Elektroaktive Kunststoffe (oben) reagieren auf Stromspannungen, Silikone aus der Soft Robotik (unten) wechseln durch Luftzufuhr ihre Gestalt.

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Foto: Manuel Kretzer

Wie ein künstlich beatmetes Organ dehnt sich die durchsichtige Folie und zieht sich wieder zusammen. Den Rhythmus geben Stromschläge vor, die sich über schwarze Flächen auf der Folie fortsetzen. So kontrahiert das rüschenartig geformte Material an manchen Stellen stärker als an anderen - was ihm eine merkwürdig lebendige Anmutung gibt. Bei der Folie, die stellenweise mit leitfähigem Kohlenstaub versetzt wurde, handelt es sich um ein sogenanntes elektroaktives Polymer - ein Kunststoff, der durch das Anlegen einer elektrischen Spannung seine Form ändert.

Normalerweise werden solche Materialien beim Bau von Aktoren oder Sensoren eingesetzt, die elektrische Signale in mechanische Bewegungen übertragen oder umgekehrt aus Bewegungen elektrische Signale generieren. In der Werkstatt von Liquid Things, einem Forschungsprojekt des Arts-&-Science-Departments an der Wiener Universität für angewandte Kunst, soll ausgelotet werden, welches kreative Potenzial solche dynamischen Stoffe bergen.

"Metamaterialien"

"Wir wollen eine Grammatik der beweglichen Materialien entwickeln und so technologische Entwicklungen für die Künste nutzbar machen", sagt Roman Kirschner, inhaltlicher Leiter des Projekts, das unter der Schirmherrschaft des Multimediakünstlers Virgil Widrich steht. Im Fokus stehen im Labor designte "Metamaterialien" und dynamische Stoffe, die durch Stromspannung, elektromagnetische Wellen oder Licht ihre Eigenschaften wechseln. Dazu gehören etwa auch elektrorheologische Flüssigkeiten, die unter Strom eine andere Viskosität bekommen, oder Gelees aus der Molekularküche.

Zuletzt haben die forschenden Künstler mit Silikonen experimentiert, die in Harvard für den Einsatz in der Soft Robotik entwickelt wurden. Das Silikon wird in Formen gegossen, die aus unterschiedlich dichten Schichten bestehen und mit Kammern durchzogen sind. Wenn Luft oder Flüssigkeit in die Kammern gepumpt wird, entwickeln die Gebilde ein Eigenleben, quellen auf oder verbiegen sich. "Es geht uns nicht um die Form, sondern um das Material als Ausgangspunkt des Gestaltungsprozesses" , betont Kirschner. "Wir versuchen die Prinzipien des Materials zu verstehen, damit in einen Dialog zu treten." Bis zum Projektende 2014 sollen Prototypen für den Gebrauch dynamischer Materie entstehen.

Liquid Things ist Teil des Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK). Damit fördert der Wissenschaftsfonds FWF - in Österreich für die Grundlagenforschung zuständig - ein junges Feld, das international unter "Arts-based Research" firmiert. 2009 hat das Wissenschaftsministerium das PEEK-Programm ins Leben gerufen, seither wurden 26 Projekte, vorwiegend aus dem Dunstkreis der Kunstunis, unterstützt.

Entwicklung neuer künstlerischer Methoden

Die nunmehr fünfte Ausschreibung läuft bis 24. April, insgesamt stehen zwei Millionen Euro zur Verfügung. Dabei geht es weder um Kunstförderung noch um wissenschaftliche Forschung über Kunst, sondern vielmehr um die Entwicklung neuer künstlerischer Methoden, wie die Programmverantwortlichen klarstellen.

Schon längst fechten die Künste den Alleinstellungsanspruch der Wissenschaften auf die Produktion von Erkenntnissen an, und die Disziplinen beginnen aufeinander zuzugehen - ob nun Künstler mit neuen Technologien wie Genetik arbeiten oder Quantenphysik-Papst Anton Zeilinger auf der Documenta in Kassel seine Experimente zeigt.

"Man muss den Austausch aktiv suchen und tief eintauchen in die Welt des anderen", sagt Roman Kirschner, dessen Gruppe immer wieder Biologen, Architekten und andere Wissenschafter zur Zusammenarbeit einlädt. Im September ist ein Symposium zu flüssigen Stoffen in Kunst und Wissenschaften geplant.

Mit ihren Materialmetamorphosen wollen die Liquid-Things-Forscher einen Perspektivenwechsel ermöglichen: "Ingenieure sind meistens absolut gegenüber dem Material, wollen es beherrschbar machen. Wir suchen die Kollaboration damit." Intuition und Improvisation statt Messbarkeit und Objektivierung.

So wird letztlich auch hinterfragt, wie überhaupt Innovationen zustande kommen. Kirschner: "Das Ziel, einen einfachen Weg ins Unbekannte zu finden, ist auch alltäglich in den Künsten, nicht nur in den Wissenschaften." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 06.03.2013)