Überzeugter Demokrat und unbelehrbarer Antisemit: Leopold Kunschak (1871-1953).

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Historiker Bauer: Symptomatische Verdrängung.

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Vor 60 Jahren, am 13. März 1953, starb Leopold Kunschak. Jährlich an seinem Todestag vergibt die ÖVP Preise in seinem Namen. Unter den Preisträgern finden sich so achtbare Persönlichkeiten wie Erwin Kräutler, Wilfried Martens oder Jean-Claude Juncker. Ob sie wissen, dass der Namensgeber ein unbelehrbarer Rassenantisemit war?

Es begann mit einer Kundgebung in der Aula der Universität Wien. Redner forderten unter stürmischen Heilrufen die Entfernung sämtlicher Juden von den Hochschulen. Die in bedeutender Quantität erschienene Professorenschaft hörte sich das alles wohlwollend an. Anschließend zogen Trupps von randalierenden Burschenschaftern durch die Stadt, attackierten Passanten, die sie für Juden hielten, überfielen jüdische Einrichtungen. An die 1000 Studenten versammelten sich vor der jüdischen Mensa, 50 bis 60 Schläger drangen in das Lokal ein, zertrümmerten die Fenster und die Einrichtung, schlugen Anwesende nieder, die nicht mehr rechtzeitig hatten fliehen können. Die Menge auf der Straße grölte die passenden Lieder dazu.

Übrigens: Wir sprechen vom April 1920, nicht vom März 1938.

Vorbote der Rassengesetze

Einige Tage nach diesen Krawallen trat im Parlament ein führender Abgeordneter der Christlichsozialen Partei ans Rednerpult. Für diese Studenten habe er jedwedes Verständnis. Es handle sich um den elementaren Ausbruch einer unterdrückten Volksseele. Die "Ostjuden" (er meinte jüdische Kriegsflüchtlinge aus Galizien) seien wie die Heuschrecken, alle Intelligenzberufe, alle Plätze an den Hochschulen hielten sie besetzt. Und noch schlimmer: Am Sonntag verpeste der Jude gemeinsam mit seiner "aufgedonnerten Kalle" auch noch die Atmosphäre des Wiener Heurigen. Wien möge endlich befreit werden von dieser Plage. Wenn alles nichts helfe und die Ostjuden sich partout nicht verziehen wollten, solle man sie eben in Konzentrationslager stecken.

Wenn so viele Österreicher im März 1938 nichts dabei fanden, dass ihre jüdischen Mitbürger gedemütigt, verprügelt, vertrieben oder ins KZ verschleppt wurden, so hatte dieser Redner nicht unwesentlichen Anteil daran: Leopold Kunschak, gelernter Sattler, christlicher Arbeiterführer. Die personifizierte Wiener Gemütlichkeit. Markenzeichen: riesiger Schnurrbart. Zweifellos ein passionierter Heurigenbesucher. Ein Mann der alten Lueger-Schule übrigens. Im Gegensatz zu Lueger, der in grenzenlosem Zynismus den grassierenden Antisemitismus ohne Überzeugung zum Vehikel des eigenen Aufstiegs gemacht hatte, meinte Kunschak seine antijüdischen Hasstiraden allerdings bitterernst.

Schon 1919 hatte Kunschak einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der ein Sonderrecht für Juden vorsah. Juden sollten in allen Belangen vom " deutschen Mehrheitsvolk" getrennt werden. Auch der Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft konnte die Zugehörigkeit zur "jüdischen Nation" nicht aufheben. Wer denkt da nicht an die Nürnberger Rassengesetze? Als Hitler diese im Herbst 1935 erließ, holte Kunschak folgerichtig seinen erfolglosen Entwurf von 1919 aus der Schublade und propagierte ihn erneut. Anfang 1936 war das. Zwei Jahre vor dem " Anschluss".

Es gibt auch das eine oder andere, das für Kunschak spricht: Als Demokrat setzte er dem autoritären Dollfuß-Kurs einen gewissen, begrenzten Widerstand entgegen. Als Dollfuß im Mai 1933 einen Pakt mit den Nazis anstrebte, war es nicht zuletzt Kunschak, der dies verhinderte. Und wenige Tage vor dem 12. Februar 1934 appellierte er im Gemeinderat mutig, aber erfolglos an den Versöhnungswillen der beiden großen Lager ("ehe Volk und Land an Gräbern steht und weint").

Ein Zerrissener also. Aber lässt sich der zaudernde Demokrat und volkstümliche Arbeiterführer ohne weiteres vom antisemitischen Hassprediger trennen? War der Judenhass eines Kunschak tatsächlich nichts weiter als eine Gewohnheit jener Zeit, über die Nachgeborene nicht richten sollten?

Kunschak jedenfalls war unbelehrbar. Wie unbelehrbar, sollte sich im September 1945 zeigen. Auf einer Protestversammlung gegen die Einreise polnischer Juden - Holocaust-Überlebende wohlgemerkt - machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube: Er sei immer Antisemit gewesen und bleibe es auch weiterhin. In Österreich hätten weder einheimische noch fremde Juden etwas zu suchen. Die österreichische Industrie dürfe auf keinen Fall in jüdische Hände fallen.

Wir reden vom Jahr 1945! Wusste Kunschak nicht, was in jenen Konzentrationslagern geschehen war, die er den österreichischen Juden schon 1920 gewünscht hatte? Hatte er die Wochenschaubilder nicht gesehen? Nicht die Leichenberge von Buchenwald? Nie etwas von Auschwitz gehört?

Ein starrsinniger alter Mann, ist man versucht zu sagen. Mag sein. Aber bis heute geehrt als einer der Gründerväter unserer Republik. Und der Volkspartei. So sehr geehrt, dass sie jährlich feierlich vergebene hohe Auszeichnungen nach ihm benennt.

Unangemessener Vergleich

Die Figur des Leopold Kunschak ist symptomatisch für den Umgang der ÖVP mit ihrer Geschichte. Ihre Vorgängerin, die Christlichsoziale Partei, war in den 1880er-Jahren aus einer antisemitischen Handwerkerbewegung entstanden und unter Lueger zur erfolgreichsten antisemitischen Massenpartei des Kontinents aufgestiegen. Und das blieb sie bis zuletzt, bis Dollfuß - von dem übrigens nur wenig Antisemitisches überliefert ist - ihr den Garaus machte. Wirklich ernsthaft gestellt hat sich die Christlichsoziale Partei nach ihrer Neugründung als Österreichische Volkspartei dieser düsteren Geschichte eigentlich nie.

Ich kenne das Gegenargument: Auch in der Sozialdemokratischen Partei gab es Antisemitismus. - Wer wollte es leugnen? Er tarnte sich vorzugsweise als Antikapitalismus. Teil des Parteiprogramms, wie bei den Christlichsozialen, war er nicht. Jeder Vergleich mit der christlichsozialen antisemitischen Rhetorik, die oft jedes Maß sprengte, verbietet sich.

Hat man von den Erben der Christlichsozialen Partei je ein ernsthaftes Schuldeingeständnis gehört? Nie hat sich auch nur einer der vielen ÖVP-Obmänner hingestellt und laut und deutlich gesagt, was für Christen nur angemessen wäre: Unsere Väter haben schwer gesündigt! Wir sind uns dieser Schuld bewusst. Wir wollen uns dieser Schuld stellen.

Wäre der 75. Jahrestag des "Anschlusses" nicht eine gute Gelegenheit gewesen, dies nachzuholen und von einem üblen Namenspatron wie Leopold Kunschak endlich Abschied zu nehmen? Zu spät dazu ist es jedenfalls nie. (Kurt Bauer, DER STANDARD, 13.03.2013)