Rom - Die italienische Mitte-Links-Allianz um Pierluigi Bersani hat sich am Samstag überraschend in beiden Parlamentskammern bei der Wahl ihrer Präsidenten durchgesetzt. Nach heftigem Gerangel zwischen den verschiedenen politischen Lagern setzte sich die frühere Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), die linksgerichtete Politikerin Laura Boldrini (51), im Abgeordnetenhaus durch. Wenige Stunden später wurde auch Italiens früherer Top-Mafiajäger Piero Grasso (68) zum neuen Präsidenten des Senats gewählt. Die beiden Linkskandidaten behaupteten sich nach mehreren gescheiterten Wahlgängen mit Hunderten leeren Stimmzetteln.

In seiner Antrittsrede sagte Grasso, Senator der Demokratischen Partei (PD), wie nie zuvor brauche das Land "schnelle und wirksame Antworten auf die soziale, wirtschaftliche und politische Krise, die es durchmacht". Er versprach, dass er sich für eine Reform der Justiz und für eine Besserung der Lage in den chronisch überfüllten Strafanstalten des Landes einsetzen werde. Der Anti-Mafia-Staatsanwalt hatte erst Ende 2012 angekündigt, sich von seinem Amt freistellen zu lassen und bei den Parlamentswahlen im Februar für die Mitte-Links-Partei PD anzutreten. Als eine seiner Prioritäten nannte er die Wiedereinführung des Delikts der Bilanzfälschung, das Silvio Berlusconi als Premier entschärfen ließ.

Kampf gegen organisierte Kriminalität

In den Siebzigerjahren hatte der Sizilianer als Staatsanwalt in Palermo gegen die organisierte Kriminalität ermittelt. Dort war er später einer der Richter im legendären Maxi-Prozess gegen die Cosa Nostra, in dem 1987 gegen 475 Kriminelle 19-mal lebenslänglich und 2600 Jahre Gefängnisstrafen verhängt worden sind. Nach einer Zeit im Justizministerium kam er zur Anti-Mafia-Behörde, wo er Aufsehen erregende Ermittlungen führte. Seit 1999 war er Staatsanwalt und dann Oberstaatsanwalt von Palermo. Circa 2000 Mafiosi wurden in Grassos Zeit verhaftet, Hunderte zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. 2005 kam dann der Wechsel an die Spitze der Anti-Mafia-Behörde in Rom. Unter Grassos Leitung wurde die Nummer eins der sizilianischen Mafia, Bernardo Provenzano, nach 43 Jahren Flucht gefasst.

Dritte Frau führt das Abgeordnetenhaus

Zuvor war Laura Boldrini zur Präsidentin des Abgeordnetenhauses gewählt worden. Die Politikerin der Partei Linke-Ökologie-Freiheit (SEL) war früher Sprecherin des UNHCR in Italien und arbeitete für mehrere weitere Vertretungen der Vereinten Nationen. Die SEL-Partei von Nichi Vendola, dem Präsidenten der Region Apulien, gehört zum Mitte-Links-Bündnis von PD-Chef Bersani. Boldrini ist nach Nilde Iotti und Irene Pivetti die dritte Frau, die in der republikanischen Geschichte Italiens den Vorsitz der Abgeordnetenkammer erobert.

Mitte-Rechts-Chef Berlusconi reagierte empört auf das Ergebnis der Wahl im Parlament. Er hatte gehofft, seinen Vertrauensmann, Renato Schifani, als Senatspräsident im Amt zu bestätigen. Schifani hatte in der vergangenen fünfjährigen Legislaturperiode das Senat geführt. Die Linke wolle alle Machtpositionen in Rom besetzen, kritisierte Berlusconi nach Angaben der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Der Medienzar hatte am Freitagabend die Mailänder Klinik verlassen, in der er seit einer Woche wegen einer Augeninfektion behandelt wurde. Vor dem Eingang des Senats, in der er sich an die Wahl des Präsidenten beteiligen wollte, wurde Berlusconi am Samstag von einigen Personen ausgepfiffen. "Schämt Euch!", rief ihnen Berlusconi zu.

Das italienische Parlament war am Freitag zu seiner konstituierenden Sitzung nach der Wahl Ende Februar zusammengetreten. Im Abgeordnetenhaus hat Bersanis Bündnis die absolute Mehrheit. Im Senat wurde das Bündnis stärkste Kraft, verfügt aber nicht über die absolute Mehrheit, weshalb eine Pattsituation herrscht.

Mittwoch beginnt Regierungsbildung

Nach der Wahl der beiden Kammervorsitzenden werden nun am Mittwoch offizielle Verhandlungen zur Regierungsbildung unter der Schirmherrschaft von Staatspräsident Giorgio Napolitano beginnen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse dürften sich die Verhandlungen schwierig gestalten. Jüngsten Umfragen zufolge befürworten aber rund zwei Drittel der Italiener die Bildung einer Regierung statt Neuwahlen. Bis die neue Regierung gebildet ist, leitet der bisherige Ministerpräsident Mario Monti die Amtsgeschäfte. (APA, 17.3.2013)