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Nahe einem Wahllokal in einem Slum bei Nairobi ruft ein Künstler zu einem friedlichen Wahlverlauf auf.

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Die kenianische Staatsmacht setzt der Gewalt Armee und Polizei entgegen.

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Kandidat Kenyatta bei der Stimmabgabe in der Ortschaft Gatundu. Der Vizepremier wurde vom Haager Gericht angeklagt.

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Premier und Präsidentschaftskandidat Raila Odinga geht in Kibera bei Nairobi wählen.

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Annette Weber: "Allein die Anklage Kenyattas bedeutet, dass der mögliche künftige Präsident und auch sein Vizekandidat viel Zeit in Den Haag verbringen müssten."

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Im Vorfeld der Präsidentenwahl in Kenia grassiert abermals die Gewalt in dem ostafrikanischen Land. In der Nacht auf Montag wurden sechs Polizisten in einem Hinterhalt getötet. Erinnerungen an die blutigen Unruhen nach der Wahl 2007 werden wach. Damals kamen 1.200 Menschen bei wochenlangen ethnischen Konflikten ums Leben.

Als Favoriten gingen Ministerpräsident Raila Odinga und sein Stellvertreter Uhuru Kenyatta in die Präsidentenwahl am Montag. Gegen Kenyatta ermittelt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen seiner angeblichen Beteiligung an den Massakern 2007. Die deutsche Kenia-Expertin Annette Weber von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erläutert im derStandard.at-Interview, warum die Gewalt in dem ehemaligen Urlauberparadies am Indischen Ozean so schnell kein Ende finden dürfte.

derStandard.at: Die beiden Stämme Kikuyu und Luo haben sich im Vorfeld der Präsidentenwahl 2007 heftige Scharmützel geliefert. Was hat sich seither getan?

Weber: Oberflächlich gab es Versöhnungsgespräche und Mediation auf Ebene der politisch Verantwortlichen und der ethnischen Gruppen. In der Bevölkerung selbst gab es das nicht. In den vergangenen Wochen haben alle ethnischen Gruppen davon gesprochen, sich neu zu bewaffnen, um möglicher Gewalt im Umfeld der Wahlen zu begegnen.

Es geht aber nicht darum, wie sich diese Gruppen untereinander verstehen, sondern um den Zugriff auf die Ressourcen der jeweiligen Landesteile. Trotz der neuen Verfassung und der Neuaufteilung der Countys ist diese Frage nicht gelöst worden. Die somalischen Stämme im Norden zum Beispiel verfügen über riesige Gebiete mit geringer Bevölkerung, haben aber kaum landwirtschaftlich nutzbare Flächen zur Verfügung. Die großen Gruppen hingegen leben auf relativ wenig Land im fruchtbaren Rift-Valley, brauchen aber viel Land, um Landwirtschaft betreiben zu können. Die Sprengkraft der ethnischen Konflikte besteht daher weiter.

derStandard.at: Im Zusammenhang mit den Unruhen 2007 ist der aussichtsreiche Kandidat Uhuru Kenyatta vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag angeklagt. Was würde seine Wahl für das internationale Ansehen Kenias bedeuten?

Weber: Das wäre ein großes Problem. Kenia hat sich der Jurisdiktion des ICC unterstellt, allein die Anklage Kenyattas bedeutet, dass der mögliche künftige Präsident und auch sein Vizekandidat viel Zeit in Den Haag verbringen müssten. Die Praxis zeigt, dass die meisten afrikanischen Länder zwar pro forma Unterstützer des ICC sind, in der Umsetzung aber viel Flexibilität zeigen, etwa im Falle des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir.

Man muss aber auch sehen, dass Kenia ein bedeutender Wirtschafts-Hub ist, dessen Präsident eigentlich überall ein willkommener Gast ist. Das würde sich ändern, auch für die Wirtschaft, weil ausländische Investoren dann nicht mehr so einfach in Kenia arbeiten könnten wie bisher.

derStandard.at: War die Anklage des ICC im Wahlkampf Thema?

Weber: Kenyatta hat die nationale Karte ausgespielt, indem er Den Haag als neokoloniales Instrument des Westens bezeichnete. Andererseits hat sein Gegenkandidat Raila Odinga der Bevölkerung klarzumachen versucht, was die Anklage Kenyattas bedeuten würde.

derStandard.at: "Pwani si Kenya", Küste ist nicht Kenia, lautet die Parole der Separatisten vom Mombasa Republican Council. Die Regierung macht das MRC für die jüngsten Anschläge auf Polizisten verantwortlich. Ist das Streben nach einer Loslösung von Nairobi bloß ein Erbe der britischen Kolonialherren oder eine Reaktion auf aktuelle Missstände?

Weber: Der Separatismus hat zwar seine Wurzeln in der kolonialen Teilung des Landes, aber seit der Wahl 2007 und der Landrechtsfrage der vergangenen Jahre bedeutend an Brisanz gewonnen. Dass viele Küstenbewohner die Meinung vertreten, durch Separierung mehr Kontrolle über das Land und seine Ressourcen ausüben zu können, ist evident, nicht nur in Mombasa, sondern auch in anderen Städten an der Küste. Die Arbeitslosigkeit ist dort noch höher als im Rest des Landes. Auch politisch sieht sich die Küste im Hintertreffen, die Gruppierungen, die etwa die Regierung stellen, werden vom Hinterland dominiert.

derStandard.at: Auf der benachbarten Insel Sansibar ist es jüngst zu religiösen Spannungen gekommen. Drohen sie auf Kenia überzugreifen?

Weber: Seit die kenianische Regierung Soldaten nach Somalia geschickt hat, hat auch die Situation der Muslime, die mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Mombasa ausmachen, wieder an Schärfe gewonnen. Die Regierung hat es nicht geschafft, zwischen Shabaab-Milizen und einfachen kenianischen Somalis zu unterscheiden, wenn sie von "Terroristen" spricht.

Seit der Ermordung des radikalislamischen Predigers Aboud Rogo im vergangenen August ist es an der Küste zu einer weiteren Verschärfung der Lage gekommen. In der Region um Garissa an der Grenze zu Somalia haben auch schon Kirchen gebrannt. Man muss nicht das mahnende Beispiel Nordnigerias bemühen, aber die zunehmende Marginalisierung durch die Regierung führt nicht nur zu ethnischen Konflikten, sondern auch zu Auseinandersetzungen entlang religiöser Linien. Auch an der Küste wird die Marginalisierung als Repression gegen die muslimischen Kenianer wahrgenommen.

derStandard.at: Kenias Wirtschaft lebt massiv vom Tourismus. Bringt das die Küste nicht in eine strategisch günstige Position?

Weber: Dieser Faktor ist natürlich ein Druckmittel, obwohl der Tourismus seit den Unruhen 2007 deutlich zurückgegangen ist. Die kenianische Regierung hat bisher kein Mittel dagegen gefunden. Erst heute hat sie 400 zusätzliche Polizisten nach Mombasa geschickt, die aber sicher keine Lösung für das Problem der Marginalisierung darstellen.

derStandard.at: Wird die Wahl weiter anhand ethnischer Trennlinien entschieden oder setzt sich die Einsicht durch, dass wirtschaftliche Entwicklung Thema Nummer eins sein sollte?

Weber: Solange die wirtschaftlichen Fragen so eng mit den ethnischen Fragen verwandt sind, wird sich daran nichts ändern. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 4.3.2013)