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Gabriele D'Annunzio.

Foto: Lebrecht Music & Arts/Corbis

Einer anonymen Postkarte verdankte die Florentiner Gazzetta della Domenica 1880 eine Meldung, die Aufsehen erregte: Der bekannte junge Dichter Gabriele D'Annunzio, stand darauf, sei vom Pferd gestürzt und im Alter von nur 16 Jahren gestorben. Die Zeitungen berichteten betroffen.

Der zu diesem Zeitpunkt mitnichten bekannte Jungspund erfreute sich indes bester Gesundheit. Er hatte die Karte selbst geschrieben, um das Interesse an seinem ersten Gedichtband Primo Vere zu steigern. Mit Erfolg. Die getürkte Schlagzeile brachte ihn dem angestrebten Ruhm ein Stück näher.

Der Postkartentrick des 16-Jährigen ist einerseits ein früher Beleg für dessen kompromisslos forcierte Selbstinszenierung, sein zügelloses Zelebrieren eines fulminanten Personenkultes. Andererseits zeigt er bereits deutlich D'Annunzios Talent als moderner Marketingstratege, das ihn nach dem Ersten Weltkrieg als "Comandante" in Fiume begleiten und weit in die Zeit des Faschismus hineinreichen wird.

Gabriele D'Annunzio, geboren am 12. März 1863 in Pescara, erlebt in den 1880er-Jahren intensive Studienjahre in Rom: eine schaffensintensive Phase, in der er als Journalist die Kulturszene kommentiert, die europäische Literatur atemlos liest und rezensiert und gebannt die Debatten in Paris verfolgt. D'Annunzio als Intellektueller, als Bote der Avantgarde in seinem widerwillig der Moderne entgegentaumelnden Heimatland. Er betreibt aufsehenerregende Liebschaften, führt Ehen, ein herrlich mondänes Leben und entwickelt gleichzeitig seinen gewandten Stil.

Harte Arbeit an Sprache und Bildung prägen D'Annunzios Leben, bildet gewissermaßen einen Gegenpol zum ausschweifenden Leben eines exaltierten Bonvivants der Décadence. D'Annunzios Sprachkunst mit ihren rhetorischen, metrischen und stilistischen Feinheiten sucht ihresgleichen.

Der Dichter erfuhr in dieser Zeit immensen Erfolg. Die Kritik lobte seine Bücher, die Gesellschaft liebte seinen Stil. D'Annunzios 1889 erschienener Rom-Roman Lust, in dem er sich als Ästhet feierte, der mit Kunst und Leben eine Synthese eingeht, wurde zum Vorbild für den Einrichtungsgeschmack der römischen Bourgeoisie. Bereits in Lust, einer schwülstigen Dreiecksgeschichte, steckt viel Autobiografisches. Die Hauptfigur des Grafen Andrea Sperelli ist, wie später der geniale Dichter Stelio Effrena im Venedig-Roman Das Feuer, in dem D'Annunzio seine Beziehung zur Duse, über Wagner, die Kunst und den Verfall reflektiert, ein sensibles Alter Ego des Dichters.

Schließlich überzeugte D'Annunzio als ideologisches Leitbild einer Künstlergeneration, die, nach der italienischen Vereinigung geboren, enttäuscht über deren Ergebnisse war. Er pflegte eine pathosbehaftete nationalistische Rhetorik, die sich ideal in die Zeit fügte.

Zunächst wurde ihm allerdings sein ausufernder Lebensstil zum Verhängnis, mehrmals richtete D'Annunzio prunkvolle Häuser ein, in denen er wie ein "Renaissancefürst" lebte, und musste dann hochverschuldet alles zurücklassen.

So floh er zu Beginn der 1890er-Jahre aus Rom und 1910 unter ähnlichen Umständen aus seiner toskanischen Villa, wo er mit seiner Muse, der Starschauspielerin Eleonora Duse, gelebt hatte, nach Paris. D'Annunzios literarische Entwicklung nahm gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine interessante Wende: Seine experimentelle Vorreiterrolle ging in einen "modernen" Anachronismus über, in eine Rückbesinnung auf die Antike, in der er das Vorbild der Kultur und die Begründung nationalistischer Machtansprüche fand.

Der Dichter wurde zum Politiker, nahm regen Anteil an der Maschinen- und Geschwindigkeitsbegeisterung und fand bei einem Jahrhundertereignis eine neue Leidenschaft: Bei der Flugschau in Brescia 1909 stieg er als Beisasse erstmals in die Lüfte - eine kühne Tat, deren Fama sich weithin verbreitete. Als Flieger inszenierte er im Ersten Weltkrieg seine spektakulärste Aktion: Im August 1918 flog er unbemerkt nach Wien und ließ tausende Flugblätter über dem Stephansdom niederregnen, die mit der italienischen Trikolore bedruckt waren.

Die politischen Jahre waren naturgemäß literarisch weniger ergiebig und für den Dichter-Soldaten mit Kriegsende noch nicht vorbei: 1919 erregte er erneut Aufsehen mit seinem Marsch auf Fiume, das er zwei Jahre lang mit wenigen Soldaten besetzt hielt und als selbsternannter Gouverneur regierte. Die Besetzung war für D'Annunzio eine soziale Utopie, die durchaus Zustimmung fand, schmachvoll endete und ihn endgültig ins Abseits beförderte.

Fiume war ein Desaster für den bereits Kränkelnden, für Mussolini, der aus der Ferne genau beobachtete, allerdings ein Lehrstück für die Inszenierung seines Faschismus. D'Annunzio, der Hitler einmal als "Flachpinselattila" bezeichnete, hat selbst pointiert gesagt, das Beste am Faschismus stamme von ihm, ansonsten sei ihm diese Lebensdoktrin grundlegend fremd.

Man sollte den Dichter nicht unüberlegt dem Lager des Faschismus zuschlagen. D'Annunzio, der 1938 starb, hat dem italienischen Faschismus zweifellos eine Tür geöffnet. Er selbst, eine Gesinnungsgeneration älter, blieb sozusagen an der Schwelle stehen: den Blick auf die untergehenden Monarchien und die Aristokratie gerichtet, keinesfalls jedoch auf den faschistischen Rassenirrsinn.

Heute muss man feststellen, dass Teile des umfangreichen Werkes von Gabriele D'Annunzio von der Zeit überholt wurden; vor allem die dramatischen Arbeiten, deren politische Intentionen fragwürdig sind - und deren Pathos heute schlichtweg nicht mehr lesbar ist.

Dem gegenüber steht allerdings eine Vielzahl von Romanen, Novellen und Gedichten des Klassizisten und Fin-de-Siècle-Ästheten D'Annunzio, deren Sprache von höchster literarischer Qualität ist und deren erzählerischer Kosmos bis heute fasziniert.  (Isabella Pohl, Album, DER STANDARD, 9./10.2.2013)