaute repressive Politik der Nationalen Partei, die Südafrika von 1948 bis 1994 regierte.

Der Auftakt zeigt in zwei Filmdokumenten Anfang und Ende der Apartheid, die weit mehr war als nur "Getrenntheit". Hier D. F. Malan, der reformierte Pfarrer und Überraschungssieger von 1948: Seine Machtübernahme ermöglichte den extremistischen Nationalisten die Installation eines rassistischen Unterdrückungssystems, in dem der Großteil der Bevölkerung, jeder Nichtweiße, in allen Bereichen des Lebens, Wohnens, Lernens, Arbeitens brutal unterdrückt wurde. Dort F. W. de Klerk, der 1990 in Pretoria den Politikwechsel verkündet.

Kette von Motiven

Vor zwölf Jahren kuratierte Enwezor, damals designierter Documenta-Leiter, mit The Short Century in München schon einmal eine Schau über "Befreiungsbewegungen in Afrika" seit 1945. Auch damals, im Museum Villa Stuck, war Rory Bester von der Wits School of Arts in Johannesburg Co-Kurator. Und auch diesmal gehen sie chronologisch vor.

Sie beginnen Mitte der 1940er-Jahre und enden mit den frühen 1990ern, mit jenen vier Jahren zwischen Nelson Mandelas Haftentlassung am 14. Februar 1990 und seiner Amtseinführung als erster schwarzer Präsident am 9. Mai 1994, in denen ein Fastbürgerkrieg tobte. Das Besondere ist, dass der Blick von außen nur peripher vertreten ist, mit Fotografien Margaret Bourke-Whites 1950 für Life, einer sarkastischen Werbetravestie Hans Haackes oder Zeichnungen Adrian Pipers.

Viel eindrucksvoller sind die Fotografien südafrikanischer Bildreporter. Nur wenige dürften hierzulande bekannt sein, David Goldblatt etwa oder Jürgen Schadeberg. Entdeckungen sind die Aufnahmen Leon Levsons um 1945, jene von Alf Kumalo und Eli Weinberg aus den 1950ern zwischen Lebensfreude und Protest (auch liberaler Weißer), die Street-Photography Ernest Coles, der Kapstadts Multikulti-District Six vor der Umsiedlung Ende der 1960er zeigt, und Peter Magubanes Fotos aus demselben Jahrzehnt.

Die "engagierte Fotografie" von Paul Grendon, Gideon Mendel und Afrapix (Paul Weinberg und Omar Badsha) sowie Santu Mofokengs Bildessay Train Church aus den Achtzigern, schließlich die Close-ups des Bang Bang Club der brutalen Kämpfe nach 1990 zwischen ANC und Inkatha. Und, als Nachtrag, Thabiso Sekgalas Serie von 2010 über aufgelassenes Land. Immer wieder tritt auf den Informationstafeln ein akademischer Erklärungsduktus zutage. Doch des Hinweises auf "kollektive Inszenierungen", "Konstruktionen der Menge" oder "diskursive Räume" bedarf es gar nicht. Die Arbeiten sprechen für sich in ihrer Stärke, ihrem Furor, ihrem Ausstellen von Ungerechtigkeit und der Spirale von Gewalt, Gegengewalt und Tod.

Zugleich ist diese motivisch sich hie und da wiederholende Schau auch ein Nekrolog auf das Medium Dokumentarfotografie. Ein Nachruf auf deren aufklärerischen und die Welt aufklärenden Wahrheitsimpetus. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 19.3.2013)