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Franziskus, der 266. römisch-katholische Papst, an seinem ersten Tag als Papst nach der Messe in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore.

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"Kirchenversuche" erhofft sich der österreichische Publizist, Kommentator und engagierte Katholik Hubert Feichtlbauer vom neuen Papst. Lokale, regionale oder kontinentale Bischofskonferenzen könnten zur Dezentralisierung der römisch-katholischen Kirche beitragen. In Regionen Europas wären dann zum Beispiel stärkere oder andere Reformströmungen möglich als zum Beispiel in Regionen Afrikas. In der Sexualmoral, bei Abtreibung und der Einstellung zur Homosexualität dürfe man aber von diesem Papst doktrinär nicht zu viel erwarten.

derStandard.at: Waren Sie auch überrascht über die Wahl der Kardinäle?

Feichtlbauer: Ja. Die erste Überraschung war, dass es doch ein Lateinamerikaner wurde. Die zweite, dass es nicht der Brasilianer wurde, der von der Kurie favorisiert und vereinnahmt war, sondern der Argentinier, noch dazu mit gewissen Schatten in der Lebensgeschichte. Auch die Namenswahl war eine Überraschung. Natürlich war bekannt, dass er 2005 der einzige ernst zu nehmende Gegenkandidat von Ratzinger gewesen ist. Dass er aber nach acht Jahren einen neuerlichen Anlauf unternimmt und dieser auch gelingt, ist ungewöhnlich. Was mich beeindruckt hat, war, dass der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini (der als progressiver Vordenker galt, Anm.) Bergoglio vor acht Jahren gegen Ratzinger unterstützt haben soll. Sollte das stimmen, wäre das eine starke Empfehlung für den neuen Papst.

Im Vorfeld des Konklaves war erkennbar, dass die Kardinäle Nordamerikas eine stärkere Rolle gespielt haben. Zum Beispiel hat der Erzbischof von New York, Timothy Dolan, sehr aktiv mitgemischt und war bestrebt, eine nord-südamerikanische Achse zu bilden. Trotzdem war überraschend, dass sich diese Achse diesmal gegen die Italiener und die Kurienkardinäle durchsetzen konnte.

derStandard.at: Die Schatten in Bergoglios Biografie haben Sie erwähnt. Es geht dabei um sein Naheverhältnis zur argentinischen Militärdiktatur. Angeblich soll er auch etwas mit dem Verschwinden zweier Jesuitenpriester zu tun gehabt haben. Aufgeklärt wurden diese Vorwürfe bis jetzt nicht. Warum wurde er trotz dieser Vorwürfe in dieses Amt gewählt?

Feichtlbauer: Ich weiß natürlich nicht, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Das Ganze ist schwer zu durchschauen. Bergoglio bestreitet zumindest, diese beiden Jesuiten denunziert zu haben. Ich nehme an, dass das Thema in den Sitzungen vor dem Konklave besprochen wurde und dass Bergoglio die Kardinäle davon überzeugen konnte, dass diese speziellen Vorwürfe unbegründet sind. Es ist anzunehmen, dass die Gespräche auch Reuebekundungen Bergoglios über seine damalige allgemeine Rolle miteinschließen.  

derStandard.at: Denken Sie, dass der Vatikan eine Aufklärung dieser Vorwürfe anstrebt?

Feichtlbauer: Ob es vom Vatikan aufgegriffen wird, weiß ich nicht. Aber sicher wird es global aufgegriffen werden. Es wäre allerdings klug vom Vatikan, von sich aus zumindest eine Stellungnahme dazu abzugeben. Ignorieren wird man es nicht können.

derStandard.at: Was erwarten Sie persönlich von Jorge Bergoglio alias Papst Franziskus?

Feichtlbauer: Er wird um eine tiefgreifende strukturelle Kurienreform nicht herumkommen. Dabei wird er die Unterstützung von managementerfahrenen Kollegen brauchen. Und er wird sich auch von außerhalb neue Leute suchen müssen. Es gibt eine Bestimmung im Kirchenrecht, die besagt, dass der Papst sein Amt persönlich oder im kollegialen Verbund ausüben kann. Was immer das genau bedeutet. Er könnte sich zum Beispiel verpflichten, sich mit einer Repräsentanz von hochrangigen Kirchenfunktionären aus allen Teilen der Welt regelmäßig zu beraten. Eine so gestaltete große Kurienreform wäre automatisch verbunden mit einer gewissen Dezentralisierung der Machtbefugnisse eines Papstes und würde viel in Bewegung setzen.

Meiner Meinung nach wäre es wichtig, dass lokale, regionale oder kontinentale Bischofskonferenzen einen größeren Einfluss bekommen. Dann könnte man regional vieles ausprobieren, sozusagen "Kirchenversuche" machen. Wenn es zum Beispiel die Forderung nach einer Besserstellung von Frauen in Europa gibt, muss ich damit nicht Leute im Amazonasgebiet verunsichern. Man könnte vieles ausprobieren, wie im Bereich der wiederverheirateten Geschiedenen oder des Zölibats. Wenn es funktioniert, besteht die Möglichkeit, das für die ganze Kirche zu übernehmen, wenn nicht, ist es keine Blamage für alle.

derStandard.at: Trauen Sie das diesem Papst zu?

Feichtlbauer: Es ist eine Hoffnung von mir. Man darf aber doktrinär von ihm keine großen Veränderungen erwarten. Zum Beispiel in der Sexualmoral, bei Abtreibung oder Empfängnisverhütung. Seine Einstellung zur Homosexualität ist erschreckend. Es gibt aber auch Beispiele aus seinem Leben, die bezeugen, dass er mit den Personen anders umgeht als mit der Sache. Ein Beispiel: Er hat in Buenos Aires in der Karwoche Aidskranke eines Hospizes besucht und ihnen die Füße gewaschen.

Interessant ist auch, dass er einerseits als Jesuit mit dem heute stärker reformorientieren Flügel der katholischen Kirche eines Sinnes ist, andererseits aber auch der Bewegung "communio e liberatione" nahesteht, die zu den Traditionalisten und Bewahrern gehören. Dass er bisher eine Balance zwischen diesen beiden Gruppen versucht hat, könnte den gemäßigten Reformern in der Kirche Hoffnung auf einen Kurs der Mitte machen.

derStandard.at: Sie sind auch ehrenamtliches Mitglied der unabhängigen Kommission für Opfer sexueller Gewalt in der katholischen Kirche. Was erwarten Sie in diesem Themenkomplex von Franziskus?

Feichtlbauer: Natürlich eine völlig klare und deutliche Stellungnahme. Die hat es auch von Benedikt XVI. gegeben. Allerdings hat er dabei vergessen lassen, dass er als Chef der Glaubenskongregation dafür gesorgt hat, dass nichts nach außen dringt.

derStandard.at: Wie wird dieser Papst mit der österreichischen Pfarrerinitative oder der Initative "Wir sind Kirche" umgehen?

Feichtlbauer: Auch in diesem Fall würde es genügen, wenn er den regionalen Bischofskonferenzen ein größeres Mitspracherecht zugestehen würde. Vor einigen Jahren soll er gesagt haben: "Hoffentlich werde ich nie in eine kirchliche Funktion berufen, die mit Inquisition zu tun hat." Ich hoffe, dass er sich als Papst an diesen Satz erinnert. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 14.3.2013)