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Ein Karrierediplomat soll Bulgarien durch die politische und soziale Krise zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 12. Mai führen. Staatschef Rossen Plewneliew stellte am Dienstag in Sofia den bisherigen Botschafter in Paris, Marin Raikow, als Interimspremier vor. Der 52-Jährige ist der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Er übernimmt zugleich das Amt des Außenministers und wird Bulgarien bereits am Donnerstag und Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel vertreten. Raikow kündigte Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommen an und sprach dabei vor allem die Pensionisten an. Sie müssen teilweise mit umgerechnet nur 100 Euro im Monat überleben.

Plewneliew kritisierte erneut indirekt die zurückgetretene Mitte-rechts-Regierung von Boiko Borissow, der er selbst zwei Jahre lang als Infrastrukturminister angehört hatte. Die neue Regierung werde dem Volk dienen und nicht parteiischen Eliten, sagte der Präsident.

Borissow hatte seinen Rücktritt vor drei Wochen während landesweiter Straßenproteste erklärt, die sich zunächst gegen hohe Strompreise gerichtet hatten, dann aber auch Wirtschaftsmonopole und deren Verquickung mit der Politik ins Visier nahmen.

"Wir müssen mehr Ambitionen haben als bloß die nächsten Wahlen zu organisieren und die Krise ein klein wenig einzudämmen", hatte der Staatschef in einem Standard-Interview erklärt. Die "positive Energie", die es derzeit in Bulgarien auf den Straßen gebe, müsse genützt werden.

Etwa 300 Demonstranten zogen am Dienstag zum Hintereingang des Parlaments in Sofia und bewarfen ankommende Abgeordnete mit Toilettenpapierrollen und Windeln. Eine Hauptforderung, die von den verschiedenen Protestgruppen erhoben wird, ist die Änderung des derzeitigen Wahlrechts - eine Mischung aus proportionalem Wahlmodus mit Parteilisten und Mehrheitswahl.

Neuwahl in zwei Monaten

Die Organisatoren der Proteste fordern Quoten für parteilose Bürger in den verschiedenen Parlamenten. Dazu wird es aber nicht mehr kommen: Das bulgarische Parlament wird am Freitag aufgelöst. Wie sich die weitverbreitete Ablehnung der Parteien bei der Wahl in zwei Monaten niederschlagen wird, ist noch nicht abzusehen. Politische Beobachter in Sofia rechnen derzeit mit einem Parlament ohne klare Mehrheiten und einer instabilen Koalitionsregierung.

"Wir haben die Protestierenden gehört. Lasst uns jetzt der schweigenden Mehrheit der Bulgaren Raum geben", sagte Raikow bei der Vorstellung des Kabinetts. Umfragen zufolge hatten 85 Prozent der Bulgaren in den Tagen vor Borissows Rücktritt die Straßenproteste unterstützt. (Markus Bernath, DER STANDARD, 13.3.2013)