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Die Wähler in der Schweiz haben den Geldregen für einige Manager beendet, die nächste Initiative kündigt sich bereits an.

Foto: REUTERS/ARND WIEGMANN

Der Schweizer Souverän, das "gemeine Volk", hat - basisdemokratisch! - in die Wirtschaftsordnung eingegriffen. Ja derfen s' denn des? Sie dürfen. Die Wirtschaftsordnung ist Teil des demokratischen Rechtsstaates wie jeder andere. Das Votum zur "Abzocker-Initiative" ist aus mehreren Gründen zukunftsweisend:

1. Der Souverän ist klüger als seine Vertretung. Aus der Bevölkerungsmitte kamen Inhalte, die das Parlament nicht auf der Agenda hatte und in obstruktiver Reaktion auch noch verwässern wollte. Doch die höchste Instanz entschied anders.

2. Eine millionenschwere Angst-Kampagne mächtiger Wirtschaftslobbys konnte den Souverän nicht beirren. In ausnahmslos allen Kantonen stimmte eine Mehrheit für die Initiative, im Bundesschnitt waren es fast 70 Prozent. Offenbar ist die direkte Demokratie nicht so einfach zu korrumpieren wie die indirekte. Das ist eine wichtige Erfahrung, weil die angebliche Verführbarkeit und Käuflichkeit der Massen hierzulande gerne als Argument gegen direkte Demokratie vorgebracht wird. Wie käuflich die indirekte Demokratie ist, zeigt das aktuelle österreichische Modell Marke Strasser und Stronach: Die Abgeordneten sind einzeln zu erwerben oder als ganzer Club.

3. Gerechtigkeits-, Verteilungs- und Wirtschaftsfragen, Fragen der Wirtschaftsordnung eignen sich hervorragend für direkte Demokratie. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung verlangen 88 Prozent der Deutschen und 90 Prozent der Österreicher eine "neue Wirtschaftsordnung" . Doch die Parlamente bringen diese nicht nur nicht zustande, sie entscheiden immer öfter gegen den Mehrheitswillen des Souveräns: Sie züchten systemrelevante Banken, retten diese mit Steuergeld (anstatt mit Eigentümergeld), sie zerteilen diese Banken nach der Staatsrettung nicht, sie erlauben ihnen stattdessen weiterhin die Unterhaltung von Filialen in Steueroasen und dulden den Schattenbankensektor mit Derivate-Zeitbomben.

Die Liste der Parlamentsentscheidungen, die nie und nimmer eine demokratische Mehrheit finden würden, wächst kontinuierlich. Deshalb schlägt die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung vor, dass die "neue Wirtschaftsordnung" vom Souverän selbst geschrieben werden soll. In einem urdemokratischen Prozess könnte ein Wirtschaftskonvent direkt gewählt werden. Dieser könnte den Entwurf einer neuen Wirtschaftsordnung in enger Abstimmung mit dem Souverän ausarbeiten. Schließlich würde der Souverän über die Ergebnisse abstimmen und diese teilweise oder zur Gänze annehmen. Es ist dasselbe Verfahren, mit dem sich der Kanton Zürich eine neue Verfassung gab, Island steht kurz davor.

In der Schweiz geht bereits die nächste Initiative zur Änderung der Wirtschaftsordnung in Vorbereitung: die Beschränkung der Einkommensungleichheit - Höchsteinkommen im Verhältnis zu Mindesteinkommen - mit dem Faktor zwölf. Bei der Abstimmung im Herbst könnte es passieren, dass sich eine knappe Mehrheit der Bevölkerung dagegen ausspricht, weil sie die Schwelle als zu niedrig empfindet.

Der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab schlug in Davos den Faktor 20 vor. Dafür würde sich vielleicht eine Mehrheit finden. Wir werden es nur wissen, wenn mehrere Vorschläge abgestimmt würden und nicht nur einer. Das wäre das Standard-Verfahren des "Systemischen Konsensierens", das in Österreich entwickelt wurde. Dort wird der Widerstand gegen verschiedene Vorschläge gemessen, und es gewinnt der mit dem geringsten Widerstand. Demokratie, direkte wie indirekte, kann viel befriedigender funktionieren als per plattem Mehrheitsentscheid.

Im Vergleich zur Schweiz ist Österreich vordemokratisch: Die jüngst praktizierte Volksbefragung ist mehr ein Instrument der Monarchie denn des "demos". Die Regierung fragte die Bevölkerung nicht nach ihrer Meinung, sondern nach ihrer Ansicht zu den Lieblingsvarianten der Regierung. In einer echten Demokratie bestimmt das Volk, worüber abgestimmt wird, und nicht seine Vertretung. Zu den Alternativen " Berufsheer" oder "Milizheer" fehlten echte Alternativen wie "Kein Heer" oder ein verpflichtendes Sozialjahr für alle. Ebenso gut hätte die Regierung in Zwentendorf fragen können: "Sind Sie für Kernspaltung oder für Kernfusion?" Ein Hohn.

Gewaltentrennung zeitgemäß aktualisiert bedeutet, dass die Macht zwischen Souverän und Vertretung sinnvoll aufgeteilt werden muss: Der Souverän schreibt die Verfassung, Regierung und Parlament müssen sich daran halten. Das Parlament macht im "Normalbetrieb" die legislative Arbeit, doch wenn er will, kann der Souverän jederzeit selbst Gesetze ergänzen, die Verfassung aus eigener Initiative ändern oder einen Teilkonvent einsetzen wie eben einen Wirtschaftskonvent, der sich der Schlüsselfragen der Geld- und Wirtschaftsordnung annimmt. Grundsatzfragen, für die das Parlament derzeit leider keine Zeit hat. (Christian Felber, DER STANDARD, 18.3.2013)