Störfaktor Friedensreich Hundertwasser: Bei seinem performativen Stadtspaziergang durch Tokio präsentiert er sein Gemälde "Die erste Japan-Spirale" (1961) etwa auf einem Wolkenkratzer.

Foto: Keisuke Kojima

Wien - Missverstanden und unterschätzt sind jene Attribute, auf die man gerne zurückgreift, wenn es gilt, das Werk des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser aus dem Ausgedinge eines massentauglichen Außenseiters ins Zentrum des Kunstdiskurses zurückzuhieven.

In den letzten zwanzig Jahren begegnete man Hundertwassers populistischer Buntheit in heimischen Gegenwartshäusern eher mit spitzen Fingern oder gänzlich mit Verdrängung; nun scheint die Zeit reif, den Künstler aus dem Abseits in die Linie internationaler Avantgardekollegen der 1950er- und 1960er-Jahre einzureihen.

Noch in den 1960ern traten Unverständnis und Zwiespalt, die das erfolgreiche Enfant terrible hierzulande auslöste, allerdings noch recht offen zutage: "Fritz Hundertwasser, Verfaulungs- und Verwesungsexperte der Wiener Maler und österreichischer Vertreter bei der Biennale 1962 in Venedig", schrieb etwa der Kurier 1961 verächtlich. Man berichtete einerseits von Skurrilitäten eines Sonderlings (etwa dass ihm das als Notizbuch verwendete vergipste Autodach abbröckelte) als auch etwas ungläubig von seinen Erfolgen - wie einem sechsseitigen Interview in einer Pariser Kunstzeitschrift sowie seiner Einladung nach Tokio.

Japan, das "Modeland der 1950er-Jahre" (Kurator Harald Krejci), ist auch der - in der Tat gelungene - Aufhänger für die Re-Visite von Hundertwassers frühem Schaffen im Belvedere. Dieser Japan-Mode, die weniger den formalen Japonismus der 1870er- und 1880er-Jahre meint denn die Philosophie von Tao und Zen, erlag auch Hundertwasser. 1949 beeindruckten ihn in Mailand die Holzschnitte von Hiroshige und Hokusai, in Paris traf er wenig später auf Vertreter der japanischen Avantgarde, schloss Freundschaften, etwa mit dem Kunstkritiker Segi, der ihm 1961 eine Ausstellung in Tokio vermittelte.

Was Hundertwasser ebenso wie die nun an seiner Seite ausgestellten Künstler Yves Klein, die Gruppe Cobra, Lucio Fontana u. a. faszinierte und was sie umdeuteten, waren die ganzheitlichen, aber letztlich formlosen Ideen menschlichen Daseins aus Fernost; Hundertwasser hatte es insbesondere der Naturbegriff angetan: "Alle Wesen und Erscheinungen, jedes Atom, jedes Energiequantum hängen voneinander ab und entstehen in gegenseitiger Abhängigkeit", schrieb Daisetz Suzuki (1870-1966) im Buddha der Liebe.

Weltanschaulich wie bildnerisch schlägt sich das ab 1953 bei Hundertwasser in Motiven wie Weg und Spirale nieder - Letztere als Symbol von Werden und Vergehen. Die gerade Linie verabscheute er als Ausdruck der "bequemheitslüsternen, gehirnlosen Massenameise." Das Ziehen von Kreisen wendete er aber auch auf seinen Stadterkundungen mit dem Rad an; Blicke auf Urbanes, die Hundertwasser in der Ausstellung auch in erfreuliche Nähe zum Dérive der Situationisten stellt.

Anders als Piero Manzoni, der seine "unendliche Linie" 1959 in eine Dose packte und dem Vorstellungsvermögen der Betrachter überantwortete, fand jene bei Hundertwasser tatsächlich statt. Besonders radikal 1959 in der kollektiven, vor dem Hintergrund des Tibet-Aufstands politisch aufgeladenen Malaktion Linie von Hamburg, als die Linie einen ganzen Raum der Hochschule durchzog.

So sehr die Gemeinschaft mit Zeitgenossen wie Dubuffet, Corneille oder Alechinsky für Hundertwassers OEuvre Wunder wirkt, so wenig gelingt dies der Raumstruktur: Die japanisch anmutenden Paravents sind zu viel. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 6.3.2013)