Karol Wojtyla zeigte, welche Macht ein Papst entwickeln kann. Die Divisionen, die er im ideellen Sinn bewegte (die ein Papst laut Stalin gar nicht hat), trugen entscheidend zum Zusammenbruch des kommunistischen Machtsystems bei.

Joseph Ratzinger zeigte, an welche Grenzen ein Papst im eigenen kirchlichen Machtsystem stoßen kann, und zog die Konsequenzen. Johannes Paul II. hat Weltgeschichte, Benedikt XVI. zumindest Kirchengeschichte geschrieben.

Mit seiner Abdankung rückte der deutsche Papst die menschliche Dimension des Amtes ins Zentrum. Kein Nachfolger wird dies ignorieren können. Wer die Wahl eines Papstes als Wirken des Heiligen Geistes interpretiert, muss dies wohl auch im Fall des Rücktritts tun.

Die Demut, die aus dem Schritt Ratzingers spricht, ist der Lage der katholischen Kirche angemessen - und ein guter Leitgedanke für das Konklave zur Wahl des Nachfolgers. Denn die Aufgaben des neuen Papstes erfordern übermenschliche Fähigkeiten.

Der Missbrauchsskandal ist noch lange nicht ausgestanden, wie immer neu aufbrechende Fälle zeigen. Dass die Vatikanbank, ihrem Namen entsprechend, tatsächlich wieder ein "Institut für die religiösen Werke" wird (falls sie es jemals war), verlangt hartes Durchgreifen. Noch mehr aber die überfällige Totalreform der römischen Kurie, deren intrigantes, jedem christlichen Gedanken Hohn sprechendes Wirken durch "Vatileaks" deutlicher wurde als je zuvor.

Und dann wäre da noch die Kirche; eine Kirche, die sich "katholisch" nennt: "das Ganze betreffend, allgemein". Wer diesen Anspruch ernst meint, darf ihn nicht nur für die ganze Welt geltend machen wollen, sondern muss ihn auch auf den ganzen Menschen, mit all seinen Widersprüchen, anwenden. Das bedeutet nicht Preisgabe von Glaubensgrundsätzen (wovor der Theologe Ratzinger auch als Papst stets gewarnt hat); aber undogmatisches Zugehen auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich in der heutigen Welt immer verlorener vorkommen.

Hier liegt die große Aufgabe einer "katholischen" Kirche und ihres Oberhauptes: globale moralische Autorität zu sein, ohne gleich den moralischen Zeigefinger zu erheben, wenn eigene Glaubensdogmen bedroht zu sein scheinen. Was die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens ist, hat Papst Ratzinger ja selbst 2005 in seiner weithin begrüßten Enzyklika Deus Caritas est formuliert, indem er aus dem ersten Johannesbrief zitierte: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm."

Diese Botschaft können auch Andersglaubende und Nichtgläubige annehmen. Und sie ist umso glaubwürdiger, je mehr die Kirche sie in ihren eigenen Reihen praktiziert. Umso glaubwürdiger vor allem, je mehr die Kirche in Wort und Tat von ihrem überkommenden Frauenbild abrückt.

Manager, Reformer, Charismatiker - jeder denkbare Kandidat ist von diesem Anforderungsprofil überfordert, egal, aus welchem Kontinent er kommt. Daher wäre es ein weiterer Akt angemessener Demut, wenn der Neue bald nach seiner Wahl täte, was sich auch viele Nichtkatholiken wünschen: ein neues, wahrhaft katholisches Konzil einzuberufen, dem auch viele männliche und weibliche Laien und Vertreter anderer Religionen angehören. Das Weitere dürfte man getrost dem Heiligen Geist überlassen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 9.3.2013)