Alle Kernkraftwerke in der Europäischen Union sind massiv unterversichert, der Löwenanteil der Haftung liegt bei den Nationalstaaten. Die EU-Kommission hat inzwischen Untersuchungen wegen unerlaubter Beihilfen aufgenommen.

 

Wien/Brüssel - 14 der 27 EU-Staaten betreiben Kernkraftwerke. Mit insgesamt 132 Reaktoren stehen auf dem Gebiet der Europäischen Union rund ein Drittel der weltweit errichteten Atommeiler. Eines haben alle gemeinsam: Sie sind massiv unterversichert.

So sind beispielsweise deutsche AKWs nur bis zu 2,5 Milliarden Euro je Reaktor versichert; die Versicherungssumme für Frankreichs 56 Atomreaktoren liegt bei 91 Milliarden Euro. Dabei hat eine erst kürzlich veröffentlichte Studie der französischen Behörde für Reaktorsicherheit ergeben, dass ein vergleichbarer Unfall wie Fukushima in Frankreich 430 Milliarden Euro an Kosten verursachen würde. Weil der Großteil der Haftungen bei den Nationalstaaten bleibt, ermittelt nun die EU-Kommission wegen unerlaubter Beihilfe.

Den Anstoß dazu hat der oberösterreichische Umweltlandesrat Rudi Anschober (Grüne) gegeben. Eine von ihm bei der Johannes Kepler Universität Linz beauftragte Studie, die dem Standard vorliegt, kommt zum Schluss, dass es sich hierbei um eine Beihilfe handelt, für die keine Notifizierung vorliegt. Sie widerspreche dem Wettbewerbsrecht und sei somit europarechtswidrig.

Bei den viel zu niedrigen Haftungshöchstgrenzen handle es sich um eine indirekte Subvention für Atomenergie, stellten Ferdinand Kerschner vom Institut für Umweltrecht und Franz Leidenmühler vom Institut für Europarecht in der knapp 60 Seiten umfassenden Studie fest. Bei keiner anderen Energieform gebe es eine vergleichbare Haftungsbeschränkung für die Betreiber oder eine Haftungsübernahme durch Dritte.

Anschober hat in seiner Beschwerde an die EU-Kommission ins Treffen geführt, dass der bis 2030 geplante Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien bei Strom und Wärme durch die Bevorzugung der Kernenergie massiv erschwert werde.

Um die Möglichkeit einer Direktsubvention bemühen sich unterdessen die Regierungen in London und Prag. Weil sich der Bau neuer AKWs in Großbritannien sowie der geplante Ausbau des tschechischen Kernkraftstandorts Temelín wegen der niedrigen Strompreise am Großhandelsmarkt nicht rechnet, soll Investoren der Einstieg durch eine Preisgarantie schmackhaft gemacht werden.

Im Gespräch sind umgerechnet 111,50 Euro je Megawattstunde (MWh) - garantiert auf 35 Jahre. Zum Vergleich: Im Großhandel kostet Strom derzeit etwas mehr als 40 Euro je MWh. Mit dem Preisaufschlag soll der französische Atomstromproduzent EdF für den Standort Somerset in Südengland geködert werden. Nach der Einigung mit EdF will sich die britische Regierung für den Deal grünes Licht aus Brüssel holen.

"Dies ist dann eine Grundsatzentscheidung der EU pro oder contra Atom", sagte Anschober dem STANDARD. "Ohne Subventionen wird es keinen Neubau geben, eine Entscheidung gegen die Subventionen wäre der Einstieg in den europaweiten Ausstieg." (Günther Strobl, DER STANDARD, 12.3.2013)