Die Leuchte "Mendori".

 

Foto: Hirsohi Iawasaki/Copyright Miyake Design Studios

Die Leuchte "Mogura" ge- und...

Foto: Hirsohi Iawasaki/Copyright Miyake Design Studios

...entfaltet.

Foto: Hirsohi Iawasaki/Copyright Miyake Design Studios

Es dürfte wenige Menschen geben, die sich schon einmal gefragt haben, ob Licht etwas wiegt. Betrachtet man die neuen Leuchten des japanischen Modedesigners Issey Miyake, kann einen diese Überlegung durchaus beschäftigen. Vielleicht war es sogar genau die Frage, die den japanischen Modedesigner mit Kultstatus zu den watteleichten Entwürfen inspiriert hat. "IN-EI" nennt er seine Kollektion, die er gemeinsam mit Artemide auf den Markt gebracht hat. "IN-EI", was so viel bedeutet wie Schatten oder Schattenreichtum, besteht aus insgesamt zehn Entwürfen, die auf Namen wie Minomushi, Hakofugu oder Hoshigame getauft sind und mit ihrem Spiel aus Schein und Schatten ein ganz neues Licht in die Welt zwischen Russenluster und Kronleuchter bringen.

Was ihr Äußeres betrifft, erinnern die von der Faltkunst des Origami angehauchten Entwürfe an vollgefressene, futuristische Raupen mit Ecken statt Kurven, eckige Kugelfische, an kantige Duchesse-Kartoffeln oder von der Decke baumelnde Eisberge, die mit dem Stanleymesser zurechtgeschnitten wurden. Im ausgeschalteten Zustand sind die abwaschbaren, nicht entflammbaren Schirme blütenweiß, knipst man sie an, gelangt ihr Lichtspiel zu einem Farbspektrum von warmem Gelb bis hin zu einem gräulichen Ton. Von der Größe pendeln die Steh-, Tisch- und Pendelleuchten zwischen katzen- und mannshoch.

Inspiriert haben Miyake - und das ist nicht erst auf den zweiten Blick ersichtlich - auch seine Modeentwürfe, legendäre textile Falt- und Abnähtechniken, die heutzutage ebenso wie die Leuchten auf einem 3-D-Mathematikprogramm basieren, das vom Forschungs- und Entwicklungsteam in Miyakes sogenanntem Reality Lab entwickelt wurde und auf der Reality-Lab-Formel "132 5. Issey Miyake" beruhen. Die Zahl 1 bezieht sich auf ein einziges Stück Stoff, aus dem jeder Leuchtenschirm hergestellt ist, die 2 weist auf den eigentlichen Faltprozess hin, 3 steht - no na - für die dritte Dimension des Entfaltens, und der Fünfer soll die Metamorphose der Formen, die sich in Kleidungsstücke oder Gegenstände verwandeln, symbolisieren. Ferner steht die 5 auch für ein gutes Omen und "repräsentiert den Wunsch, dass die Kleidungsstücke oder Objekte auch in Zukunft neue Dimensionen annehmen mögen", wie es seitens des 1938 in Hiroshima geborenen Miyake heißt.

Flunderflach ins Geschäft

Dabei ist die Gestaltung das eine. "IN-EI" hat noch mehr zu bieten. Auf die Idee, dass die weißen Lichtgebilde aus ehemaligen PET-Flaschen bestehen, käme man von selbst kaum, haptisch erinnert das Material eher an einen festeren Melitta-Filter als an eine Almdudler-Plastikflasche. Aus den Gebinden wird ein Granulat hergestellt, das nach einer speziellen Technik geschmolzen wird, aus der verwandelten Masse wird das Gewebe für die Leuchten gewonnen - eine Technologie, die den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen im Vergleich zur Produktion neuer Materialien um bis zu 40 Prozent reduziert.

Hernach wird per CAM ausgeschnitten, von Hand gefaltet, gebügelt und gepresst. All das passiert in Japan, ehe die Schirme nach Italien in ein Werk von Artemide geliefert werden, wo man sich übrigens mit diesem Projekt zum ersten Mal auf ein Co-Branding einließ. Gut so. Hier kommen die weißen Schirme also zu ihrem Innenleben samt LED-Leuchten und werden sodann flunderflach ins Geschäft und zur Kundschaft expediert. Letztere legt nach dem Kauf selbst Hand an und entfaltet die zackige Lichtwolke im Handumdrehen. Dabei geht es bei "IN-EI" - und dafür erfordert es schließlich doch den zweiten Blick - bei weitem nicht nur um Form und Nachhaltigkeit, denn wohl kaum sonst würden Issey Miyake und Artemide-Boss Ernesto Gismondi bezüglich ihrer neuen Leuchtensippe den japanischen Schriftsteller Junichiro Tanizaki zitieren, der schrieb: "Die Schönheit liegt nicht in den Gegenständen, sondern in der Interaktion von Licht und Schatten, die von den Gegenständen erzeugt werden." Ob sie recht haben oder nicht, kann man ab sofort im neu gestalteten Wiener Artemide-Schauraum am Morzinplatz herausfinden, wo die Leuchten ab sofort zu haben sind. Neues Licht am Ende eines langen Winters. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 8.3.2013)