Beginnt in Israel nun eine neue Ära? Die von vielen säkularen Israelis für alle Übel verantwortlich gemachten Strengreligiösen wurden ins Out gedrängt, im Parlament und in der Regierung wimmelt es plötzlich von Neulingen, und der fesche Jair Lapid ist mit seiner Zentrumspartei nicht nur ein "cooles" Phänomen, sondern auch entschlossen, als jetzt zweitstärkste Kraft im Lande etwas zu verändern. Andererseits: Der Premier ist derselbe geblieben, und die Rechte (in Form der gestärkten National- Religiösen und der in den Likud integrierten Lieberman-Partei) hat noch immer viel Gewicht.

Dabei wird aber die Kategorisierung immer diffuser. Lapid, der Linken zugerechnet, liegt mit dem konservativen Benjamin Netanjahu nahostpolitisch mehr oder weniger auf einer Linie. Der von vielen Siedlern gewählte Naftali Bennett gilt als pragmatisch, was sich etwa darin ausdrückt, dass er jetzt mit Zipi Livni in einer Regierung sitzt. Die ausgeschalteten Strengreligiösen wiederum sind ausgesprochene Wirtschafts-"Linke".

Die Regierung spiegelt jedenfalls den Wählerwillen wider und wird sich vordringlich den Aufgaben im Inneren widmen. Dazu gehören die Eingliederung der Strengreligiösen in Armee und Arbeitswelt sowie Reformen im Wahl- und Regierungssystem, ebenso Projekte, die den neuen Finanzminister Lapid bald alt aussehen lassen könnten: ein Sparbudget durchpeitschen und zugleich den Mittelstand entlasten, die Armut lindern und die für die hohen Preise verantwortlichen Monopole schwächen.

Von den lästigen Kleinigkeiten im Äußeren - den unruhiger werdenden Palästinensern, dem iranischen Nuklearprogramm, dem Chaos in den Nachbarländern Ägypten und Syrien - wollen sich die Israelis eher nicht behelligen lassen. Was insofern verständlich ist, als in diesen Bereichen keine wirkliche Aussicht auf Veränderung besteht. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 18.3.2013)