In den vergangenen zehn Jahren verdoppelten allein amerikanische Frauen ihren Schuhbesitz auf durchschnittlich 20 Paar. Mit der Schuhbesessenheit stieg auch die Absatzhöhe. In New York spürt jetzt eine Ausstellung der Lust auf hochhackige Statussymbole nach. Nana Gilbert hat sie gesehen.

In der Mode schlägt Leidenschaft oft in Obsession, Kaufrausch in Sammelwahnsinn um. Vor allem wenn das Objekt der Begierde mit schwindelerregend steilen Absätzen und einer ganz neuen Flughöhe lockt. Da kann es passieren, dass bei Frauen wie der legendären Schuhfanatikerin und Politikerin Imelda Marcos plötzlich mehr als 2000 Paare im Schrank oder sogar im Tresor stehen.

 

 

Foto: The Museum at FIT/Chanel 2009

"High Heels haben großes Transformationspotenzial. Man probiert einen neuen Schuh an, und schon kann man in eine andere Rolle schlüpfen. Außerdem sieht man immer großartig aus. Mit einem neuen Badeanzug funktioniert das nicht", erklärt Valerie Steele, Direktorin und Kuratorin des Museums des Fashion Institute of Technology in New York, die Faszination für High Heels.

 

Foto: The Museum at FIT/Alexander McQueen, 2010

In ihrer Ausstellung "Shoe Obsession" illustriert sie mit 150 extravaganten, außergewöhnlichen und ikonischen Paaren von 50 internationalen Schuhdesignern wie Christian Louboutin, Nicholas Kirkwood, Manolo Blahnik, Roger Vivier und Charlotte Olympia die psychologische und sozial-kulturelle Anziehungskraft von High Heels.

"Die Schuhbesessenheit hat in den letzten Jahren ein ganz neues Level erreicht", sagt Steele, "High Heels sind die neuen 'It-Bags'." Mit der Absatzhöhe stieg in den letzten Jahren auch der Kultstatus. Waren Namen wie Manolo Blahnik zu Anfangszeiten von Sex and the City nur sogenannten "Fashionistas" bekannt, weiß heute fast jede Frau, was eine rote Sohle zu bedeuten hat: Christian Louboutin.

 

Foto: The Museum at FIT/Christian Louboutin, 2007

In den letzten zehn Jahren verdoppelten allein die amerikanischen Frauen ihren durchschnittlichen Schuhbesitz auf etwa 20 Paare. Und Department-Stores wie Sak's Fifth Avenue haben ihren Schuhabteilungen ganz neue Prominenz, VIP-Räume und sogar eine eigene Postleitzahl eingeräumt.

Dass man sich mit so manchem geradezu gefährlichen Ungetüm kaum fortbewegen kann, scheint zweitrangig. Für ein Statussymbol am Fuß und ein paar gewonnene Zentimeter Beinlänge nehmen Frauen offenbar sogar Blasen und auch so manchen Balancier- oder Stolperakt in Kauf.

Foto: The Museum at FIT/Azzedine Alaia, 2011

Vor allem wenn das besagte Modell für schrille Kundinnen wie Lady Gaga entworfen wurde. So wie "Lady Pointe" aus dem Jahre 2012, ein pinkfarbenes ballerinaartiges Gerät mit 45 Zentimetern Absatzhöhe, in dem der Fuß fast komplett vertikal steht. Eine Kreation des japanischen Avantgarde-Designers Noritaka Tatehana. Mehr Skulptur als Schuh. So wie viele der Extremkonstruktionen, die Steele für die Ausstellung zusammengetragen hat.

Fast alle Modelle aus der letzten Dekade. Die gezeigten Entwürfe sind längst nicht mehr nur Schuh-, sondern vielmehr Kunstwerk. In den fein sortierten, gläsernen Vitrinen stehen bunte, funkelnde und schillernde Exemplare mit Pferdeschwänzen, Federkränzen, Nieten, Spitze, Kristallen und Stickereien.

Foto: The Museum at FIT/Givenchy Haute Couture by Riccardo Tisci, 2012

Gemeinsam ist ihnen allen ein gigantisch hoher Absatz in allen möglichen Variationen. Ob in Form einer Pistole, eines Lippenstiftes, einer goldenen Kuppel oder auch: gar kein Absatz - stattdessen eine in beunruhigender Höhe schwebende Ferse. Ein rotes Tuch für Orthopäden, aber Augenschmaus für Schuhfanatiker.

"Helmut Newton sagte einmal in den Siebzigern, dass er die sexy High Heels für seine Foto-Shoots nur in Fetisch-Läden finden kann", erinnert sich Valerie Steele. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Foto: The Museum at FIT/Prada, 2012

Heute symbolisieren High Heels nicht mehr Pornografie und Rotlichtviertel, sondern Macht und Sexualität der modernen Frau. Dafür kreieren die renommiertesten Designer die ambitioniertesten Absatzschuhe, und Kundinnen geben ein Vermögen dafür aus.

Aber woher rührt diese leidenschaftliche Beziehung zwischen Frau und High Heels? "Das ist die ultimative Frage", sagt Steele, "die Faszination reicht bis zu Cinderella und ihrem Glasschuh zurück. Schuhe sind die intime Verlängerung des Körpers und sagen viel über unsere Persönlichkeit, Ästhetik, Sexualität und unseren sozialen Status aus."

Foto: The Museum at FIT/Masya Kushino, 2008

Ihr eigener Lieblingsschuh? "Immer der, den ich als Nächstes kaufe", sagt sie. Ihre eigene Privatsammlung schätzt sie auf 50 bescheidene Paare. Schließlich sei sie im Museum täglich von über 4000 Paaren der Permanentkollektion umgeben. Die berufliche Überdosis hat sie anscheinend immun gemacht. (Nana Gilbert, Rondo, DER STANDARD, 8.3.2013)

"Shoe Obsession", bis zum 13. April im Museum des Fashion Institute of Technology, 227 West 27th Street in New York

Foto: The Museum at FIT/ Iris van Herpen X United Nude, 2011