Wien - Migrantinnen sind nicht häufiger von Gewalt in der Familie betroffen als Österreicherinnen, können sich jedoch aufgrund der rechtlichen und strukturellen Bedingungen schwerer aus der Situation lösen. So lautet die Kernthese des zweiten Symposiums "Migration von Frauen und strukturelle Gewalt", das diese Woche im Haus der Europäischen Union in Wien stattfand.

Mehr als 300 Vertreterinnen von Migranten- und Opferschutzorganisationen haben Bilanz über die vergangenen zehn Jahre gezogen. Vier von ihnen fassten im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Dienstag die Hauptergebnisse zusammen. "Das Fremdenrecht wurde zehn Mal novelliert, selbst für uns Expertinnen ist es wahrer Rechtsdschungel", sagt etwa Angela Ivezic vom Beratungszentrum für Migranten.

Strikte Bestimmungen im Niederlassungsrecht

Als positive Aspekte nennt sie etwa das Bleiberecht für Familienangehörige oder die Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2006, mit der auch das Anti-Stalking-Gesetz eingeführt wurde. "Doch die strikten Bestimmungen im Niederlassungsrecht sind vor allem für Migrantinnen hinderlich, wenn sie sich aus einer Gewaltbeziehung lösen wollen", kritisiert Ivezic.

Nur Frauen, die eine einstweilige Verfügung gegen den Partner vorweisen können, haben Anspruch auf Niederlassungsbedingungen unter besonderen Voraussetzungen. Eine der dringlichsten Forderungen der Arbeitsgruppe lautet daher ein unbürokratischer Zugang zur Mindestsicherung und sofortiges Arbeitsrecht für Migrantinnen, die sich aus bedrohlichen Verhältnissen lösen.

Hilfe für Zwangsverheiratete

Dass nicht alle Frauen - vor allem jene ohne Papiere - sofort Unterschlupf in einem Frauenhaus finden können, sei ein großes Problem. " Umso mehr freut es mich, dass wir im Juni die erste Notunterkunft für Frauen und Mädchen eröffnen werden, die von Zwangsheirat bedroht oder betroffen sind", verkündet Tamar Citak von der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Einen sensiblen Aspekt greift Seyran Ates, kurdisch-türkischstämmige Rechtsanwältin aus Berlin, in ihrem Referat auf. "Wir müssen das Kind beim Namen nennen: Gewalt hat auch religions- und traditionsbedingte Gründe und hat in den patriarchalen Strukturen durchaus Bestand."

Ates, die 1984 von einem Mitglied der nationalistischen türkischen Gruppe Graue Wölfe lebensbedrohlich verletzt wurde, vermisst die Verantwortung der Politik. "Einerseits wird mit traditionsbedingter Gewalt Politik gemacht. Andererseits wird Unterstützung für Frauen, sich davon zu befreien wollen, kaum gewährt. Diese Doppelzüngigkeit muss aufhören."

Psychotherapeutin Judith Hanser, die auch Psychotherapie in Türkisch anbieten, sieht die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre im Gesundheitsbereich negativ. "Dolmetscher in öffentlichen Einrichtungen werden sukzessive reduziert." (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 13.3.2013)