Die Natur ist immer für Überraschungen gut. Das gilt auch für Infektionskrankheiten beziehungsweise die Erreger. "Wir haben übersehen, dass wir über die Hintertür Infektionen bekommen haben, die schon lange nicht mehr bei uns gesehen wurden oder die es bei uns nie gegeben hat", sagte am Dienstag der Wiener Tropen- und Reisemediziner Herwig Kollaritsch bei der Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer in Saalfelden (bis 8. März).

Dengue-Fieber, Chikungunya-Virusinfektionen, Malaria in Griechenland, West Nile Virus-Erkrankungen, Krim-Kongo hämorrhagisches Fieber - die "Exoten" aus den Tropen scheinen weltweit im Vormarsch zu sein. Für Panik gibt es keinen Grund. "Das Ebola-Virus hat in 40 Jahren 3.567 Erkrankungen hervorgerufen und 2.250 Menschen getötet. Die Masern haben 2009 rund 197.000 Menschen umgebracht," sagt Kollaritsch, Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin. Im Jahr 2000 sind noch 750.000 Menschen an Masern verstorben. Der Mensch gewöhne sich offenbar leicht an bekannte Risiken, neue Gefahren würden dann leicht überschätzt.

Importierte oder autochthone Infektionen

Trotzdem gibt es durchaus bedenkliche Entwicklungen. "Der Motor ist der Tourismus. Im Jahr 2012 wurde die Zahl von einer Milliarde (Fern-)Reisenden überschritten. Innerhalb von 48 Stunden kann jeder Erreger an jeden möglichen Ort der Welt gelangen," so der Wiener Tropenmediziner.

In ganz Europa erkranken Menschen mittlerweile am Dengue-Fieber, hervorgerufen durch ein Virus, das mit dem FSME-Virus verwandt ist. Die Übertragung erfolgt über Aedes aegypti-Stechmücken. "Seit September 2012 wurden auf Madeira mehr als 2.000 autochthone (Infektion am Ort des Auftretens, Anm. Red.) Fälle von Dengue-Fieber registriert. Es gab keine Abnahme im Winter," so Kollaritsch. Die Krankheitswelle würde wohl weiter gehen. Der Experte: "Die Chance, dass sich Dengue am Festland von Portugal festsetzt, ist relativ groß."

Meist symptomlos

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es 2012 weltweit rund hundert Millionen Neuinfektionen mit Dengue-Erregern gegeben hat. Rund 22.000 Menschen dürften an schweren Verlaufsformen gestorben sein. Die Häufigkeit importierter Erkrankungen nimmt zu, in Österreich wurden vergangenes Jahr 74 Dengue-Fälle von Reisenden eingeschleppt. Auch hier ist für Panik nicht angebracht: Mehr als 90 Prozent der Infektionen verlaufen symptomlos, bei weniger als zehn Prozent der Erkrankungen kommt es zu hohem Fieber und Gliederschmerzen. Nur selten kommt es zu schweren Verlaufsformen.

Die Hoffnungen auf eine Impfung sind getrübt: Eine Kandidatvakzine erreichte in einer aktuellen wissenschaftlichen Studie nur eine Schutzrate von rund 30 Prozent.

Einen Trick hat sich das Chikungunya-Virus "ausgedacht". Durch eine Punktmutation seiner Erbsubstanz konnte es auf die auch in Europa vorkommende Aedes albopictus-Stechmücken ("Tigermücke") überspringen. 2006 kam es plötzlich in der Gegend von Ravenna in Italien zu nicht importierten Fällen. Ebenfalls auf dem Vormarsch befindet sich offenbar das Krim-Kongo hämorrhagische Fieber, welche durch Zecken übertragen wird. In der Türkei erhöhte sich die Zahl der durch das Bunya-Virus hervorgerufenen Erkrankung von faktischer Nichtexistenz vor dem Jahr 2002 auf 1.300 Fälle im Jahr 2009, 128 Patienten starben.

Fazit, so Kollaritsch: In Sachen exotischer Krankheitserreger sollten die Gesundheitsbehörden weltweit ständig wachsam sein. Überraschungen seien jederzeit möglich. (APA/red, derStandard.at, 6.3.2013)