Der Bildpunkt. Zeitschrift der IG BILDENDE KUNST erscheint vier Mal im Jahr. Jede Ausgabe widmet sich einem Themenschwerpunkt. Zentral sind dabei ästhetische, aktivistische und theoretische Strategien samt ihrer gegenseitigen Verschränkungen und Überschneidungen. Drei künstlerische Positionen brechen jeweils das Textmonopol. Thema der aktuellen Ausgabe: "Critical Correctness"

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Cover: BIldpunkt

Seit rund zwanzig Jahren wird nun die Vokabel der "Political Correctness" (PC) politisch eingesetzt. Auch mit Kunst hatte das zu tun, denn gerne wurde der Etat des National Endowments for the Arts von der US-amerikanischen Rechten zum Anlass für Debatten um den Fortbestand der Zivilisation und dessen Gefährdung durch Künstler_innen und andere (vor allem ethnisch markierte) Minderheiten genommen. Obwohl es nie eine linke Political-Correctness-Bewegung gegeben hat, wurde mit dem Begriff hantiert, als sitze eine kleine Clique aus radikalen Linken, dekonstruktivistischen Theorie-Fans und Feministinnen an den Schaltstellen der Macht und terrorisiere die übrige Bevölkerung mit ihren Sprachregelungen und Denkverboten (worüber sich vor allem ältere, rechtsgesinnte weiße Männer beschwerten). Nach zwanzig Jahren haben sich die Wogen kaum geglättet. Anders als Worte wie Impressionismus hat sich PC nicht von einer einstmaligen Schmähvokabel zum konsensuell gelobten Gegenstand gewandelt.

Bildpunkt: Izy, in deinem neuen Roman Und dann lynch' ich deinen Hummer geht es erst mal recht politisch inkorrekt zu. Das so zu behaupten, lässt dich als einen dieser "Querdenker" erscheinen, dem dann andere (ebenso wenig "quer Denkende") zu seiner "herrlich politisch inkorrekten Art" gratulieren. Solche Leute werden aber später im Roman ziemlich eingemacht. Der inkorrekt redende Typ in der Geschichte ist ein Rassist, das wird deutlich, trotz all seiner Reflexionen über sein Reden. Wie würdest du deine literarische, künstlerische Strategie hinsichtlich Political Correctness beschreiben?

Izy Kusche: Man könnte von einer doppelt satirischen Methode sprechen. Denn ein rassistischer Ich-Erzähler diffamiert in seiner Darstellung andere Rassisten. Dieser Ich-Erzähler ist aber zum einen ein Affe und dadurch stigmatisiert, zum anderen schreibt er ebenso über eine Frau, die er liebt und die entscheidende Einwände gegen die jeweiligen politisch unkorrekten Äußerungen formuliert. Dass Satire per se nicht kritisch sein muss, 'beweist' der Ich-Erzähler, indem er es unterlässt, diese Erwiderungen zu reflektieren. Er entscheidet sich wie jene 'Querdenker' dazu, rassistisch zu sein und rechtfertigt das mit seiner Natur: Er ist ja bloß ein Affe. Als solcher ist er aber trotzdem nicht Opfer seiner Natur, sondern er wendet sie sehr bewusst an.

Bildpunkt: Rebecca, du bist als Redakteurin bei dem Portal Leidmedien.de tätig. Dort bietet ihr Vorschläge für ein besseres Wording in der Berichterstattung über behinderte Menschen an – nämlich eines, das Behinderung nicht ex- oder implizit als "Leid" auffasst. Euer Projekt könnte also als klassisch "politisch korrekte" Intervention von Betroffenen bezeichnet werden. Ihr betont zugleich, dass ihr nicht belehren, sondern Perspektiven eröffnen wollt. Ist die scheinbare Leichtigkeit, mit der ihr an das Thema herangeht, auch eine Strategie, um sich nicht selbst als Opfer zu positionieren? Welche Reaktionen habt ihr bisher auf eure Initiative bekommen?

Rebecca Maskos: Wir wollen weder als Opfer noch als Besserwissende verstanden werden. Nicht alle in der Redaktion von Leidmedien.de haben eine Behinderung, aber alle sind sensibilisiert in Sachen Sprache und Behinderung. Diese Sensibilisierung wollen wir gerne weitergeben, ohne dabei zu behaupten, dass wir selbst genau wissen, welche Sprache 'richtig' oder 'falsch' ist. Wir wollen darauf hinweisen, dass manche Leute mit Behinderungen sich an bestimmten Ausdrücken stören und Alternativen dazu vorschlagen. Bisher ist die Resonanz fast ausnehmend positiv. Dass wir keine Deutungshoheit beanspruchen, gefällt vielen Leuten besonders gut. Unsere Seite wird von JournalistInnen, aber auch von behinderten Menschen und anderen Interessierten diskutiert. Sichtbar wird das auch an unserer Präsenz auf Facebook, der mittlerweile rund 2000 Menschen folgen, die sich dort über aktuelle Medienbeispiele austauschen.

Bildpunkt: Sollte man Political Correctness als Teil linker Politik verstehen, dann beinhaltet das ja einerseits oft tatsächlich zunächst den Kampf um die Anerkennung eines Opferstatus. (So sollte es etwa als Errungenschaft betrachtet werden, dass Sinti und Roma endlich als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt sind.) Andererseits muss es zugleich aber um Ermächtigung gehen – also das Ablegen des Opfer-Seins – und vor allem um Rechte. Wie ist das strategisch zusammenzubringen?

Kusche: Im Grunde ließe sich das ja auch als eine Abfolge zweier notwendiger Prozesse beschreiben. Somit wären unterschiedliche Strategien notwendig. Auch wenn sich Minderheiten formal im Aspekt der Unterdrückung gleichen mögen: Dem Unrecht, dass von einer Quantität derer, die jeweils von einer gesetzten Norm abweichen, auf eine Qualität geschlossen wird, die wegen dieser Setzung als natürlich (resp. unnatürlich) behauptet wird, wird man immer wieder erneut und konkret Rechnung tragen müssen, das würde auch in dieser Hinsicht jeweils unterschiedliche Strategien nahelegen.

Maskos: Damit Protest und Kritik ernst genommen werden, müssen sie sichtbar und nachvollziehbar sein. Sich selbst als handlungsfähiges Subjekt zu präsentieren kann dabei helfen. Sinnvoll ist auch, Ideen für Lösungsmöglichkeiten von Benachteiligung vorzustellen. Sich einzumischen auf Augenhöhe – weder bitten noch moralisieren –, vielleicht könnte man es so zusammenfassen. Bei aller Notwendigkeit, dass Betroffene von sich aus aktiv werden, muss aber irgendwann die Mehrheitsgesellschaft auch anerkennen, dass überhaupt eine Ungleichbehandlung stattfindet – und dass dies zu ändern letztlich erst mal ihre Aufgabe ist und allen zu Gute kommen wird.

Bildpunkt: Einerseits werden nach wie vor Herrschaftsverhältnisse ausgeblendet: Es wird so getan, als müssten Männer vor Gender Mainstreaming ebenso geschützt werden wie Transgender-Personen vor hate speech. Andererseits gibt es eine radikalmoralistische Dimension in den Kämpfen um die ‚richtige Politik', die Sprech- und Handlungsweisen nach Katalog zu reglementieren scheint und damit vielleicht mancherorts eine wichtige Auseinandersetzung erschwert oder verunmöglicht. Woran müsste sich eine emanzipatorische Politik, die "Spracharbeit statt Sprachregelung" (W.F. Haug) betreibt, eurer Ansicht nach orientieren?

Maskos: Sensibilisiertes Sprechen ist wichtig, vor allem um durch Sprache stigmatisierte Menschen vor weiteren Verletzungen zu schützen. Außerdem bewirkt es, dass bestimmte Bilder ins Bewusstsein kommen, während andere (abwertende) durch das Weglassen von stigmatisierenden Ausdrücken langsam aus dem Bewusstsein verschwinden können. Ich habe allerdings das Gefühl, dass viele Leute dabei über das Ziel hinausschießen und die sensibilisierte Sprache dazu benutzen, sich selbst zu markieren und zu präsentieren: Als eine Person, die es 'gecheckt' hat, die moralisch 'auf der richtigen Seite steht' und dadurch unangreifbar sein will. So kann sensibilisierte Sprache irgendwann zur bedeutungsarmen Phrase werden. Deshalb sollte man Sprache nicht als Mittel benutzen, sich und andere zu bewerten (wegen ihrer falschen Ausdrucksweise), sondern als flexible Möglichkeit, neuem Denken Ausdruck zu geben.

Kusche: Denn Sprache hat zwar an sich keine Bedeutung, aber mit ihr wird Bedeutung nun mal hergestellt. Und dieser Unterschied zeigt sich im jeweiligen Kontext. Die Debatten über richtiges Sprechen ähneln sich ja im Verlauf der Jahrzehnte. Es werden mitunter nur unterschiedliche Wörter aus dem Katalog gestrichen – ohne dass ein Inhalt vermittelt worden wäre. Das wird beispielsweise virulent im aktuellen Diskurs über Sexismus in Deutschland, nachdem angeblich doch die Gleichberechtigung durchgesetzt worden ist. Gegenwärtig dreht es sich auch jetzt sehr schnell wieder um Regelung, um entweder besorgt zu ermitteln, 'was man sagen darf' – oder sie von vornherein als widernatürlich zu geißeln. Beides zeigt hauptsächlich, dass eine Sensibilität dafür, was belästigend ist oder sein kann, komplett fehlt, was wiederum die männliche Vorstellung erkennen lässt, Männer würden eher schuldlos schuldig. Eine Sprachregelung stößt an ihre Grenze, wenn es kein Bewusstsein dafür gibt, dass subjektives Empfinden im Zentrum einer solchen Debatte stehen sollte. Eine Art historisches Bewusstsein für Unterdrückungsmechanismen in Sprache und Verhalten kann hierfür hilfreicher sein als der gegenwärtig aktuellste und richtigste Katalog.

(Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühling 2013, "Critical Correctness". Eine Kooperation zwischen Bildpunkt und derStandard.at/Kultur)