Alles Herumreden, Beschwichtigen, Auf-Zeit-Spielen und Leugnen in der Europäischen Volkspartei hilft nichts. Der Befund über das Verhalten Viktor Orbáns bei der jüngsten - der vierten - Verfassungsreform ist ziemlich eindeutig: Der ungarische Premierminister provoziert ganz gezielt. Er verletzt mit Kalkül Grundwerte und Grundgesetze, die Ungarn durch die Mitgliedschaft in der Union von den Verträgen und der Grundrechtscharta auferlegt sind. Und seine konservativen Parteifreunde in Europa machen ihrem Vizepräsidenten dabei vorerst Mauer.

Ein einigermaßen unappetitlicher Vorgang. Daran kann kaum ein ernsthafter Zweifel mehr bestehen, zumindest bei politischer Betrachtung.

Natürlich muss der jüngste Anlassfall - versuchte Knebelung der Höchstrichter durch eine im Machtrausch segelnde Regierung - jetzt formal und juristisch durch die zuständigen EU-Institutionen geprüft werden, wie die Beschwichtiger sagen. Natürlich muss zuerst die Kommission einen Bericht legen, Orbán möglicherweise mit Auflagen belegen oder beim EU-Höchstgericht in Luxemburg klagen.

Erst dann wird es ultimative rechtliche Klarheit geben. Die Union ist schließlich eine Rechtsgemeinschaft, eines ihrer wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Gut überhaupt. Aber dieser formale Hinweis greift im konkreten Anlassfall zu kurz.

Denn es gibt bei diesem konservativen Mann, der als junger Liberaler und Student am Sturz der kommunistischen Machthaber 1989 positiven Anteil an der Demokratisierung seines Landes hatte, sozusagen einen historischen Beweis aus noch viel jüngerer Geschichte. Er ist im Falle von Verfassungsbeugungen und -brüchen ein Wiederholungstäter. Das Muster seiner Eingriffe in die in Demokratien übliche Gewaltenteilung ist gleichbleibend.

Es ist fast genau zwei Jahre her, als Orbán mit seinen reaktionären Gesetzesvorschlägen zur Knebelung der Medien und der Demokratie in Europa für Aufruhr und Empörung gesorgt hatte. Dann suchte er durch Zwangspensionierungen direkt in die unabhängige Richterschaft einzugreifen. Verschärfend kam hinzu, dass er sich erlaubte, dies als amtierender EU-Ratsvorsitzender zu tun.

Dafür erhielt er nach langer Verfahrensdauer die Rechnung präsentiert. Auf Druck der EU-Institutionen musste Orbán seine Gesetze nachbessern.

Auslöser für diesen demokratiepolitischen Reinigungsvorgang war übrigens damals nicht die Kommission, nicht die Regierungschefs, sondern das Europaparlament. Die Abgeordneten hatten den Premier und Ratsvorsitzenden in einer wilden Debatte gestellt, ehe es zur juristischen Prüfung kam. So ähnlich scheint es jetzt wieder zu laufen.

Gegen die Knebelungsversuche Orbáns an den ungarischen Höchstrichtern gab es heftigen Protest der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Meinung, und der Opposition in Ungarn natürlich. Aber auf EU-Ebenen fiel die Reaktion bisher verhalten aus.

Bis Mittwoch. Da haben wieder Parlamentarier, voran der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt, Druck gemacht und Klartext geredet. Gut so. Wie es aussieht wird die EU-Kommission demnächst gezwungen sein, Verstöße durch die ungarische Regierung anzuprangern. Mit Justizkommissarin Viviane Reding zumindest ist dabei nicht zu spaßen, wie sie schon vor zwei Jahren bewies. Ihre Parteifreunde in der EVP freilich sollten sich eher schämen: fürs feige Schweigen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 14.3.2013)