Das Unglück von Fukushima hat die Welt vor zwei Jahren schockartig daran erinnert, dass auch in einem hochtechnologisierten Land wie Japan keine hundertprozentige Sicherheit für Atomkraftwerke gilt. Energiepolitische Konsequenzen wurden nur in Einzelfällen gezogen. Eine Debatte darüber, wie der steigende Energiehunger zu stoppen wäre, ist ganz ausgeblieben. Zu gut konnte die internationale Wirtschaftskrise als dringlicheres Thema herhalten.

Auch in Japan. Die ehemalige Exportnation ist hoch verschuldet und leidet unter einem seit dem Beben vom 11. März 2011 und dem Tsunami stark gestiegenen Handelsdefizit. Nach dem Unglück gingen alle 50 AKWs, die ein Drittel des Stroms erzeugten, vom Netz. Zwei sind wieder in Betrieb. Der neue Premier Shinzo Abe hat verkündet, den von seinem Vorgänger versprochenen Atomausstieg abzublasen. Proteste folgten. Auch vor dem Jahrestag der Katastrophe demonstrierten zehntausende Menschen gegen die Atomkraft – Bilder, die man früher aus Japan nicht kannte.

Doch die Bevölkerung plagen auch andere Probleme: 160.000 Menschen leben noch in provisorischen Unterkünften. Die Angst vor den Folgen radioaktiver Strahlung zermürbt sie, psychische Probleme sind weitverbreitet. Dagegen hilft auch wenig, dass die Weltgesundheitsorganisation die gesundheitlichen Strahlenschäden außerhalb der Sperrzone als kaum erkennbar einschätzt. Auch andere Daten kursieren. Und zu häufig hat AKW-Betreiber Tepco nach dem Unglück Infos vertuscht.

Europa hat auch auf die Katastrophe reagiert. Ein bisschen. Bei den Stresstests, die in der EU an jedem Meiler stattfanden, blieben viele heikle Punkte ausgespart: Thema der Tests war, wie sehr die AKWs Naturkatastrophen standhalten. Faktoren wie Materialabnutzung, menschliche Fehler bei internen Abläufen, Brände und mögliche Terroranschläge blieben unberücksichtigt. Eine verpasste Chance. Dennoch wiesen bei den Tests alle AKWs Mängel auf. Welche Konsequenzen daraus folgen, liegt aber ganz in den Händen der Einzelstaaten. Die EU kann nur unverbindliche Empfehlungen abgeben.

Deutschland hat den radikalsten Weg eingeschlagen: Abdrehen bis 2022. Wobei der Ausstieg schon beschlossene Sache war, wenn Kanzlerin Angela Merkel auch den Zeitpunkt erst kurz zuvor noch nach hinten verschoben hatte. Klagen von Kraftwerksbetreibern, Streitereien um die Kosten und Kritik am erhöhten CO2-Ausstoß durch Kohlekraftwerke sind die Folge. Aber es gehen Meiler vom Netz. Auch die Schweiz und Belgien fixierten unter dem Eindruck der Katastrophe den Ausstieg – in den 2030er-Jahren soll es so weit sein.

Diese Beispiele könnten den Eindruck erwecken, dass Atomkraft langsam abnimmt. Dem ist aber nicht so. Areva zum Beispiel, Atomtechnik-Marktführer in Europa, hatte 2012 deutliche Umsatzsteigerungen. Es wird nicht nur viel nachgerüstet, sondern auch neu gebaut. Pläne dafür gibt es nicht nur in Europa – zum Beispiel in Großbritannien, Tschechien und auch Polen, das noch gar keine AKWs hat. Auch in den USA und dutzendweise in China.

Japans Premier Abe hat ebenso angekündigt, neue Meiler zu errichten. Dass wirtschaftliche Notwendigkeiten und Lobbys bestimmen, wo es in Energiefragen langgeht, daran hat das Unglück von Fukushima auch dort nichts geändert. (Gudrun Springer/DER STANDARD, 11.3.2013)